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20 Jahre Euro
60 Prozent Schuldenstand "vollkommen willkürlich"

20 Jahre nach Einführung des Euro forderte der Ökonom Peter Bofinger, Deutschland solle einfach mal über den Tellerrand schauen. Dass man große Währungsräume ohne Neuverschuldung stabil am Laufen halten könne, sei eine deutsche Idee, sagte Bofinger im Dlf - und kritisierte Fehler der europäischen Geldpolitik.

Peter Bofinger im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 28.12.2018
    Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Wirtschaftsweiser).
    Zu den Fehlern der Währungsunion gehört, dass Deutschland als eines der wettbewerbsstärksten Länder in den 2000er-Jahren seine Löhne kaum erhöht hat, sagte Experte Bofinger im Dlf (imago / IPON)
    Jörg Münchenberg: Vor fast genau 20 Jahren wurde der Euro eingeführt, am 1. Januar 1999 zunächst als Buchgeld, drei Jahre später dann auch als Bargeld. Zunächst gab es nur elf Mitgliedsländer, mittlerweile umfasst die Eurozone 19 Staaten. Die Entwicklung der Währungsunion verlief durchaus turbulent, gerade nach der Finanz- und Schuldenkrise, die fast auch zum Austritt Griechenlands aus der Eurozone geführt hätte, und bis heute gibt es immer wieder Streit um die Auslegung und Einhaltung der Spielregeln.
    Ob der 20. Geburtstag des Euro trotzdem ein Grund zum Feiern ist, das habe ich vor der Sendung den Wirtschaftsweisen Peter Bofinger von der Universität Würzburg gefragt.
    Peter Bofinger: Ich glaube, man muss da ein gemischtes Urteil abgeben. Insgesamt, glaube ich, ist es gut, dass wir das versucht haben mit dem Euro. Auf der anderen Seite ist es klar, es ist keine richtige Erfolgsgeschichte, aber man muss dabei auch berücksichtigen, dass wir auch eine schwierige Zeit hinter uns haben, nämlich die Zeit der großen Finanzkrise, und das hat eigentlich kein großer Währungsraum völlig unbeschadet überstanden.
    EZB habe zu spät auf Krise von 2008 reagiert
    Münchenberg: Aber ich glaube, griechische Wissenschaftler, dessen Bilanz würde wahrscheinlich doch deutlich trister ausfallen. Es gibt weiterhin eine riesige Staatsverschuldung in Griechenland, die Arbeitslosenquote liegt bei 19 Prozent. Zum Vergleich: die deutsche ist bei 3,4 Prozent. Also aus griechischer Sicht wird die Bilanz doch sicherlich deutlich dramatischer ausfallen.
    Bofinger: Es ist eben so, dass auch viele Fehler gemacht worden sind. Ich glaube, die Institution des Euro ist an sich gar nicht so schlecht, aber man hat in der Krise seit 2008 viele Fehler gemacht. Zu den Fehlern gehört, dass die Europäische Zentralbank viel zu spät erkannt hat, wie gravierend die Krise ist, viel später und viel schwächer als andere Notenbanken reagiert hat, und zu den Fehlern gehört auch, dass man dann auch eine Austeritätspolitik im Euroraum verfolgt hat, die so in anderen Währungsräumen, also in den Vereinigten Staaten, in Japan oder in Großbritannien, die verfolgt wurde. Es wurde also auch diese Institution falsch behandelt, mit dem Ergebnis, dass es da natürlich auch Länder gibt, die jetzt eine sehr, sehr ungünstige Bilanz haben.
    Münchenberg: Aber gehört zur Wahrheit nicht auch die fehlende Konvergenz in der Eurozone, Stichwort, dass die wirtschaftliche Lage in den einzelnen Mitgliedsstaaten doch viel zu unterschiedlich ist, weshalb wir auch die Europäische Zentralbank mit ihrer Geldpolitik immer wieder an ihre Grenzen stößt?
    Bofinger: Wenn Sie jetzt die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank mit der Geldpolitik der japanischen Notenbank oder auch der Geldpolitik in den Vereinigten Staaten vergleichen, dann ist die ja gar nicht so unterschiedlich. Also große Anleihekäufe, das wurde ja auch in den Vereinigten Staaten gemacht. Das wird nach wie vor in Japan gemacht. Nullzinsen, das gibt es in Japan schon seit vielen, vielen Jahren. Also wenn man sich das einfach mal im globalen Kontext ansieht, ist das, was die Europäische Zentralbank macht, gar nicht so ungewöhnlich.
    Für mich ist eher das Problem, dass die Europäische Zentralbank zu spät mit den Anleihekäufen begonnen hat, erst eigentlich im Jahr 2015. Andere Notenbanken waren schon 2008, 2009 dabei. Also das gehört zu den Fehlern der Geldpolitik, die auch dann erhebliche realwirtschaftliche Folgen für den Euroraum gehabt haben.
    "Zugunsten Deutschlands, zulasten der anderen Länder"
    Münchenberg: Aber auf der anderen Seite ja auch die Tatsache, dass die Mitgliedsstaaten der Eurozone ja auch wirtschaftlich, auch was ihre Wettbewerbsfähigkeit angeht, doch sehr große Ungleichgewichte aufweisen und das auch zu diesen Spannungen innerhalb der Eurozone geführt hat.
    Bofinger: Ich glaube, das wird häufig behauptet, dass Länder, die unterschiedlich wettbewerbsstark sind, nicht Mitglieder einer Währungsunion sein können, aber entscheidend ist, wenn Länder unterschiedlich wettbewerbsfähig sind, dass auch die Löhne diese Unterschiede auch reflektieren. Also die Produktivitätsunterschiede müssen sich in den Lohnunterschieden reflektieren, und zu den Fehlern der Währungsunion gehört es, dass Deutschland als eines der besonders wettbewerbsstarken Ländern in den 2000er-Jahren seine Löhne nicht mehr richtig erhöht hat, sich also so verhalten hat, als wäre es wettbewerbsschwach und damit gravierende Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit geschaffen hat zugunsten Deutschlands, zulasten der anderen Länder.
    Münchenberg: Nun gab es ja, um noch mal ein bisschen nicht zu weit zurückzublicken, den Haushaltsknatsch mit Italien und den Formelkompromiss mit der Europäischen Kommission. Das sagen zumindest Kritiker, die sagen, die hohe Verschuldung wird nicht abgebaut, das Defizitverfahren aber wird eingestellt. Was bewirken solche Entscheidungen, welche Signale gehen davon aus, auch in anderen Mitgliedsländern in der Eurozone?
    Bofinger: Ich glaube, wir müssen in Deutschland einfach mal über den Tellerrand schauen, uns die Welt ansehen, und dann stellen wir fest, dass in allen großen Währungsräumen erhebliche Haushaltsdefizite vorliegen. Das gilt für die Vereinigten Staaten, das gilt für das Vereinigte Königreich, das gilt in besonderem Maße für China. Also die Idee, dass man große Währungsräume ohne Neuverschuldung stabil am Laufen halten kann, das ist eine deutsche Idee, die so in der Realität in anderen Räumen nicht zu finden ist, und deswegen ist das nicht so dramatisch, wenn Länder im Euroraum, wie jetzt Frankreich, wie jetzt Italien, wenn die Defizite in der Größenordnung von drei oder zwei Prozent haben.
    "Schuldenstandkriterium nicht wissenschaftlich abgeleitet"
    Münchenberg: Das heißt aber, würden Sie soweit gehen und sagen, auch die Maastricht-Kriterien sind eigentlich vollkommen willkürlich?
    Bofinger: Also das Schuldenstandskriterium ist sicher vollkommen willkürlich. Für das gibt es überhaupt keinen Grund, dass jetzt 60 Prozent Schuldenstand eine angemessene Größe ist. Wenn Sie sich die Vereinigten Staaten angucken, die haben einen Schuldenstand von 100 Prozent. Wenn Sie nach Japan gehen, die haben einen Schuldenstand von etwa 250 Prozent. Das heißt also, die 60 Prozent, die sind ja auch nicht wissenschaftlich abgeleitet, wie man das vielleicht erwarten würde, sondern das war einfach der Durchschnitt der Schuldenstände Anfang der 90er-Jahre der Mitgliedsstaaten damals. Deswegen, glaube ich, sollte man jetzt nicht krampfhaft versuchen, solche Schuldenstandsquoten einzuhalten, wenn man gar nicht weiß, ob das überhaupt sinnvoll ist als Zielgröße der Finanzpolitik.
    Münchenberg: Aber braucht nicht gerade auch eine Währungsunion bestimmte Regeln, und die Regeln müssen dann auch durchgesetzt werden, oder zumindest sollten sich alle an die halten, was ja erwiesenermaßen jetzt bei Frankreich oder auch Italien nicht zwingend der Fall ist?
    Bofinger: Also Fakt ist, dass die Neuverschuldung im Euroraum in den vergangenen zehn Jahren weitaus geringer war als in den USA, als in Großbritannien, als in Japan. Das heißt also, der Euroraum ist durchaus im internationalen Vergleich, gegen die unglaublich schwierige Lage, in der sich die Weltwirtschaft seit der Finanzkrise befindet, ist der Euroraum eine Region gewesen, die fiskalisch viel resignierter war als alle anderen Länder, was vielleicht gar nicht so gut war.
    Münchenberg: Das heißt aber trotzdem, Sie sagen auch, dass dieser Regelbruch oder dass man da milde drüber hinwegsieht, dass die Regeln nicht so eingehalten oder sehr weit ausgelegt werden, auch das ist nicht schlimm.
    Bofinger: Also Regelbruch, glaube ich, ist auch wirklich das falsche Wort. Die Regeln sind immer formal eingehalten worden, denn der Stabilitäts- und Wachstumspakt sieht ja eine große Flexibilität vor, und deswegen würde ich sagen, im Zweifel war es besser, dass man seit etwa 2013 nicht mehr diese strikte Austerität gefahren hat im Euroraum, denn das hat ja jetzt dazu geführt, dass der Euro seitdem wieder wächst, dass seitdem die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Wie gesagt, man muss sich nur mal die anderen großen Währungsräume ansehen: Keines dieser Länder hat jetzt ein ausgeglichenes Defizit. Es sind alle weit davon entfernt.
    "Spielraum für Zukunftinvestition"
    Münchenberg: Herr Bofinger, lassen Sie uns noch mal zum Schluss nach vorne schauen. Wir gehen jetzt in das Jahr 2019 rein. Wie gut ist die Eurozone Ihrer Meinung nach für mögliche weitere Krisen jetzt gewappnet? Die Europäische Zentralbank hat ja ihr Pulver weitgehend verschossen, der Leitzins liegt bei null Prozent. Also wie gut ist Europa für eine neuerliche Krise vorbereitet?
    Bofinger: Sie haben das ja gesagt, geldpolitisch bestehen da wenig Spielräume, das ist überhaupt keine Frage, und wenn die nächste Krise kommt, dann ist das sicher Aufgabe der Fiskalpolitik, dann entsprechend Gas zu geben. Da gibt es ja Länder wie Deutschland, die enorme Spielräume haben.
    Münchenberg: Also mehr Geld auszugeben, mehr zu investieren.
    Bofinger: Eben. Wenn tatsächlich, wie Sie das jetzt einfach mal angenommen haben, wenn jetzt eine gravierende Rezession kommt, was ich nicht für wahrscheinlich halte, gibt es ja in den meisten Mitgliedsstaaten doch erhebliche Spielräume, um dann über mehr Investition, Steuersenkung, dann auch die Konjunktur wieder anzukurbeln.
    Münchenberg: Ihr Blick kurz in die Glaskugel, Ihre Prognose für 2019, wird für die Eurozone eher ruhiger oder doch wieder sehr turbulent?
    Bofinger: Also ich glaube, es wird nicht leicht, dieses Jahr 2019, aber man sieht ja, was ich als größtes Problem ansehe, dass in Italien ja durchaus jetzt anstelle der Konfrontation eine Kompromissbereitschaft da ist, und ich glaube, was wichtig ist, dass wir auch in Deutschland uns fragen, was können wir tun, wie wir dazu beitragen, dass im Euroraum mehr investiert wird, mehr Spielraum für Zukunftsinvestition da ist, und ich glaube, das ist der wichtigste Beitrag dafür, dass die Eurozone im nächsten Jahr prosperiert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.