Rüdiger Achenbach: Herr Ginzel, im 19. Jahrhundert wird man voraussetzen müssen, dass mit Napoleon und dem Code Napoleon, den er eingeführt hat - auch in großen Teilen Deutschlands, die Gleichstellung aller Bürger vor dem Gesetz durchgesetzt wurde. Das heißt also, dies betraf auch die Juden – zum Teil von deutschen Staaten, die nun durch Napoleon besetzt waren. Preußen orientiert sich auch an dieser Gesetzgebung im Jahre 1812 mit dem sogenannten Emanzipationsgesetz. Was verändert sich jetzt?
Günther Bernd Ginzel: Nun, es verändert sich natürlich im Grunde genommen erst einmal alles. Juden werden nunmehr erstmals in einer nicht-jüdischen Gesellschaft als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannt. Das ist natürlich eine Zäsur und hat bei den Juden – egal ob jetzt orthodox oder liberal oder was immer sich zu diesem Zeitpunkt herauszukristallisieren begann, eine große Begeisterung und Patriotismus, preußischen Patriotismus, später deutschen Patriotismus und Dankbarkeit ausgelöst, in der nicht-jüdischen Gesellschaft oftmals Angst und Aggression. Denn es war der Abschied der Bevormundung des Staates durch die Kirche. Die Kirche war privilegiert. Das Christentum war sozusagen das Staatsprägende. Wer Christ war, war ein guter Bürger. Später sollte die evangelische Judenmission sagen, wahrer Deutscher kann nur sein, wer wahrer Christ ist. Und wahrer Christ ist der, der wahrer Mensch ist.
Achenbach: Daher auch immer wieder die Aufforderung, dass Juden sich taufen lassen sollen.
Ginzel: Juden sich taufen lassen würden. Und gleichzeitig kam aus dieser Ecke der Widerstand. Der Widerstand kam vor allen Dingen aus der christlich-konservativen Ecke der Kirche, der Gesellschaft, der Junker, des Landadels. Und dann darf man ja nicht vergessen, das Ganze ist ja eingebettet auch in einen ungeheuren wirtschaftlichen und sozialen Umschwung. Wir haben die Anfänge der Industrialisierung. Wir haben das Aufbrechen uralter, Jahrhunderte eingespielter Machtstrukturen, Ständestrukturen. Und das kulminierte dann in der Emanzipation der Juden und für viele wurde sie zum Symbol für die gesamte Verunsicherung, für die Ängste, die sie hatten. Und von daher gab es eben ein hundert Jahre langes Ringen mit Auf und Ab.
Es wurde vieles von der Judenemanzipation in den nächsten zwei Jahrzehnten wieder zurückgenommen. Dann wurde es im Rahmen der Juni/Juli-Revolution von 1830/48 wiederum hinzugegeben. Es war ja auch das Kämpfen eines Bürgertums, das ist ja mit eingebettet, gegen den Ständestaat, gegen die Vormacht des sich christlich definierenden Adels. Dann der Versuch der Unterprivilegierten, der Arbeiter, Teil an der Machtausführung und -kontrolle im Staat zu bekommen. Also ein enormes Ringen, indem sich eben immer wieder dies zuspitzte – an der Stellung der Juden im Pro und Contra emanzipatorischer, grundsätzlich reformatorischer Entwicklung.
Achenbach: Wenden wir den Blick weg von der allgemeinen Gesellschaft auf das Judentum. Was bedeutet diese Entwicklung innerhalb des deutschen Judentums?
Ginzel: Das deutsche Judentum hat in dieser Zeit Grundlagen geschaffen, auf denen heute 80 Prozent der Juden in der Welt sozusagen existieren. Die meisten wissen es gar nicht. Das reicht eben vom Sich-heraus-Bilden eines breiten weit aufgefächerten Reformbereiches, der Bildung, der deutsche Sprache, der Wissenschaft verband mit jüdischem Lernen, mit jüdischer Religiosität. Von daher einzigartig in der bisherigen jüdischen Welt und zum Teil noch heute: der Rabbiner Professor Doktor. Es war eine Selbstverständlichkeit, dass man allgemeine nicht-religiöse Studien betrieb.
Wir haben also auf einmal Rabbiner, an Rabbinerseminaren erzogen, die gleichzeitig Historiker, Ärzte oder Archäologen waren. Eine enorme Bereicherung, weit hinein in den orthodoxen Bereich. Es wäre falsch, die Orthodoxie jetzt immer nur als etwas zu sehen, die das ablehnte. Sie sah in vielen reformatorischen und liberalen Dingen die Aufgabe von Prinzipien, die man nie hätte aufgeben dürfen. Zum Beispiel in der Diskussion: Wie bedeutend und verbindlich ist das mündliche Gesetz, wie verbindlich ist der Glaube an das Kommen des persönlichen Messias oder muss messianische Zeit neu definiert werden?
Achenbach: Wie verbindlich ist das Gebet – mit der Hoffnung auf die Rückkehr in das Land Israel?
Ginzel: Ganz genau.
Achenbach: Ein Streit im 19. Jahrhundert.
Ginzel: Ein enormer Streit bis heute. Die Wissenschaft des Judentums bot nunmehr breit gefächert eine Identität, in der Sie historisch bestimmt, kulturell bestimmt, sprachlich bestimmt Jude sein konnten, ohne das jüdische Zeremonialgesetz einzuhalten. Und in diesem Freiraum, da wird es an einem Punkt deutlich, der bis heute zur Bruchstelle in der inner-jüdischen geworden ist, nämlich: die Stellung der Frau. Um die Stellung der Frau rang sich ein Machtkampf. Erstens mal waren es die Frauen selbst, die nun auf einmal anfingen zu lernen. In der Gesellschaft allgemein und dieses Lernen hörte dann nicht auf in dem Inner-Jüdischen.
Jüdische Frauen waren oftmals an den Universitäten die ersten Studentinnen, die ersten Promovierten. Die Frauenrechtsbewegung ist ohne die Beteiligung der jüdischen Frauen kaum denkbar. Und so erstritten sie in den jüdischen Gemeinden das Wahlrecht, das ihnen die Männer nicht geben wollten – auch nicht die aufgeklärten. Sie hatten ein neues Selbstbewusstsein. Sie lernten. Und das kulminierte darin, dass dann um die Jahrhundertwende Frauen in den reformierten und liberalen Bereichen zugelassen wurden an den Rabbiner-Akademien und Anfang des 20. Jahrhunderts 1908 die erste Frau zum Rabbiner ordiniert wurde.
Achenbach: Sie haben es gerade angesprochen, das Reformjudentum ist im 19. Jahrhundert entstanden –und vor allem aus der Idee heraus, dass das Judentum keine abgeschlossene Religion sein sollte, sondern eine Religion, die sich weiter entwickelt. Das war ja der Grundgedanke – oder ist es bis heute – für das liberale Judentum. Das ist eine ganz neue Richtung, die dort entsteht – in dieser Zeit. Wie kann man den Einfluss dieses Reformjudentums einordnen im 19. Jahrhundert? Ist die Mehrheit des Judentums auf dieser Seite oder ist eher eine Angelegenheit einer Bildungselite?
Ginzel: Nun, das ist natürlich am Anfang eine Bildungselite, eine auch wirtschaftliche Elite. Es war nicht zuletzt die nunmehr durch Bildung und Wissen zum Wohlstand, zu bürgerlichem Wohlstand Kommenden, die nun jetzt auch finanziell die Ausbildung von Rabbinern, von Lehrern, von Schulen unterstützten und die sich das sozusagen leisten konnten. Aber das wurde breit und breiter. Sie haben etwas ganz Wichtiges angesprochen, was im Grundsatz auch das orthodoxe Judentum bejaht: das Judentum nicht statisch, es entwickelt sich nach vorne. Es muss immer wieder neu interpretiert werden, neu angefasst werden.
Achenbach: Fragt also immer wieder neu nach seiner Identität.
Ginzel: Ja. Jesuanische Zeit – also jetzt mal weit zurück – ist von daher ganz klassisch. Die Diskussion, was bedeutet es Jude zu sein, mit dem Ringen zwischen Pharisäern und Sadduzäern und Jesus in der Mitte – das hatten wir jetzt zum Beispiel im 19. Jahrhundert ganz stark. Einerseits entsteht nunmehr ein modernes orthodoxes Judentum, das die Wissenschaft akzeptiert, das durchaus bereit ist, Quellen kritisch zu forschen und trotzdem streng orthodox bleibt. Und wir haben auf der anderen Seite das reformatorische Judentum, das zunehmend den Geist der Zeit widerspiegelt, vor allen Dingen auch mit der Übernahme des Deutschen in den synagogalen Gottesdienst. Der ganz neuen Form von synagogaler Musik, die sich sehr stark an den Protestantischen orientiert.
Achenbach: Die Orgel wird eingeführt.
Ginzel: Die Orgel wird zum Teil eingeführt. Und dieses Judentum repräsentiert nun jetzt die aufstrebende, assimilierte, emanzipierte Schicht des deutschen Judentums. Wobei wir die Orthodoxie da nicht ganz ausgrenzen wollen, aber hier ist sozusagen die freudige Bereitschaft. Und es entsteht etwas ganz Verblüffendes, Herr Achenbach. Gerade dieses sich nun so sehr erst als preußisch, dann als deutsch empfindende Judentum beginnt nun, in der Tradition des ständigen Anpassens und Nachdenkens – in der Hochphase ihrer Situation Ende des 19. zum 20. Jahrhundert in der Weimarer Republik – sich zu ihrem orientalischen Erbe zu bekennen. Es ist dieses assimilierte deutsche liberale Judentum, das nunmehr einen Synagogenbau betreibt, der bereits auf den ersten Blick sich unterscheidet von Kirchen, von sozusagen deutscher Kultur, der ganz bewusst das Maurische nachmacht.
Von Berlin, wo es heute eine der wichtigsten Wahrzeichen ist – in der Oranienburger Straße, was übrig geblieben ist – bis in Köln in der Roonstraße: Küppelchen, Minarette, Maurisches. Man hatte so viel Selbstbewusstsein – als Religion und als emanzipierte Staatsbürger, dass man das religiös Eigenständige auch nach außen im synagogalen Bau dokumentieren konnte.
Günther Bernd Ginzel: Nun, es verändert sich natürlich im Grunde genommen erst einmal alles. Juden werden nunmehr erstmals in einer nicht-jüdischen Gesellschaft als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannt. Das ist natürlich eine Zäsur und hat bei den Juden – egal ob jetzt orthodox oder liberal oder was immer sich zu diesem Zeitpunkt herauszukristallisieren begann, eine große Begeisterung und Patriotismus, preußischen Patriotismus, später deutschen Patriotismus und Dankbarkeit ausgelöst, in der nicht-jüdischen Gesellschaft oftmals Angst und Aggression. Denn es war der Abschied der Bevormundung des Staates durch die Kirche. Die Kirche war privilegiert. Das Christentum war sozusagen das Staatsprägende. Wer Christ war, war ein guter Bürger. Später sollte die evangelische Judenmission sagen, wahrer Deutscher kann nur sein, wer wahrer Christ ist. Und wahrer Christ ist der, der wahrer Mensch ist.
Achenbach: Daher auch immer wieder die Aufforderung, dass Juden sich taufen lassen sollen.
Ginzel: Juden sich taufen lassen würden. Und gleichzeitig kam aus dieser Ecke der Widerstand. Der Widerstand kam vor allen Dingen aus der christlich-konservativen Ecke der Kirche, der Gesellschaft, der Junker, des Landadels. Und dann darf man ja nicht vergessen, das Ganze ist ja eingebettet auch in einen ungeheuren wirtschaftlichen und sozialen Umschwung. Wir haben die Anfänge der Industrialisierung. Wir haben das Aufbrechen uralter, Jahrhunderte eingespielter Machtstrukturen, Ständestrukturen. Und das kulminierte dann in der Emanzipation der Juden und für viele wurde sie zum Symbol für die gesamte Verunsicherung, für die Ängste, die sie hatten. Und von daher gab es eben ein hundert Jahre langes Ringen mit Auf und Ab.
Es wurde vieles von der Judenemanzipation in den nächsten zwei Jahrzehnten wieder zurückgenommen. Dann wurde es im Rahmen der Juni/Juli-Revolution von 1830/48 wiederum hinzugegeben. Es war ja auch das Kämpfen eines Bürgertums, das ist ja mit eingebettet, gegen den Ständestaat, gegen die Vormacht des sich christlich definierenden Adels. Dann der Versuch der Unterprivilegierten, der Arbeiter, Teil an der Machtausführung und -kontrolle im Staat zu bekommen. Also ein enormes Ringen, indem sich eben immer wieder dies zuspitzte – an der Stellung der Juden im Pro und Contra emanzipatorischer, grundsätzlich reformatorischer Entwicklung.
Achenbach: Wenden wir den Blick weg von der allgemeinen Gesellschaft auf das Judentum. Was bedeutet diese Entwicklung innerhalb des deutschen Judentums?
Ginzel: Das deutsche Judentum hat in dieser Zeit Grundlagen geschaffen, auf denen heute 80 Prozent der Juden in der Welt sozusagen existieren. Die meisten wissen es gar nicht. Das reicht eben vom Sich-heraus-Bilden eines breiten weit aufgefächerten Reformbereiches, der Bildung, der deutsche Sprache, der Wissenschaft verband mit jüdischem Lernen, mit jüdischer Religiosität. Von daher einzigartig in der bisherigen jüdischen Welt und zum Teil noch heute: der Rabbiner Professor Doktor. Es war eine Selbstverständlichkeit, dass man allgemeine nicht-religiöse Studien betrieb.
Wir haben also auf einmal Rabbiner, an Rabbinerseminaren erzogen, die gleichzeitig Historiker, Ärzte oder Archäologen waren. Eine enorme Bereicherung, weit hinein in den orthodoxen Bereich. Es wäre falsch, die Orthodoxie jetzt immer nur als etwas zu sehen, die das ablehnte. Sie sah in vielen reformatorischen und liberalen Dingen die Aufgabe von Prinzipien, die man nie hätte aufgeben dürfen. Zum Beispiel in der Diskussion: Wie bedeutend und verbindlich ist das mündliche Gesetz, wie verbindlich ist der Glaube an das Kommen des persönlichen Messias oder muss messianische Zeit neu definiert werden?
Achenbach: Wie verbindlich ist das Gebet – mit der Hoffnung auf die Rückkehr in das Land Israel?
Ginzel: Ganz genau.
Achenbach: Ein Streit im 19. Jahrhundert.
Ginzel: Ein enormer Streit bis heute. Die Wissenschaft des Judentums bot nunmehr breit gefächert eine Identität, in der Sie historisch bestimmt, kulturell bestimmt, sprachlich bestimmt Jude sein konnten, ohne das jüdische Zeremonialgesetz einzuhalten. Und in diesem Freiraum, da wird es an einem Punkt deutlich, der bis heute zur Bruchstelle in der inner-jüdischen geworden ist, nämlich: die Stellung der Frau. Um die Stellung der Frau rang sich ein Machtkampf. Erstens mal waren es die Frauen selbst, die nun auf einmal anfingen zu lernen. In der Gesellschaft allgemein und dieses Lernen hörte dann nicht auf in dem Inner-Jüdischen.
Jüdische Frauen waren oftmals an den Universitäten die ersten Studentinnen, die ersten Promovierten. Die Frauenrechtsbewegung ist ohne die Beteiligung der jüdischen Frauen kaum denkbar. Und so erstritten sie in den jüdischen Gemeinden das Wahlrecht, das ihnen die Männer nicht geben wollten – auch nicht die aufgeklärten. Sie hatten ein neues Selbstbewusstsein. Sie lernten. Und das kulminierte darin, dass dann um die Jahrhundertwende Frauen in den reformierten und liberalen Bereichen zugelassen wurden an den Rabbiner-Akademien und Anfang des 20. Jahrhunderts 1908 die erste Frau zum Rabbiner ordiniert wurde.
Achenbach: Sie haben es gerade angesprochen, das Reformjudentum ist im 19. Jahrhundert entstanden –und vor allem aus der Idee heraus, dass das Judentum keine abgeschlossene Religion sein sollte, sondern eine Religion, die sich weiter entwickelt. Das war ja der Grundgedanke – oder ist es bis heute – für das liberale Judentum. Das ist eine ganz neue Richtung, die dort entsteht – in dieser Zeit. Wie kann man den Einfluss dieses Reformjudentums einordnen im 19. Jahrhundert? Ist die Mehrheit des Judentums auf dieser Seite oder ist eher eine Angelegenheit einer Bildungselite?
Ginzel: Nun, das ist natürlich am Anfang eine Bildungselite, eine auch wirtschaftliche Elite. Es war nicht zuletzt die nunmehr durch Bildung und Wissen zum Wohlstand, zu bürgerlichem Wohlstand Kommenden, die nun jetzt auch finanziell die Ausbildung von Rabbinern, von Lehrern, von Schulen unterstützten und die sich das sozusagen leisten konnten. Aber das wurde breit und breiter. Sie haben etwas ganz Wichtiges angesprochen, was im Grundsatz auch das orthodoxe Judentum bejaht: das Judentum nicht statisch, es entwickelt sich nach vorne. Es muss immer wieder neu interpretiert werden, neu angefasst werden.
Achenbach: Fragt also immer wieder neu nach seiner Identität.
Ginzel: Ja. Jesuanische Zeit – also jetzt mal weit zurück – ist von daher ganz klassisch. Die Diskussion, was bedeutet es Jude zu sein, mit dem Ringen zwischen Pharisäern und Sadduzäern und Jesus in der Mitte – das hatten wir jetzt zum Beispiel im 19. Jahrhundert ganz stark. Einerseits entsteht nunmehr ein modernes orthodoxes Judentum, das die Wissenschaft akzeptiert, das durchaus bereit ist, Quellen kritisch zu forschen und trotzdem streng orthodox bleibt. Und wir haben auf der anderen Seite das reformatorische Judentum, das zunehmend den Geist der Zeit widerspiegelt, vor allen Dingen auch mit der Übernahme des Deutschen in den synagogalen Gottesdienst. Der ganz neuen Form von synagogaler Musik, die sich sehr stark an den Protestantischen orientiert.
Achenbach: Die Orgel wird eingeführt.
Ginzel: Die Orgel wird zum Teil eingeführt. Und dieses Judentum repräsentiert nun jetzt die aufstrebende, assimilierte, emanzipierte Schicht des deutschen Judentums. Wobei wir die Orthodoxie da nicht ganz ausgrenzen wollen, aber hier ist sozusagen die freudige Bereitschaft. Und es entsteht etwas ganz Verblüffendes, Herr Achenbach. Gerade dieses sich nun so sehr erst als preußisch, dann als deutsch empfindende Judentum beginnt nun, in der Tradition des ständigen Anpassens und Nachdenkens – in der Hochphase ihrer Situation Ende des 19. zum 20. Jahrhundert in der Weimarer Republik – sich zu ihrem orientalischen Erbe zu bekennen. Es ist dieses assimilierte deutsche liberale Judentum, das nunmehr einen Synagogenbau betreibt, der bereits auf den ersten Blick sich unterscheidet von Kirchen, von sozusagen deutscher Kultur, der ganz bewusst das Maurische nachmacht.
Von Berlin, wo es heute eine der wichtigsten Wahrzeichen ist – in der Oranienburger Straße, was übrig geblieben ist – bis in Köln in der Roonstraße: Küppelchen, Minarette, Maurisches. Man hatte so viel Selbstbewusstsein – als Religion und als emanzipierte Staatsbürger, dass man das religiös Eigenständige auch nach außen im synagogalen Bau dokumentieren konnte.