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30 Jahre Mauerfall
Bücher über ein Land, das nicht mehr existiert

In diesem Herbst erscheinen zahlreiche neue Bücher für Kinder und Jugendliche über die DDR und den Fall der Mauer vor 30 Jahren. Dirk Kummer, Juliane Breinl, Helen Endemann und Norbert Zähringer stellen die deutsch-deutsche Teilung differenziert und historisch genau in den Focus ihrer Neuerscheinungen.

Von Karin Hahn | 09.11.2019
4 Buchcover mit Thema Mauerfall
Dirk Kummer, Juliane Breinl, Helen Endemann und Norbert Zähringer legen Kinder- und Jugendbücher zum Mauerfall-Jubiläum vor (Cover Carlsen, arsEdition, Rowohlt und Thienemann / Hintergrund: Deutschlandradio)
Die Mauer ist heute in Berlin kaum noch sichtbar. Dennoch hat sie für viele Menschen in Ost wie West immer noch Bedeutung und bleibt ein wichtiger und zugleich aktueller Erzählstoff, denn es gibt Zeitzeugen:
"Ich bin wirklich diese letzte Generation, die erwachsen wurde, als die Mauer fiel. Ich habe die DDR voll mitgekriegt, also diese ganze Honecker-Ära. Ich bin in Berlin-Mitte groß geworden. Wir sind von Falkensee nach Berlin-Mitte gezogen, direkt an die Mauer. Ich wohnte dann neben Checkpoint-Charlie. Eigentlich bin ich so ein Mauerkind: In Falkensee war die Mauer nach Spandau, in Berlin-Mitte war die Mauer nach Kreuzberg. Und ich habe mir nie vorstellen können, dass die Mauer irgendwann weg sein wird",
…erzählt Dirk Kummer. Sein neues Kinderbuch heißt "Alles nur aus Zuckersand".
"Ich habe als Kind sowas wie ,Anne Frank' natürlich gern gelesen. Ich habe Geschichten gelesen, die mit unserer Geschichte zu tun haben. Und ich dachte, dass Kinder heutzutage natürlich auch, wenn sie durch Berlin gehen oder in Brandenburg leben, danach fragen: Was war denn da, wieso war da 'ne Mauer? Dass sie das gerne ausführlicher beschrieben haben wollen."
Der zehnjährige Fred ist der Ich-Erzähler in Dirk Kummers Geschichte, deren Handlung im Jahr 1979 spielt. Auch der Autor war zu dieser Zeit zehn Jahre alt. Wie er wohnt Fred mit seiner Familie in Falkensee in unmittelbarer Nähe der Berliner Mauer.
"Vati ist in der Partei, der einzig großen, die wir in der DDR haben, und am Montag haben die immer Parteiversammlung. Hinterher hat er immer Kopfschmerzen. Alle in der DDR, die in der Sozialistischen Einheitspartei sind, haben montags Versammlung. Aber wahrscheinlich haben nicht alle Kopfschmerzen."
Ein Freund mit Ausreiseantrag
Freds allerbester Freund seit Kindergartentagen ist Jonas, dessen wunderschöne Mutter, die immer ein Tischgebet spricht, einen Ausreiseantrag gestellt hat. Mit Fred und Jonas erleben junge Leser nun das ganz normale Alltagsleben in Familie und Schule.
Dirk Kummer bewertet nie, was die Jungen erleben. Seine Hauptfigur ist durch das, was in Freds Umfeld geschieht, kurzzeitig verunsichert oder irritiert, aber schnell ist er wieder gedanklich bei dem, was für ihn wichtig ist. Über die tiefe und sehr berührende Jungenfreundschaft zwischen Fred und Jonas hatte Autor und Regisseur Dirk Kummer bereits seinen sensiblen Fernsehfilm "Zuckersand" gedreht, der mehrfach ausgezeichnet wurde. Nach Motiven des Films entstand nun sein Buch für Kinder ab zehn Jahren, allerdings mit einem völlig neuen, tröstlichen Ende.
"Es ist nicht authentisch, es ist nicht autobiografisch. Und trotzdem ist ganz viel von dem Leben, was man gelebt hat, da drin. Der Ort, der im Film noch Falkenwerder heißt, heißt jetzt Falkensee, und es ist natürlich Falkensee, wo ich groß geworden bin. Am Anfang war eigentlich nur diese Familiengeschichte da. Und die Geschichten passieren dann sozusagen im Prozess des Schreibens. Dies war für mich eine neue Erfahrung: Manche Sachen kommen hoch während des Schreibens. Und selbst Zitate, Erinnerungen an bestimmte Sätze von Klassenkameraden fallen einem beim Schreiben ein. Dieser Satz von Jonas: Ehrt Gott mehr als Ernst Thälmann. Den hat wirklich ein Mädchen in der Schule gesagt."
Fred hat von seinem Nachbarn einen Bumerang geschenkt bekommen, und nun tragen Jonas und Fred in einem ganz persönlichen Projekt alles Wissenswerte über ihren Sehnsuchtsort Australien zusammen. Wie ein Damoklesschwert hängt jedoch der nahe Abschied über den Blutsbrüdern. Auch wenn Freds staatstreuer Vater ihm den Kontakt zu Jonas untersagt hat, kann nichts den Jungen davon abbringen, seinem Freund auch in der Schule gegen ungerechte Lehrer beizustehen. Fred sorgt sich und fragt sich immer wieder, wie er die Verbindung zu Jonas halten kann.
"Von Falkensee bis Australien: 12742 Kilometer. Das ist die Lösung unseres Problems: Ein Tunnel! Dann können wir uns jederzeit besuchen, wenn Jonas ausgereist ist. In die DDR darf er nie zurück, aber nach Australien kann er jederzeit. Er muss nur dort hinfahren und mir von der anderen Seite entgegenbuddeln."
Eifrig graben sich die beiden durch den Brandenburger Zuckersand, der so schön fein und weiß ist wie der Sand an der Ostsee. Doch die Trennung der Jungen ist unausweichlich und extrem schmerzlich. Dirk Kummer beschreibt feinfühlig und authentisch das Lebensgefühl in einem geschlossenen Land, in dem man nur in Gedanken reisen kann. Für die beiden recht unbekümmerten Jungen ist das ein normaler Zustand. Sie bauen sich ihre eigenen Fantasiewelten, Hauptsache, sie sind zusammen und die Erwachsenen außen vor. Gegen alle rigiden Regeln versuchen Fred und Jonas, auch recht naiv, ihre Freundschaft trotz trennender Mauer nicht abbrechen zu lassen. Mit dem Wissen, dass die Freunde sich nicht erst als Rentner wiedersehen werden, können junge Leserinnen und Leser das Buch beruhigt schließen.
Sachbuch über die Zeit von 1945 bis heute
Für diejenigen, die wissen wollen, was wirklich auf Ost- wie Westseite im Zeitraum von 1945 bis heute geschah, hat Juliane Breinl ihr Sachbuch "Mein Mauerfall" in enger Zusammenarbeit mit dem Verlag arsEdition veröffentlicht.
"Jetzt gerade was das 30 Jahre-Jubiläum Mauerfall betrifft, bin ich der Meinung, dass die Ostdeutschen zum Beispiel ruhig ein bisschen mehr Revolutionsstolz haben könnten, weil ich das immer noch sehr sehr beeindruckend finde, was damals passiert ist. Und das kann man über ein Sachbuch vielleicht so ein bisschen wecken."
Chronologisch erzählt Juliane Breinl von der Teilung Deutschlands, aber sie vertraut nicht nur den Fakten, sondern lässt als Rahmenhandlung die große Familie des zwölfjährigen Theo zu Wort kommen. Allen Familienmitgliedern stellt er auf der Reise von München ins Thüringer Eichsfeld neugierige Fragen, zum Beispiel über den Aufstand am 17. Juni 1953, den Bau der Mauer, die RAF, den "Kalten Krieg", Intershops, die Pionierorganisation, die Stasi oder die friedliche Revolution. All diese Themen führen innerhalb der Familie zu heftigen Diskussionen, besonders wenn es um die Berlin-Blockade durch die Sowjetunion geht.
"Opa Hardy hat mir erzählt, dass da auch Minifallschirme mit Schokolade und Kaugummi abgeworfen wurden. ,Das war nichts anderes als Bestechung. Die Amis wollten die Ostberliner Kinder neidisch machen und so gegen die Russen aufhetzen!', schimpfte er und Oma brauste auf: ,Woher willst du das denn wissen, du warst doch gar nicht dabei, Hardy.'"
Begleitet werden diese sehr emotionalen Auseinandersetzungen von vielen Fotos, Zeichnungen, Kartenmaterial, aber auch Faktenwissen, das sich Theo bei Jo, einem Historiker, holt, der seine Youtube-Videos über die deutsche Geschichte ins Netz stellt. Als es um den Schießbefehl an der Grenze geht, muss Theo Jo befragen:
"Ein richtiges Gesetz gab es zu diesem Schießbefehl nie – er widersprach sogar dem DDR-Gesetz, sagte Jo. Aber er hat mir etwas erzählt, das, wie ich finde, ziemlich deutlich macht, wie die DDR-Regierung dafür gesorgt hat, dass Flüchtlinge – egal wie - gestoppt wurden: ,Soldaten, die einen Flüchtenden erschossen haben, wurden belohnt, und solche, die einen laufen ließen, konnten dafür ins Gefängnis kommen', sagte Jo. ,Das ist krass', sagte ich und fragte mich, ob es vielleicht deshalb so viele Streitereien in meiner Family über dieses DDR-Thema gab. Weil die Regeln manchmal nicht so eindeutig aufgeschrieben wurden, aber die Praxis ganz klar zeigte, was man tun musste und nicht tun durfte."
Erinnerungsprotokolle von Zeitzeugen
Eine weitere, sehr persönliche Erzählebene sind in Juliane Breinls Sachbuch die lose gestreuten Erinnerungsprotokolle von Zeitzeugen aus Ost wie West. Als die Autorin dreizehn Jahre alt war, verließ sie selbst 1984 mit ihren Eltern die DDR.
"Klar, man kann keiner Erinnerung wirklich trauen, insofern ist Recherche dringend angesagt. An was ich mich allerdings sehr sehr gut erinnern kann, dass ich im Alter von elf Jahren für mich wirklich erkannt habe, dass ich nicht in einer Diktatur leben möchte und mich wahnsinnig eingesperrt gefühlt hab und auch eine unbändige Wut bekommen hab auf den Zustand, in dem ich mich da befunden hab, weil ich eben 1971 in Ostdeutschland geboren wurde."
Weitere Zeitzeugen, unter anderem die Kinderbuchautorin Alice Pantermüller, erzählen vom Bau der Berliner Mauer oder der Grabesstimmung am 40. Jahrestag der DDR. Um die Unterschiede zwischen den beiden wirtschaftlichen Systemen zu verdeutlichen, erläutert zum Beispiel Theos Papa, wie ein Eisladen in der sozialen Marktwirtschaft geführt wird und auf der anderen Seite in der sozialistischen Planwirtschaft. In übersichtlichen, nie textlastigen Passagen behandeln Fragen und Antworten durchaus komplexe Zusammenhänge. Wenn Juliane Breinl geschichtliche Fakten aufbereitet, lesen sich diese verständlich. Wie gefährlich es war, politische Witze in der DDR zu erzählen, auch davon berichtet Juliane Breinl in ihrem informativen Sachbuch für Leser ab zehn Jahren.
Wie hart bereits Jugendliche in der DDR für ihre offene Kritik am sozialistischen Staat verfolgt wurden, darüber schreibt Helen Endemann in ihrem Roman "Todesstreifen".
Ben im Kinderknast
Ostberlin, 1985. Im Prenzlauer Berg findet ein Sportwettkampf zwischen Jugendlichen aus Ost- und Westberlin statt - an diesem Tag planen Marc und zwei Freunde eine gewagte Entführung. Marc droht die Einweisung ins Erziehungsheim, weil er immer wieder gegen das politische System der DDR rebelliert. Auf dem Mannschaftsfoto des West-Teams haben die drei den 15-jährigen Ben entdeckt, der, wie durch ein Wunder, Marc absolut ähnlich sieht. Marc soll nun in Bens Klamotten und mit dessen Pass nach Westberlin fahren. Ben, als Westberliner, kann sich in Ost-Berlin den Behörden stellen und dann sowieso problemlos ausreisen. Das erhoffen sich Marc und seine Freunde, aber ihr Plan geht nicht auf. Kommt Marc ohne Komplikationen im Westberliner Sportinternat an, so landet Ben im Jugendwerkhof, im sogenannten "Kinderknast".
",Was machen Sie da!?' Es kommt wie ein Krächzen aus meinem Hals. ,Ruhe.' Der Mann hält mir das Gerät an den Kopf, und als ich zurückweichen will, hält der andere mich fest. Er krallt seine Hand in die Haare auf der anderen Kopfseite. Der Mann schert mir Büschel um Büschel vom Kopf, die auf das weiße Laken und den braunen Linoleumboden fallen wie Herbstlaub. Mein Kopf fühlt sich Stück für Stück nackter an. (…) Ich kann mich nicht wehren. Für diese Menschen hier bin ich weniger als nichts. Sie können mit mir machen, was sie wollen."
"Diese drastischen Dinge, die Ben im Jugendwerkhof erlebt, die musste ich einfach schildern, nachdem ich das Buch von Nicole Glocke ,Erziehung hinter Gittern' gelesen habe. Da beschreibt sie mehrere Schicksale von Kindern, die in verschiedenen Jugendwerkhöfen in der DDR waren. Und bevor ich das gelesen hatte, wusste ich das überhaupt nicht, dass es das gab, diese Jugendwerkhöfe, und wie es da zuging."
Je öfter Ben den Erziehern klarzumachen versucht, dass er ja gar nicht Marc ist, desto mehr wird er geschlagen und zutiefst gedemütigt. Auf der Polizeistelle begegnet Ben, der für eine Woche nach Hause darf, dann völlig entstellt Marcs Oma. Sie erkennt sofort, dass dieser Junge nicht ihr Enkel ist. Auf der Westseite hingegen schlägt sich Marc durch Bens fremdes Internatsleben. In dieser völlig verzwickten Lage wird langsam klar: Marc und Ben stecken im Leben des jeweils anderen fest. Marc entschließt sich schweren Herzens, mit Bens Pass nach Ostberlin zurückzukehren, denn er sieht keinen anderen Weg. Der in den Westen zurückgekehrte Ben jedoch wird mit einem Freund wiederum Marc und seinem Freund helfen, die DDR zu verlassen.
Willkür gegen Jugendliche
Helen Endemann mutet ihren Lesern sehr viel zu. In ihrem Roman geht es um rechtsstaatswidrige Willkür gegen eigenwillige Jugendliche, die Republikflucht von Marcs Mutter vor 15 Jahren, die Aktivitäten der Stasi, den Verrat in der eigenen Familie, Freundschaft, junge Liebe und eine halsbrecherische Flucht über den Todesstreifen. Als die Mauer fiel, war die Autorin neunzehn Jahre alt und absolvierte ihr Jurastudium in Passau. Ihrem Buch ging eine ausführliche Recherche voraus, um wichtige Details des DDR-Alltags historisch genau in den Roman einzubauen.
"Die Geschichte brauchte ich mir kaum auszudenken, denn gerade diese spektakuläre Fluchtmethode, das ist ja die Art und Weise, auf die der Holger Bethke und der Michael Becker 1983 aus der DDR geflohen sind. Die sind ja wirklich auf so ein Grenzhaus gestiegen in den Dachboden. Mit so selbstgebauten Rollen sind sie dann über das Drahtseil über den Todesstreifen in den Westen gerutscht. Hier musste ich mich auch nicht irgendwelchen kritischen Fragen aussetzen: Ja, wäre das denn überhaupt gegangen? Weil, ja, es ist gegangen."
Helen Endemann setzt auf den Spannungsfaktor und die Sehnsucht der Jugendlichen nach freier Meinungsäußerung. Temporeich erzählt sie die realitätsnahe Doppelgänger-Geschichte für Leser ab dreizehn Jahren aus der Sicht von Marc und Ben. Der Roman "Todesstreifen" ist im Präsens verfasst. Die Leser und Leserinnen erleben so hautnah mit, was in den Köpfen von Marc und Ben vorgeht und wie sich beide einfach nicht unterkriegen lassen. Die teilweise komplizierte Handlung bleibt durchgängig fiktiv und vermittelt trotzdem Erkenntnisse über einen Staat, den es nicht mehr gibt.
Völlig abgedrehte Alien-Geschichte
Die innerdeutsche Grenze, allerdings in Thüringen, steht auch in Norbert Zähringers "Märchen aus dem Kalten Krieg" für Leser ab zwölf Jahren im Mittelpunkt. "Zorro Vela" heißt seine völlig abgedrehte Alien-Geschichte. Sie beginnt im Januar 1989 im thüringischen Marksdorf, durch das sich die streng bewachte Grenzanlage der DDR zieht. Hier hat der Grenztruppenkommandeur Oberst Reinhardt das Sagen. Sein Sohn René, ein etwas dicklicher Brillenträger ohne Freunde, schmökert am liebsten in verbotenen Comics, besonders gern in der Ausgabe "Die Maske des Zorro". In Renés Leben ist bisher nichts Außergewöhnliches passiert. Als jedoch ein Rabe und ein frei laufendes Känguru ihn ansprechen, glaubt er, langsam verrückt zu werden. Doch dann steht sein Comicheld Zorro leibhaftig vor ihm, und René hört endlich zu:
",Ich heiße Zorro, zufällig, wirklich ganz zufällig so wie euer Typ in dem Comic.' (...)
,Du kommst aus dem Westen!'
Zorro deutet mit der Degenspitze an die Zimmerdecke. ,Ich komme von oben!'
,Wovon willst du mich überzeugen?'
,Eben davon, Compañero! Dass ich ein Außerirdischer bin und zusammen mit ein paar Erdenkindern die Erde retten muss. Unter anderem mit dir, Chico!' Zorro stellte seinen Stiefel auf Renés Bettkante und beugte sich etwas vor. ,Und weil die nächste deiner dämlichen Fragen natürlich lauten wird 'Aber wovor, großer Zorro, musst du uns arme Erdenwürmer retten?', will ich dir gleich antworten: Vor ein paar Außerirdischen, die lange nicht so nett sind wie ich, und die euren langweiligen kleinen Planeten pulverisieren wollen.'"
Zorro Vela stammt vom Planeten Oneiros und kann sich als substanzloser Onari kurzzeitig in alles verwandeln, was lebendig ist. Die Onaris verstehen sich als Helfer der Maschinisten, die von einer unbekannten Macht vor Tausenden von Jahren erschaffen wurden. Im Auftrag der Maschinisten verfolgt Zorro Vela, immer einen ironischen Kommentar parat, nun seine Mission und sucht nach Kindern. Ohne Probleme kann der Alien Raum und Zeit außer Kraft setzen und durch Türen oder Schränke blitzschnell die Orte wechseln. Zorro Vela, René und seine neugierige Mitschülerin Annett überwinden nun mit Alienmagie die Grenze, um auf der Gegenseite das Geschwisterpaar Tim und Lucy für die Mission zu gewinnen – was nicht so einfach ist. Die üblichen Vorurteile über den Sozialismus und den Kapitalismus, die die Kinder von ihren Eltern oder in der Schule gehört haben, prallen nun aufeinander. Aber sie müssen für die Errettung der Welt zusammenhalten. Mittlerweile weiß Zorro Vela, von wem die Gefahr für die Erde ausgeht: von den friedliebenden Draconern.
"Sie haben nämlich schreckliche Angst vor euch. Aber ihr Plan ist einfach: Bevor ihr eines Tages Raumschiffe bauen und die Heimatwelt der Draconer erobern könnt, denken sie, dass es besser ist, wenn ihr euch vorher selbst vernichtet. Und wo kann man am besten für einen kleinen Zwischenfall sorgen, der sich zu einem erdenweiten Atomkrieg ausweiten lässt? Hier – an eurer albernen Grenze, wo sich die beiden größten Armeen des Planeten argwöhnisch und bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstehen."
Die Erde als unterentwickelter Lügenplanet
Aus der Perspektive der unendlichen Weiten des Universums scheint der "Kalte Krieg", ein probates Mittel, um die Erde, die im Universum als unterentwickelter Lügenplanet bekannt ist, auszuschalten. Für die Menschen vor Ort jedoch ist die innerdeutsche Grenze 1989 bitterer Ernst. Wie perfide zum Beispiel die Grenzanlagen aufgebaut waren, beschreibt Zorro Vela aus seiner Raben-Perspektive. Richtig gefährlich wird es, als er in der beleuchteten Grenzanlage - die Onaris lieben Licht - ein Nickerchen machen will. Er löst allein durch das Berühren des Zaunes den Suchscheinwerfer aus, dem dann Signalraketen folgen und sogar Schüsse, die auf den Raben abgefeuert werden.
Wie in den "Men in Black"-Filmen nach den Comicvorlagen von Lowell Cunningham ahnt die Menschheit nichts von der Gefahr, die aus dem Weltall auf sie zukommen könnte. Auch Norbert Zähringer spielt mit diesem Untergangsszenario und lässt vier Kinder mit einfachsten Mitteln wie Intershop-Uhren, Batterien, hässlichen Brillen, Radioröhren und Fernbedienungen zu Rettern der Welt und zu Freunden werden. Der Berliner Autor stattet seine außerirdische Planetenwelt mit ganz eigenwilligen Schöpfungsmythen aus. Die ziemlich verrückte Handlung enthält viele Reminiszenzen an klassische Vorlagen wie "Star Trek" oder "Per Anhalter durch die Galaxis". Aber neben all den unterhaltsamen Ausflügen in die unbegreifliche Alienwelt dreht sich diese Ost-West-Geschichte auch um ganz reale Konflikte, mit denen Kinder fertig werden müssen, wie Mobbing, Einsamkeit, Ungerechtigkeit sowie fehlende und dominante Väter.
Dirk Kummer, Juliane Breinl, Helen Endemann und Norbert Zähringer erkunden mal komisch, mal ernst das Alltagsleben in einem geschlossenen Land. Jetzt ist offenbar für Autorinnen und Autoren, ob in Ost- oder Westdeutschland geboren, genug Zeit vergangen, um differenziert über das Innenleben der DDR und die deutsch-deutsche Teilung zu schreiben, besonders für junge Leser, die beides nur vom Hörensagen kennen. In allen vier Geschichten, ob sie nun 1979, 1985 oder 1989 spielen, wird spürbar, dass das Leben in der DDR in vielerlei Hinsicht ganz normal war: Die Bücher erzählen von liebevollen Familien und tiefen Freundschaften. Und doch gab es auch die permanente Politisierung bis hinein ins Private. Von diesem ambivalenten Lebensgefühl erzählen die vier vorgestellten Bücher – eine rundum aufschlussreiche wie eindrückliche Lektüre.
Die erwähnten Bücher:
Dirk Kummer: "Alles nur aus Zuckersand"
Carlsen Verlag, Hamburg. 138 Seiten, 12 Euro.
Dirk Kummer: "Alles nur aus Zuckersand"
Gekürzte Lesung mit Charly Hübner
Silberfisch bei Hörbuch Hamburg, Hamburg. 2 CD's, ca. 120 Minuten, 12 Euro.
Juliane Breinl: "Mein Mauerfall – Von der Teilung Deutschlands bis heute"
arsEdition, München. 139 Seiten, 15 Euro.
Helen Endemann: "Todesstreifen"
Rowohlt Verlag, München. 252 Seiten, 14 Euro.
Norbert Zähringer: "Zorro Vela"
Thienemann Verlag, Stuttgart. 335 Seiten, 15 Euro.
Hinweis auf:
"Hier lebst du. Unsere liebsten Kinderlieder"
Argon Verlag, Berlin. 1 CD, 34 min, 14,95 Euro.
weitere Kinder- und Jugendbücher zum Thema:
Maike Dugaro, Anne-Ev Ustorf: "Mauerpost", cbt
Franziska Gehm: "Pullerpause in der Zukunft", Klett Kinderbuchverlag
Kulmann, Fulton, Hein: "Mit dem Ballon in die Freiheit", Ravensburger Verlag
Dorit Linke: "Wir sehen uns im Westen", Carlsen Verlag
Katja Ludwig: "Das Mauerschweinchen", cbj
Mathias Friedrich Mücke: "Niemandsland. Erinnerungen an eine Kindheit", Kunstanstifter Verlag
Susan Schädlich: "Wie war das in der DDR?" Carlsen Verlag
Aline Sax: "Grenzgänger", Verlag Urachhaus
Maike Stein: "Ein halber Sommer", Oetinger Verlag
Sonderausgaben und neu aufgelegte Titel zum 30. Jahrestag des Mauerfalls:
Judith Burger: "Gertrude grenzenlos", Oetinger Taschenbuch
Franziska Gehm, Horst Klein: "Hübendrüben", Klett Kinderbuch
Franziska Gehm, Horst Klein: "Pullerpause im Tal der Ahnungslosen", Klett Kinderbuchverlag
Dorit Linke: "Jenseits der blauen Grenze", Magellan Verlag
Mawil: "Kinderland", Graphic Novel, Reprodukt
Grit Poppe: "Weggesperrt", Dressler Verlag
Manja Präkel: "Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß", Verbrecher Verlag
Hanna Schott: "Fritzi war dabei", Klett Kinderbuchverlag
Anne C. Voorhoeve: "Lilly unter den Linden", Ravensburger Verlag