Donnerstag, 28. März 2024

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100 Jahre Verdun
Aus Erinnerungskultur wird Erinnerungspolitik

Am Sonntag jährt sich der Beginn der Schlacht von Verdun zum 100. Mal. Diese erste industrielle Schlacht des Ersten Weltkriegs und das Gedenken daran ist nicht nur im kulturellen, sondern auch im politischen Leben Frankreichs von erheblicher Bedeutung. Pünktlich zum Jahrestag wird das umgebaute Mémorial wiedereröffnet: mit großen Veränderungen.

Von Jürgen König | 19.02.2016
    Der Erste Weltkrieg ist im historischen Bewusstsein der Franzosen präsent. Die Spuren des Krieges sind immer noch sichtbar: die Schlachtfelder, die Soldatenfriedhöfe, die Gedenktafeln in den Städten - in sehr vielen Familien kursieren heute noch Briefe und Tagebücher von den Groß- oder Urgroßeltern.
    Man hat das Durchkommen der Deutschen an der Marne, an der Somme verhindert – la "Grande Guerre", der Große Krieg, wurde gewonnen - bis heute ein Symbol des nationalen Widerstandes, auch des nationalen Zusammenhalts. Entsprechend aufmerksam wird das rundumerneuerte Mémorial von Verdun in Frankreich wahrgenommen. In modernem Gewand kommt es daher – sein monumentaler Vorgängerbau, 1967 auf Wunsch der Veteranen errichtet - er war vor allem Gedenkstätte gewesen: nicht zum Andenken an "die Gefallenen", sondern zum Andenken an die gefallenen Franzosen, eine "nationale Weihestätte". Thierry Hubscher, der Direktor des Mémorial de Verdun: "In Verdun haben ungefähr drei Viertel der französischen Truppen gekämpft. Diese Schlacht hat sich bei allen Familien eingeschrieben, jeder hat irgendwie in Verdun gekämpft. Und: Verdun war im Ersten Weltkrieg die erste industrielle Schlacht."
    Jetzt wird aller Kriegsteilnehmer gedacht
    Materialschlacht, Stellungskrieg, von exzessiver Gewalt, unglaublicher Brutalität und dabei militärisch, schaut man auf das Ergebnis: sinnlos. 310.000 Tote - schätzt man – 167.000 auf der französischen, 143.000 auf der deutschen Seite, etwa 400.000 Verwundete, insgesamt wurden fast vier Millionen Soldaten in die Schlacht geschickt. Verdun – ein mythischer Ort für Frankreich – um so mutiger die Entscheidung, den alten Bau zugunsten eines neuen fast völlig verschwinden zu lassen. Im Inneren blieben nur die Betonkonstruktion und der Haupteingang stehen, letzteren ließ das Architektenbüro Brochet-Lajus-Pueyo in einem Erdwall verschwinden: Man betritt das Mémorial von unten, wie durch einen Schützengraben, darüber, den Umriss des Vorgängerbaus aufgreifend, ein gläserner Neubau. Man habe, so Thierry Hubscher, den Geist des Mémorial von 1967 unbedingt erhalten wollen – wenn auch etwas Entscheidendes sich geändert habe.
    "Das Mémorial war und bleibt ein Ort, dafür bestimmt, der Kämpfer von Verdun zu gedenken. Aber wir sprechen heute von den Kriegsteilnehmern, den Kämpfern von Verdun, es ist egal, welcher Nationalität sie waren. Das ist der rote Faden: 'die' Kämpfenden von Verdun. Und insofern ist das Mémorial von heute auch ein Instrument, um die Schlacht von Verdun darzustellen. Es gibt keine Zeitzeugen mehr, Verdun ist Geschichte geworden - und also ist es wichtig, der jungen Generation die Schlacht von Verdun zu erklären, und zwar mit Mitteln, die sie auch verstehen."
    Gedenkveranstaltungen bis 2018
    "Verdun ist Geschichte geworden" – das Mémorial de Verdun beeindruckt als deutsch-französische Erinnerungsstätte – dank vieler Leihgaben deutscher Museen - Briefe, Fotos, Objekte bis hin zu Flugzeugen - wird es tatsächlich möglich, den Krieg aus zweierlei Perspektive nachzuvollziehen. Seit 1984, seit sich Staatspräsident Mitterrand und Bundeskanzler Kohl in Verdun zur symbolischen Versöhnung die Hände reichten, ist viel geschehen.
    Auch für die französische Innenpolitik ist die Pflege der Erinnerungskultur wichtig. Hatte Präsident Nicolas Sarkozy noch eine Gedenkfeier zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs geplant, ordnete sein Nachfolger Francois Hollande sofort Gedenkveranstaltungen bis 2018 an. Sieben Ministerien waren an den Vorbereitungen beteiligt, die Departements wurden angewiesen, regionale Feierlichkeiten zu organisieren. Das ganz große Gedenken sollte es sein, der Erste Weltkrieg, so der Präsident, erinnere alle Franzosen daran, "wie stark eine Nation sein" könne, "wenn sie zusammenhält". In Zeiten von Wirtschafts- und Terrorkrise und wachsender sozialer Konflikte im Lande ist derlei wichtig – aus Erinnerungskultur wird Erinnerungspolitik.