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30 Jahre Game Boy
Die Geburt eines Design-Klassikers

Vor dreißig Jahren blickten Menschen im Bus noch nicht auf ihr Smartphone, sondern erstmals auf den Game Boy. Heute ist die tragbare Spielkonsole von Nintendo aus der Gegenwartskultur kaum noch wegzudenken, sagte der Kulturwissenschaftler Christian Huberts im Dlf.

Christian Huberts im Gespräch mit Anja Buchmann | 18.04.2019
Ein Kind spielt auf einem originalen Game Boy das Spiel Tetris.
Ein Kind spielt auf einem originalen Game Boy das Spiel Tetris (imago)
Anja Buchmann: Neulich bei einer 82 jährigen Freundin von mir beim analogen Spieleabend – und was liegt da auf ihrem Wohnzimmertisch? Ein Gameboy. Den sie ab und zu auch noch benutzen würde, wie sie sagte, wie auch schon in den 90ern. Heute sind es Spiele auf dem Smartphone, früher dominierte der unscheinbare, graue Kasten fast im Alleingang die Welt der mobilen Games. Die tragbare Spielkonsole des japanischen Unternehmens Nintendo wurde erstmals am 21. April 1989 veröffentlicht und feiert damit nun schon ihr 30. Jubiläum. Über die Geschichte des Game Boy und seinen Einfluss auf die heutige Spiel- und Pop-Kultur spreche ich nun mit dem Kulturwissenschaftler Christian Huberts. Guten Tag.
Christian Huberts: Guten Tag.
Anja Buchmann: Herr Huberts, wem haben wir denn den Game Boy zu verdanken?
Mehr als 118 Millionen mal verkauft
Christian Huberts: Hauptverantwortlich für den Game Boy war der japanische Elektroingenieur Gunpei Yokoi, ein langjähriger Mitarbeiter von Nintendo, der dort seit den 1960ern eigentlich für die Wartung der Fließbänder des damaligen Spielkarten-Unternehmens zuständig war. Der Nintendo-Präsident Hiroshi Yamauchi erkannte aber das große, erfinderische Talent von Yokoi und hat ihn mit der Erfindung neuer Spielzeuge betraut. Und der Anekdote nach soll Yokoi dann bei einer Zugfahrt einen Geschäftsmann dabei beobachtet haben, wie er aus Langeweile auf einem elektronischen Taschenrechner herumgespielt hat. Die Idee für Game & Watch war geboren. Sehr einfache, tragbare LCD-Spielgeräte, die seit 1980 auf den Markt kamen und ein großer, finanzieller Erfolg für Nintendo wurden. Das Game & Watch-Design hat bereits viele Kernelemente des Game Boy vorweg genommen, allen voran das von Gunpei Yokoi erfundene Steuerkreuz, das bis heute auf unzähligen Spielcontrollern zu finden ist. 1989 erschien dann mit dem Game Boy Yokois konsequente Weiterentwicklung von Game & Watch in Japan und wurde seitdem weltweit mehr als 118 Millionen mal verkauft.
Anja Buchmann: Dabei war der Game Boy – im Vergleich zur technologisch überlegenen Konkurrenz – ja schon damals eher altbacken. Wie erklären sie sich dennoch den großen Erfolg?

Christian Huberts: Das stimmt, Nintendo kämpft bis heute mit dem Image, technologisch stets einen Schritt hinterher zu hinken. Im Nachhinein entpuppt sich diese bewusste Designphilosophie aber oft als Vorteil. So boten die zeitnah zum Nintendo Game Boy erschienenen, tragbaren Konsolen Atari Lynx und Sega Game Gear zwar schon beleuchtete Farb-Displays, aber damit war auch die Haltbarkeit der Batterien massiv verkürzt. Dank monochromen Display und fehlender Beleuchtung war der Game Boy hier deutlich sparsamer. Weniger war also mehr. Die Spielenden hat die altbackene Technik nicht gestört, weil die Qualität der Spiele trotzdem gestimmt hat.
Anja Buchmann: Tetris zum Beispiel.

Christian Huberts: Genau. Das Schicksal von Tetris und dem Game Boy ist eng miteinander verknüpft. Zwar erschien Tetris schon Jahre vor dem Game Boy, aber erst durch den Game Boy wurde es zu einem weltweiten Erfolg. Umgekehrt hat sich der Game Boy auch so gut verkauft, weil jedem Gerät bereits Tetris beilag.
Anja Buchmann: Wie macht sich der Einfluss des Game Boy auf heutige Spiele bemerkbar?
Vorwegnahme moderner Smartphone-Spiele
Christian Huberts: Vor allem Nintendo zitiert sich immer wieder selbst. Viele ihrer aktuellen Spiele wie "Super Smash Bros. Ultimate" nutzen zum Teil Grafiken und Geräusche aus Game Boy-Spielen. Spielserien wie "Pokémon", die auf dem Game Boy erstmals veröffentlich wurden, werden bis heute fortgesetzt. Und Game Boy-Klassiker wie "The Legend of Zelda: Link's Awakening" werden für moderne Nintendo-Konsolen wieder neu aufgelegt. Im Grunde genommen hat der Game Boy auch moderne Smartphone-Spiele vorweggenommen. Schnell zu verstehen und kurzweilig genug, um die Wartezeit zwischen zwei U-Bahn-Stationen zu überbrücken. Damit hat der Game Boy – so wie Smartphones heute auch – schon in den 1990ern ganz neue und diverse Zielgruppen angesprochen. Daneben arbeiten sich vor allem kleinere Indie-Entwickler nostalgisch an der Game Boy-Ästhetik ab. Die freiwillige Reduktion auf 160 mal 144 Pixel, vier Grautöne und Sound-Kanäle zwingt zu kreativer Improvisation. Bis heute erscheinen noch Hobby-Produktionen für die Original-Hardware.
Anja Buchmann: Die Spiele leben also fort. Aber der Game Boy selbst ist ja auch zu einer Art Ikone geworden, oder?
Christian Huberts: Ja, absolut, Nintendo hat mit dem Game Boy einen Design-Klassiker geschaffen. Selbst in der aktuellen, tragbaren Hardware-Generation von Nintendo, 3DS XL und Switch, steckt noch die DNA des Game Boy. Zum Beispiel das typische Steuerkreuz und die B-, A-, Start- und Select-Knöpfe. Und nicht zuletzt ist der Game Boy selbst zum Werkzeug für Kreative geworden, um künstlerische Visionen umzusetzen.
Der Game Boy als Musikinstrument und Fotoapparat
Anja Buchmann: Kunst mit dem Game Boy also. Wie kann man sich das vorstellen?
Christian Huberts: Zum Beispiel wird die 1990 für den Game Boy veröffentlichte Pocket Camera nach wie vor von Fotografen benutzt, um damit niedrig aufgelöste, aber anspruchsvolle Bilder zu schießen. Die Fotos werden in Galerien ausgestellt und aufwendige Bildbände produziert. Und unter so sogenannten Chiptune-Musikern ist der Game Boy zum beliebten Musikinstrument geworden. Durch Modifikationen an der Hardware, kann die tragbare Konsole zur Ein- und Ausgabe von Musik genutzt werden. Das ist eine weltweite agierende Subkultur mit eigenen Labels, großen Live-Auftritten und musikwissenschaftlichen Forschungsfeldern. Der Game Boy ist also nach wie vor ein fester Bestandteil der Pop- und Gegenwartskultur.