Sonntag, 12. Mai 2024

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30 Jahre Friedliche Revolution
Uneinigkeit beim Gedenken an SED-Unrecht

1989 gingen immer mehr Menschen in der DDR gegen das SED-Regime auf die Straße. Die Proteste endeten mit dem Mauerfall und dem Ende der DDR. 30 Jahre später will der Bundestag die Freiheitskämpfer und die Opfer der SED würdigen. Doch über das Wie sind sich nicht alle einig.

Von Gudula Geuther | 06.06.2019
Einen Tag nach der Grenzöffnung in Berlin feiern tausende Menschen auf, vor und hinter der Berliner Mauer am Brandenburger Tor, aufgenommen am 10. November 1989 auf West-Berliner Seite. Die innerdeutsche Grenze, die das Land seit 1961 geteilt hat, hört praktisch auf zu existieren. Es wird allerdings noch mehrere Wochen dauern, bis auch am Brandenburger Tor, dem Berliner Wahrzeichen, die Mauer für einen Grenzübergang geöffnet wird. | Verwendung weltweit
Die Demonstrationen 1989 gipfelten im Mauerfall im November (picture alliance / Peter Zimmermann)
An sich sind sich die Redner aller Fraktionen in vielem einig. Im Dank an die Ostdeutschen, die vor 30 Jahren die friedliche Revolution bewerkstelligt haben, im Gedanken an die Opfer der DDR. In einem Antrag der Koalition aus CDU/CSU und SPD wird der Weg bis zur deutschen Wiedervereinigung nachgezeichnet, es wird ein Denkmal verlangt, ein Fonds für Härtefälle angeregt. Und, so die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann, "Unrecht hat kein Verfallsdatum. Und deshalb setzen wir uns auch ein für einen Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur!"
Und doch ist das Gedenken schwierig nach 30 Jahren. Freiheit kann auch Enttäuschung bedeuten, betont Katrin Budde von der SPD:
"Und dass in den Jahren danach zu viele Menschen enttäuscht und verbittert geworden sind und zu viele Menschen heute den verklärten Blick zurück haben und die Demokratie, die wir so mühsam errungen haben, in Frage stellen, ihren Wert nicht mehr so deutlich sehen, das ist gefährlich. Und ich frage mich wirklich mit Schaudern: Wann haben so viele Menschen die Angst vor der Diktatur verloren?"
Kritik an der AfD - direkt und indirekt
Der CSU-Innenpolitiker Volker Ullrich warnt vor historischen Missdeutungen:
"Der Begriff 'Wir sind das Volk' war eine Forderung nach Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Und wer Menschen herabsetzt oder ausgrenzt, oder sie wegen ihrer Herkunft und Religion entwürdigt, kann nicht in Anspruch nehmen, für das Volk zu sprechen."
Mal wird die AfD direkt, mal indirekt angesprochen. Für sie bezeichnet dagegen Tino Chrupalla den Antrag der Koalition und einen weiteren der FDP als verzweifelten Versuch der Schadensbegrenzung:
"Sie haben das Vertrauen der Wähler in Ostdeutschland verspielt. Und das wissen sie auch. Das erscheint mir die eigentliche Motivation hinter diesen beiden Anträgen."
Dankbarkeit und Versäumnisse
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke setzt dem einen positiven Blick entgegen – wenn auch keinen ungetrübten: "Ich glaube, wenn wir heute zurück gucken, muss man dankbar sein für das, was wir erreicht haben. Die schweren 90er-Jahre sin überstanden – auch dank der Hilfe, der Solidarität insgesamt, für die ich hier mal Danke sagen möchte. Aber wenn man Danke sagt, heißt das auch gleichzeitig: Es gibt noch viel zu tun."
Der SPD-Politiker meint gleiche Rente und gleichen Lohn.
Die Grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckart meint auch den Umgang mit den Opfern der DDR, für die der Koalitionsantrag neben dem Beauftragten weitere Hilfen vorsieht. Zu spät, meint Göring-Eckart: "Die Frage der Heimkinder, der Zwangsadoptierten, die Frage der Opfer des SED-Unrechtes, die heute ja immer noch eine schwierige soziale Lage haben – Sie müssen sich fragen lassen: Warum haben Sie das nicht längst gemacht?"
Während es Matthias Höhn von der Linkspartei auch um die Art geht, wie auf die DDR zurückgeblickt wird: "Die DDR-Gesellschaft wird im Antrag der Koalition und auch der FDP weithin auf einzelne Punkte reduziert: Diktatur, Widerstand und Zwang. Alles andere aus der DDR bleibt für Sie ein Niemandsort." So könnten Lebensleistungen nicht gewürdigt werden.
Keine Wende, sondern friedliche Revolution
Bei aller Uneinigkeit, bei allem Streit um die nachträgliche Deutung herrscht in einem Konsens. Was 1989 passierte, war keine Wende. Linda Teuteberg, die FDP-Generalsekretärin, ist nicht die einzige, die sich von diesem Begriff distanziert: "Die SED versuchte den Eindruck zu erwecken, nicht etwa mutige Bürger hätten hier ihre Freiheit erkämpft, sondern die SED hätte plötzlich eingesehen, Reformen auf den Weg bringen zu müssen." Und so bleibt es beim vielfältigen Blick auf das, was alle die friedliche Revolution nennen.