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100 Jahre Bauhaus
Der Klang der Materie

Einen eigenen Kompositionsstil hat das Bauhaus nicht hervorgebracht. Aber in Weimar und Dessau spielte die Musik: Die Bauhäusler begeisterten sich für Bach und Zwölfton-Musik, auch eine eigene Kapelle hat musiziert. Der Jazzpianist Michael Wollny bedauert, dass keine Tondokumente erhalten sind.

Michael Wollny im Gespräch mit Änne Seidel | 08.01.2019
    Michael Wollny, deutscher Jazzpianist, steht bei einem Fototermin in Berlin an einem Klavier.
    Der Jazzpianist Michael Wollny hat Musik fürs Bauhaus-Jubiläum komponiert (Jens Kalaene / dpa)
    Änne Seidel: Wie sieht er aus, der berühmte Bauhaus-Stil? Irgendwie geometrisch, irgendwie schlicht und kühl ist er - und halt irgendwie "modern". Man merkt schnell, wie schwer es ist, eine allgemeingültige Definition des Bauhaus-Stils zu liefern, denn das Bauhaus war extrem vielfältig. So vielfältig eben wie die Künstler, die an der berühmten Akademie lehrten und lernten.
    Noch schwieriger zu beantworten ist aber die Frage: Wie klingt das Bauhaus? Wir wollen es trotzdem versuchen: heute, in unserer Gesprächsreihe zum Bauhaus-Jubiläum. Und wenn einer diese Frage beantworten kann, dann wohl der Jazz-Pianist Michael Wollny. Er hat versucht, das Bauhaus zu vertonen.
    Das Ergebnis dieses Experiments wird Mitte Januar in Berlin uraufgeführt, auf dem Eröffnungsfestival zum großen Bauhaus-Jubiläumsjahr. Und was genau wird dort zu hören sein? Wie klingt das Bauhaus? Das habe ich Michael Wollny vorhin als erstes gefragt:
    Michael Wollny: Das ist eine ganz große Frage am Anfang. Ich glaube, anfangen kann ich damit: Als die Anfrage kam, ob ich zu dem Thema was komponieren könnte, ob ich mir dazu ein Programm überlegen kann, da war ich erst mal begeistert - weil das Thema Bauhaus natürlich extrem inspirierend ist, nach wie vor. Ich glaube, jeder hat sofort eine Art Vorstellung, eine ästhetische Vorstellung von dem Begriff. Man hat sofort Bilder vor Augen, Farben vor Augen, man hat Persönlichkeiten vor Augen.
    Aber im zweiten Gang merkt man dann, dass es eigentlich relativ schwierig ist, diesen Klang sich zu definieren. Denn es gibt zwar gesichert historisch viele Bezüge zwischen den Protagonisten des Bauhauses, den verschiedenen Meistern und den Schülern, die daraus hervorgegangen sind. Die haben sich alle sehr stark mit Musik beschäftigt. Und es gibt auch einige persönliche und personelle Überschneidungen. Aber es gibt keine Tondokumente, und es gibt am Bauhaus auch berühmterweise keine Musikschule, obwohl es da mal einen Versuch gegeben hat, das zu etablieren. Es gibt keinen gesicherten Bauhaus-musikalischen Stil, den man so abrufen kann. Sondern man muss sich wirklich die Frage stellen: Wie sind diese ästhetischen Konzepte irgendwie umzusetzen, oder wie können die in musikalische Sprache einfließen? Das war eigentlich meine Grundherausforderung oder Grundidee.
    Selbstgebastelte Instrumente
    Seidel: Und was hat sich dann daraus ergeben? Wie klingt das, was Sie nächste Woche uraufführen werden?
    Wollny: Ein bisschen bin ich auch noch selbst gespannt darauf. Natürlich: Ich bin Jazzpianist. Das heißt: Improvisation wird eine große Rolle spielen, wie es auch am Bauhaus – das war zumindest mein Eindruck nach der Recherche – eigentlich zwei verschiedene Stränge von Ästhetiken gab. Die eine war sehr einer strengen strukturellen Ästhetik verpflichtet. Und das andere war eine sehr freie oder eine experimentelle, auch ein bisschen anarchische Qualität. Es gibt auf der einen Seite eine Begeisterung für Barock, für Zwölfton, diese Art von sehr strukturellem musikalischem Denken. Auf der anderen Seite gab es so eine Bauhaus-Kapelle. Das war ein Zusammenschluss von Bauhaus-Schülern, die dann sehr wild, glaube ich, auf selbstgebastelten Instrumenten die Tanzstile ihrer Gegenwart improvisiert haben: eine Jazzkapelle, wenn man so will.
    Zwischen diesen beiden Strängen habe ich versucht, eine Musik zu machen, und die drückt sich bei mir erst mal darin aus, dass ich im Zentrum auf der Bühne zwei Klaviere habe. Ich bin Pianist und spiele das eine, und das andere Klavier wird von einer Maschine gespielt.
    Seidel: Das müssen Sie uns erklären.
    Wollny: Genau. Ich hatte das Glück, einen der wenigen, einzigen Menschen kennenzulernen, die noch so eine Maschine besitzen und auch damit arbeiten. Das ist Wolfgang Heisig, und der besitzt eine "Phonola". Eine "Phonola" kann man sich so vorstellen: Das ist eine Maschine, die vors Klavier geschoben wird. Und dann hat quasi jede der 88 Tasten des Klaviers einen Hebel oben drüber. Die Phonola steuert diese Hebel, indem sie eine Lochkarte abtastet. Das heißt: Ich habe jetzt Musik geschrieben, die der Wolfgang Heisig umgestanzt hat in Lochkarten. Und diese Lochkarten bedienen dann die Hebel und damit die Tasten des Klaviers. Ich habe quasi ein Klavier-Duo auf der Bühne: Auf der einen Seite bin ich als improvisierender Musiker, auf der anderen Seite ist diese Maschine, die mechanisch-strukturell meine Komposition exekutiert.
    Mensch und Maschine machen Musik
    Seidel: Ist das ein bisschen die Idee, das Mechanische des Handwerks einerseits und das Intuitive der Kunst andererseits zusammenzudenken? Das ist ja das, was das Bauhaus tatsächlich auch gemacht hat. Es ging dem Bauhaus ja darum, dass sich Kunst und Handwerk gegenseitig befruchten. Daran musste ich jetzt denken bei Ihrer Schilderung.
    Wollny: Genau. Ich habe wahnsinnig viel gelesen und mir angeschaut und mir angehört, Tondokumente und Komponisten der Zeit, Interviews gelesen oder Schriften, Manifeste. Die waren ja groß im Kurs in dieser Zeit. Da kam dann irgendwie dieses Bild von diesen zwei Flügeln. Das kam irgendwie zentral in meinen Kopf. Natürlich hat das damit zu tun, dass auf der einen Seite etwas steht, was man handwerklich vorbereiten muss, und zwar ganz wörtlich. Man muss es stanzen. Es ist keine MIDI-Maschine, keine digitale Steuerung, sondern es ist eine handwerklich-pneumatische Maschine, die vorbereitet, die handwerklich bedient werden muss. Auf der anderen Seite ist die Improvisation.
    Es sind insgesamt ja fünf Leute auf der Bühne: Ich habe noch zwei, ich nenne es jetzt mal, traditionelle Jazzmusiker mit im Projekt. Und ein elektronischer Künstler aus London: Leafcutter John nennt sich der. Der – das war zumindest meine Idee – wird im Laufe dieser Komposition verschiedene Bauhaus-Materialien bespielen. Das Bauhaus war ja eingeteilt in die verschiedenen Werkstätten, wo verschiedene Werkstoffe im Mittelpunkt standen. Und wir haben jetzt einige dieser Werkstoffe auf die Bühne geholt, und John wird dann mit Glas, mit Metall, mit Holz, mit Webstoff Musik machen oder Geräusche erzeugen, die dann in die Musik einfließen.
    Begeisterung für Strenge und Sinnlichkeit
    Seidel: Auf jeden Fall eine große Herausforderung, der Sie sich da gestellt haben. Sie haben, Herr Wollny, vorhin schon gesagt, dass die Bauhaus-Künstler sich stark mit Musik beschäftigt haben. Unter anderem stand wohl Bach hoch im Kurs. Wie passt ausgerechnet Bach zu den Ideen des Bauhauses?
    Wollny: Ich glaube, ein wichtiges Werk für die Bauhaus-Protagonisten war zum Beispiel die "Kunst der Fuge". Das ist ja ein Werk, wo wirklich alle Spielarten, wie man eine Fuge schreiben kann, durchexerziert werden - fast wie in einem Lehrbuch. Das ist natürlich auch großartige Musik, die man einfach so sinnlich genießen kann. Aber es ist auch eine sehr, sehr strukturelle, organisierte Musik.
    Ich glaube, genau diese Begeisterung für das Strenge auf der einen Seite und das sinnlich Erfahrbare auf der anderen, das war was, was sich in der Musik von Bach für viele idealtypisch manifestiert hat. Und ich denke, Barock - und auch die Hinwendung zu barocken Musikern - stand auch im Alltag des Bauhauses im Mittelpunkt, wenn es beispielsweise darum ging, Feierlichkeiten auszustatten mit Musik oder zu bestimmten Themen Gegenstände herzustellen. Es gibt ja auch eine berühmte Plastik, die versucht, eine Bach-Fuge darzustellen.
    Auf der anderen Seite dann die zeitgenössische Zwölfton-Musik.
    Seidel: Schönberg!
    Wollny: Schönberg, aber vor allem auch der weniger bekannte Josef Matthias Hauer. Das ist jemand, der noch vor Schönberg Zwölfton auf seine Art gemacht hat und der in enger Zusammenarbeit mit Johannes Itten, der ja am Bauhaus ein Meister war für Malerei und die Metallwerkstatt, seine ganz eigene Form von Harmonielehre und Kompositionslehre begründet hat. Da gibt es, wie gesagt, zeitgenössisch ganz viele, wirklich sehr konkrete Bezüge, aber keine richtige Kompositionsschule am Bauhaus.
    Tatort Bühne
    Seidel: Sie haben vorhin die Jazzkapelle erwähnt, die zunächst vor allem auf den Bauhaus-Festen spielte. Wenn Sie jetzt mal all das zusammenfassen, was musikalisch am Bauhaus passiert ist: War das Bauhaus für die Musik ähnlich wegweisend wie für Architektur und Design?
    Wollny: Eine sehr große Frage. Das ist ein bisschen unkonkret, weil es keine Komponisten und Kompositionen-Stile gibt, von denen man sagen kann, die haben am Bauhaus ihren Anfang genommen. Trotzdem glaube ich, dass der Tatort Bühne am Bauhaus eine große Rolle gespielt hat. Und vieles von dem, was wir heute als selbstverständlich nehmen, auch experimentelle Formen von Bühnen und auch Konzerten, letzten Endes nicht heute so stattfinden würden, wenn es nicht damals am Bauhaus ein paar revolutionäre Ideen gegeben hätte.
    Ich denke, der Einfluss und die Bedeutung sind nicht zu unterschätzen, obwohl es im Konkreten sicherlich sehr schwierig ist, das genau zu benennen.
    Grenzen überschreiten
    Seidel: Das Bauhaus war ein großes Experiment, das Einflüsse aus ganz verschiedenen Künsten zusammengebracht hat. Eine Art Labor, in dem auch viel improvisiert wurde – also eigentlich ja ganz ähnlich wie in der Jazzmusik. Ist das auch etwas, was Sie gereizt hat am Bauhaus?
    Wollny: Absolut, weil ich glaube: Wir versuchen ja alle immer diese Balance herzustellen aus einer Vorgabe, einer Komposition, einer strukturellen Idee und der Freiheit des Moments. Und das ist was, was zumindest in meiner kleinen Recherche auch immer das durchgezogen hat, was im Geist des Bauhauses damals formuliert wurde. Es geht immer darum, nach Regeln zu arbeiten, aber dann diese auch zu hinterfragen, diese in der Gemeinschaft, in der Zusammenarbeit zu überschreiten, sich was völlig Neues auszudenken - ein neues Regelwerk zu erstellen. Und das ist doch etwas sehr Verwandtes, was ich als Jazzmusiker für mich auch immer als wichtige Arbeitsweise finde.
    Erkenntnisse, die nachwirken
    Seidel: Sie haben für Ihre Komposition monatelang Bücher gewälzt und sich ja sehr intensiv mit der Idee des Bauhauses beschäftigt. Inwiefern wird das Einfluss haben auch auf künftige Kompositionen?
    Wollny: Ich habe gerade letzten Samstagabend ein Konzert mit Heinz Sauer gespielt, dem Saxophonisten - im Duo in Frankfurt, das immer traditionellerweise ganz frei abläuft. Da haben wir hinterher darüber gesprochen, dass mir wirklich einige Elemente ziemlich neu vorkamen, die da so passiert sind. Ich bin immer vorsichtig, eins zu eins Rückschlüsse zu sagen: Weil ich das gerade gelesen habe, passiert jetzt das und das. Oder auch wirklich zu verstehen, was da passiert. Aber ich weiß, dass diese Arbeit des letzten fast Jahres, muss ich sagen, intensiv die letzten sechs Monate, und Beschäftigung mit diesen Ideen, mir schon sowohl abstrakt-ästhetisch als auch ganz konkret Material geliefert haben, die sicher mich die nächsten Monate noch beschäftigen werden.
    Seidel: Der Jazz-Pianist Michael Wollny in unserer Gesprächsreihe zum Bauhaus-Jubiläum. Kommende Woche wird Wollnys Komposition mit dem Titel "Bau.Haus.Klang" in Berlin uraufgeführt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.