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250. Geburtstag von Friedrich Schleiermacher
Ein protestantischer Dalai Lama?

Friedrich Schleiermacher wurde geboren am 21. November 1768 in Breslau. Er war vor allem evangelischer Theologe und Philosoph, aber auch Altphilologe, Staatstheoretiker oder Kirchenpolitiker. Er beeinflusst einige Theologen bis heute. Dennoch hat ihn nicht jeder auf dem Schirm.

Von Alexander Grau | 16.11.2018
    Portrait in schwarz-weiß von Schleiermacher. Das Aufnahmedatum 1.1.1900 ist nur geschätzt.
    Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher im Porträt (Imago / Leemage)
    Achten Sie mal drauf, wie oft Sie in der kommenden Woche den Namen Schleiermacher hören oder lesen oder sehen. Ich tippe: Das hält sich in Grenzen. Dabei gehört Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, so sein vollständiger Name, zu den größten Theologen der Neuzeit. Nicht wenigen gilt er als "Kirchenvater des 19. Jahrhunderts".
    Und dennoch: Es ist still geworden um den Namen Schleiermacher. Dabei war der 1768 in Breslau geborene Gelehrte nicht nur ein großer Theologe, sondern ganz nebenbei auch noch der epochale Übersetzer der Werke Platons, ein prominenter Bildungspolitiker und einer der wichtigsten deutschen Intellektuellen des beginnenden 19. Jahrhunderts.
    Epochemachende Schriften
    Doch Schleiermachers größte Leistung liegt ohne Zweifel in seinem Stammgebiert: der Theologie. Das ist vielleicht auch schon der Grund dafür, dass er aus dem öffentlichen Bewusstsein weitgehend verschwunden ist. Denn für intellektuelle Leistungen in der Theologie begeistert sich heutzutage kaum noch jemand. Statt über die Grundlagen des Glaubens in einer modernen Welt nachzudenken, sich Gedanken zu machen, gefallen sich die Kirchen lieber in moralischer Rührseligkeit und gesellschaftspolitischen Plattitüden.
    Der Philosoph Alexander Grau.
    Der Philosoph Alexander Grau. (Michael Lebed)
    Anders Schleiermacher. Auf die Glaubenskrise, in die das Christentum angesichts der Aufklärung geraten war, reagierte er 1799 mit einer epochemachenden Schrift. Ihr programmatischer Titel: "Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern".
    Religion, so argumentierte der damals 31-Jährige, sei nicht mit Metaphysik oder Moral zu verwechseln. Kurz und bündig formulierte er vielmehr: "Religion ist Sinn und Geschmack für das Unendliche". Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, heißt es ein paar Absätze weiter: Anschauen des Universums, dieser Begriff "ist die allgemeinste und höchste Formel der Religion".
    Provokante Botschaft bis heute
    Das war revolutionär. Denn Schleiermacher präsentiert hier einen Begriff von Religion, der ohne Gott und ohne bestimmte religiöse Lehrsätze auskommt. Religion ist das Anschauen des Unendlichen. Was die Religionen unterscheidet, sind lediglich kulturell bedingte Geschichten und Rituale, die den religiösen Gefühlen einen regionalen Ausdruck geben.
    Das war hart an der Grenze zur Ketzerei. Dass seine Schrift "Über die Religion" keinen Skandal verursachte, hat vor allem mit den Zeitumständen zu tun: Es sind die Jahre des Aufstiegs Napoleons, seiner Feldzüge, des Untergangs der alten europäischen Ordnung. Erst mit Verzögerung stößt Schleiermachers Schrift auf Resonanz. Doch dann wird sie nicht nur zur Grundlage eines aufgeklärten Protestantismus, sondern zum Wegbereiter moderner Religionspsychologie und -wissenschaft.
    1821, Schleiermacher ist inzwischen Professor an der Berliner Universität, veröffentlicht er seine umfangreiche Glaubenslehre. Aus dem, wie er es nun nennt, Gefühl "schlechthinniger Abhängigkeit" entwickelt er dort die zentralen Glaubenssätze des Christentums. Seine Botschaft: Das Christentum gründet nicht in der Offenbarung, sondern im religiösen Selbstbewusstsein des Menschen.
    Diese Botschaft provoziert noch 200 Jahre später. Das sieht man auch daran, wie die Deutsche Post AG Schleiermacher auf Briefmarken inszeniert: Auf ihrer aktuellen Gedenkmarke wird ihm ein süßlicher Sinnspruch verpasst - wie einem protestantischen Dalai Lama. Das ist ärgerlich. Und zeigt zugleich, wie rückständig die aktuelle öffentliche Diskussion über Religion ist. Grund genug also wieder Schleiermacher selbst zu lesen.