Donnerstag, 18. April 2024

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25 Jahre Mauerfall
"Wir hatten die Grenzöffnung nicht so schnell erwartet"

Hubert Védrine war Berater des früheren französischen Präsidenten Francois Mitterrand, der maßgeblich an der Wiedervereinigung politisch beteiligt war. In einem Rückblick im DLF spricht er über den 09. November 1989 und die politischen Ereignisse von heute in der Ukraine.

Burkhard Birke im Gespräch mit Hubert Védrine | 07.11.2014
    Historische Geste: Der französische Staatspräsident Francois Mitterrand (l) und Bundeskanzler Helmut Kohl reichen sich am 22.9.1984 über den Gräbern von Verdun die Hand.
    Historische Geste: Der französische Staatspräsident Francois Mitterrand (l) und Bundeskanzler Helmut Kohl reichen sich am 22.9.1984 über den Gräbern von Verdun die Hand. (picture-alliance / dpa / Wolfgang Eilmes)
    Friedbert Meurer: Die beiden Deutschland und die vier Mächte haben nach dem Mauerfall über die Wiedervereinigung verhandelt. Mit dabei war Hübert Védrine. Berater de französischen Präsidenten Mitterrand, damals. Später wurde er Außenminister Burkhard Birke hat ihn gestern in Berlin getroffen und ihn gefragt, was ihm heute, 25 Jahre nach dem Mauerfall, durch den Kopf geht.
    Hubert Védrine: Im Umfeld von Präsident Mitterrand waren wir uns einig, dass die Einheit in den nächsten Jahren kommen würde. Das war seine Analyse aufgrund des Abstiegs der Sowjetunion. Wir hatten jedoch nicht erwartet, dass die Mauer und die Grenzen so schnell geöffnet würden. Wir hatten das erst für den Zeitpunkt erwartet, zu dem Deutschland wiedervereint würde.
    Burkhard Birke: Noch im Dezember 1989 besuchte Präsident Mitterand Ostberlin, hat die DDR besucht. Lag das daran, dass er, um mit den Worten von Francois Mauriac, dem französischen Schriftsteller zu sprechen, Deutschland so liebte, dass er am liebsten zwei behalten wollte?
    Védrine: Nein. Nach seiner Wiederwahl 1988 hatte Francois Mitterrand beschlossen, sämtliche Länder Osteuropas zu besuchen, weil er überzeugt davon war, dass Gorbatschow die Dinge verändern wollte.
    Er wusste, dass Gorbatschow niemals kommunistische Regime mit Gewalt an der Macht halten würde. Damit war für ihn klar, dass sämtliche Regierungen dort todgeweiht waren und deshalb wollte Mitterrand die Zeit danach vorbereiten.
    Der Besuch war also Teil eines großen, von langer Hand vorbereiteten Plans, über den Helmut Kohl übrigens im Bilde war. Im November 1989 stellte er sich allerdings schon die Frage, ob er an der lang geplanten Reise festhalten sollte. Mit seinem Zehn-Punkte-Plan und der Idee zunächst einer Konföderation, Föderation und dann der Wiedervereinigung erweckte Kohl jedoch den Eindruck, es würde noch Jahre dauern. Deshalb dachte Francois Mitterrand, Frankreich könnte bei dem Übergangsprozess eine nützliche Rolle spielen, und hielt an dem Besuch fest.
    Das war im Übrigen auch die Haltung von US Präsident Bush, der seinen Außenminister mit der gleichen Intention nach Ostberlin geschickt hatte.
    Gemeinsamen Währung als Krönung der EU
    Birke: Ein vereintes Deutschland in einem einigeren Europa: Das war die Devise die Präsident Mitterrand und Kanzler Kohl damals ausgegeben haben. Mitterrand hat verlangt, dass das vereinigtere Europa auch eine gemeinsame Währung einführt. Das war der Preis sozusagen für die deutsche Einheit, behauptet man. War das damals ein Fehler, den Euro einzuführen? Wäre es nicht besser, wenn Frankreich noch abwerten könnte?
    Védrine: Das war nicht ein Preis, denn seit geraumer Zeit bereits dachten die Mitglieder der Europäischen Union über die Einführung einer gemeinsamen Währung als Krönung der Wirtschaftsgemeinschaft nach. Es gab also keine brutale, unerwartete Forderung, sondern es lag in der Logik der Wirtschaftsgemeinschaft. Klar war aber auch, dass ein deutscher Kanzler, eine so schwerwiegende Entscheidung wie die Aufgabe der D-Mark für eine Gemeinschaftswährung nur unter ganz besonderen, dramatischen Umständen treffen konnte. Diese Umstände waren mit der Wiedervereinigung gegeben und Helmut Kohl war auf der Höhe der Zeit, indem er diese Entscheidung getroffen hat.
    Aus französischer Sicht war es ganz gewiss kein Fehler. Es war besser, eine Einheitswährung zu haben, als nur – Entschuldigen Sie - in der D-Mark- Zone zu existieren. Was ich aus französischer Perspektive bedauere ist, dass wir nicht die Reformen auf den Weg gebracht haben wie die Regierung Gerhard Schröder. In Frankreich wurde nicht reformiert, und dafür zahlen wir jetzt den Preis. Es geht also nicht darum, abwerten zu können, sondern unser Problem ist, dass wir im Gegensatz zu anderen nicht reformiert haben.
    Ukraine nicht mit Deutschland vergleichbar
    Birke: Hubert Védrine: Vor 25 Jahren fiel kein Schuss bei dieser Revolution. Das ist das Wunderbare an dieser, wie wir sie nennen, friedlichen Revolution. Vor einem Jahr demonstrierten und protestierten die Menschen auf dem Maidan. Was ist schief gelaufen? Warum konnte da keine friedliche Revolution zustandekommen?
    Védrine: Man kann das nicht vergleichen: Die Ukraine ist historisch betrachtet ein geteiltes Land. Immer als die Ukraine unabhängig war, gab es Spannungen aufgrund der heterogenen Bevölkerungsstruktur. In Ost und Westdeutschland hingegen war die (Bevölkerungsstruktur) nicht heterogen, obwohl es natürlich unterschiedliche Sozialisierungen gab.
    Hinzukommt, dass die Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit extrem schlecht regiert wurde. Ich glaube man hätte das tun sollen, was die sogenannten Falken wie Kissinger und Brezinski schon seit Langem empfehlen: Die Ukraine darf nicht in die NATO, muss ein Föderalstaat werden und wie Finnland bei seinen Außenengagements neutral bleiben.
    Dafür hätte man im Gegenzug doppelte Garantien geben können, auch durch die NATO. Diesbezüglich war die amerikanische Politik, speziell die von George W. Bush, total fehlgeleitet und hat der Sache der Ukraine geschadet. Deshalb konnte der demokratische Aufstand nicht so wie damals in Deutschland ablaufen.
    Birke: Jetzt haben wir die Situation, dass die Ukraine noch immer im Konflikt steht. Glauben Sie, dass es sinnvoll wäre, aus Ihrer Perspektive auch als ehemaliger Außenminister der Republik Frankreich, die Sanktionsschraube weiter anzuziehen?
    Putin steckt wie der Westen in einer Sackgasse
    Védrine: Ich glaube nicht, dass man mit Sanktionen die Russen zum Einlenken bewegen kann. Natürlich ist es richtig, dass es einen neuen russischen Nationalismus gibt, den Putin verkörpert, was ihm übrigens jetzt auch einiges an Problemen beschert, aber auch durch die orthodoxe Kirche.
    Ich kenne nur ganz wenige Fälle, in denen Sanktionen wirklich zum Ziel geführt haben. Aber dutzende Sanktionen sind im Laufe der letzten Jahrzehnte von den westlichen Staaten verhängt worden, und nur in zwei, drei Fällen haben sie gewirkt. Es ist eine Sackgasse - für Putin, den ich keineswegs in Schutz nehmen möchte – aber er steckt in einer Sackgasse, aber der Westen auch. Wir müssten jetzt eine Lösung suchen, um aus dieser Lage wieder herauszukommen.
    Birke: Und die Annektierung der Krim anerkennen?
    Védrine: Die Annektierung der Krim müssen wir jetzt nicht anerkennen. Dazu gibt es keine Veranlassung. Zunächst geht es jetzt darum, Putin auf die Souveränität der Ukraine zu verpflichten und dazu, das Autonomiebestreben der russischsprachigen Bevölkerung der Ostukraine nicht auszunutzen – die im Übrigen nicht komplett von Russland manipuliert wird. Die Frage ist auch, welche Zugeständnissen der ukrainische Präsident Poroschenko diesen Regionen macht, wie die Sicherheit garantiert wird, et cetera.
    All diese Fragen müssten in einem intelligenten Kompromiss geklärt werden. Der müsste von Kanzlerin Merkel, Frankreich, Polen ausgehandelt und letztlich von US Präsident Obama abgesegnet werden. Ein klassischer diplomatischer Kompromiss eben, allerdings scheint momentan jedes Land, jeder Führer auf seiner Position zu beharren. Jedenfalls erwecken sie nicht den Eindruck, wirklich eine Lösung zu suchen.
    Birke: Vielen Dank. Merci
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.