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150. Geburtstag des Industriellen Hugo Stinnes
Der „Kaiser“ der Weimarer Republik

Der deutsche Industrielle Hugo Stinnes hat es nach dem Ersten Weltkrieg zum größten Arbeitgeber der Welt gebracht. Dazu ist er mal einen Pakt mit dem Proletariat eingegangen – und mal in den Kampf gegen die Arbeiterschaft gezogen. Die New York Times nannte ihn gar „Kaiser“ der jungen deutschen Republik.

Von Jutta Hoffritz | 12.02.2020
    Der deutsche Industrielle Hugo Stinnes geht mit Mantel und Hut gekleidet über einen Bürgersteig
    Hugo Stinnes war mächtiger Montanunternehmer, Krisengewinner und Strippenzieher in der Weimarer Republik (dpa / picture-alliance / Ullstein)
    "Einige nennen ihn einen aufgeblasenen Kapitalisten, der Deutschland in ein gigantisches Kartell verwandeln will, andere halten ihn für einen sozialistischen Pionier…"
    "Niemand in Nachkriegsdeutschland wird so gefürchtet, bewundert und verflucht wie Stinnes."
    So schrieb die New York Times 1921 über Hugo Stinnes aus Mülheim an der Ruhr. Eine ganze Seite widmete sie dem Montanunternehmer, Strippenzieher und Krisengewinner, nannte ihn gar "Czar of New Germany", "Kaiser" der jungen deutschen Republik. Doch wie konnte der solche Bedeutung gewinnen?
    "Nur vorwärts, vorwärts kommen wollen wir!"
    Als Hugo Stinnes, am 12. Februar 1870 in Mülheim an der Ruhr geboren wurde, schien ihm zumindest ein Unternehmerleben vorbestimmt. Sein Großvater verdiente sein Geld damit, Kohle aus dem Ruhrgebiet nach Holland zu verschiffen. Der Vater ließ schon in großem Stile selbst nach Kohle graben.
    Doch Hugo war erst 17 als dieser starb – und keineswegs angetan von der Vorstellung, das Unternehmen zusammen mit seinem Vetter fortzuführen. Der Vetter schien ihm schlicht nicht tüchtig genug, weshalb Hugo der Familie bald eine Zeche abkaufte und einen eigenen Kohlehandel aufzog.
    "Du glaubst nicht, was es mir eine Freude sein wird, wenn wir immer mehr selbstständig werden. Nur vorwärts, vorwärts kommen wollen wir", schrieb er 1894, ein Jahr vor seiner Hochzeit, an die Verlobte Cläre. Auch in ihrer Ehe sollten die beiden viel per Brief kommunizieren. Denn Stinnes war ständig unterwegs.
    Die Entstehung von RWE
    Er eröffnete weltweit Niederlassungen. Er kaufte neue Kohlefelder und baute Stahlwerke, direkt daneben – um Transportkosten zu sparen. Und als die Elektrizität aufkam, überredete er die Stadt Essen 1898 Generatoren unmittelbar über einer seiner Gruben aufzustellen – so entstanden die Rheinisch-Westfälischen Energiewerke – an denen er natürlich Anteile hielt.
    Dann kam der Erste Weltkrieg – den das Unternehmen überraschend gut überstand. Kohle und Stahl wurden dringend gebraucht. Sorgen mussten sich Stinnes– und die anderen Ruhrbarone – eigentlich erst nach dem Krieg machen.
    "Arbeiter und Soldaten, der unglückselige Krieg ist zu Ende, das Morden ist vorbei. Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue, es lebe die deutsche Republik."
    Arbeiter vor dem Reichstagsgebäude in Berlin
    Vor 100 Jahren / Einführung des Achtstundentags für Arbeiter
    Der Achtstundentag, eine Kernforderung der Arbeiterbewegung, steht heute wieder in der Kritik – zumindest von Seiten vieler Arbeitgeber. Zu unflexibel sei er, um auf Herausforderungen der globalisierten Wirtschaft einzugehen.
    Am 9. November 1918 rief der SPD-Politiker Philipp Scheidemann im Reichstag die Republik aus. Stunden später am Berliner Schloss verkündete auch Karl Liebknecht vom Spartakusbund das Ende der Monarchie.
    "Es war die revolutionäre Situation am Ende des Ersten Weltkrieges, die dazu führte, dass den Arbeitgebern klar war, wenn sie jetzt nicht der Stimme der Besonnenheit, nämlich den Gewerkschaften Zugeständnisse machen, dann werden sie von der Revolution hinweggefegt und die Eigentumsordnung gleich mit", urteilt der Historiker Michael Schneider.
    Die Arbeitgeber schickten Stinnes vor. Er verhandelte mit dem obersten deutschen Gewerkschafter, Carl Legien, um zu ergründen, wie die Arbeiter zu besänftigen seien.
    Das Stinnes-Legien-Abkommen
    Schneider: "Und da war der Acht-Stunden-Tag eben wegen seiner hohen symbolischen Bedeutung das Mittel der Wahl. Wenn der garantiert wird, konnte man vor die Arbeiter hintreten und sagen: Auch ohne eine gewaltsame Revolution führt der gewerkschaftliche Erfolg zu sozialen Verbesserungen."
    Nach wenigen Tagen wurde das Stinnes-Legien-Abkommen unterzeichnet. Die Arbeitgeber erfüllten darin die alte Forderung, die tägliche Arbeitszeit auf acht Stunden zu reduzieren. Und sie erkannten die Gewerkschaften als Gesprächspartner bei Tarifverhandlungen an.
    Während sich erstaunte Beobachter noch fragten, ob der Kapitalist zum Kommunismus konvertiert sei, wuchs Stinnes weiter. Dank gewaltiger Kredite profitierte er selbst von der Inflation. Doch kurz bevor die Geldentwertung 1923 ihren Höhepunkt erreichte, nutzte er die Krisenstimmung, um mit einer Rede im Reichswirtschaftsrat die Wiederabschaffung des Acht-Stunden-Tags durchzusetzen:
    "Es ist höchste Zeit dem deutschen Volk zu sagen, dass es nicht gleichzeitig einen Krieg verlieren und zwei Stunden weniger arbeiten kann."
    Im Jahr darauf war er mit 600.000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber der Welt – und starb 54-jährig an einem Gallenleiden. Seinen Kindern fehlte die Fortune, das Imperium des Hugo Stinnes zerfiel.