30 Jahre Mauerfall "Gefühl der Ungerechtigkeit ist Spaltpilz der Gesellschaft"
An der friedlichen Revolution in der DDR hatten evangelische Christen großen Anteil. Der Evangelische Kirchentag in Dortmund greift die Frage nach der Gerechtigkeit zwischen Ost und West heute auf. Empfindungen dazu dürften nicht einfach weggebügelt werden, sagte der Theologe Frank Richter im Dlf.
Kirsten Dietrich im Gespräch mit Christiane Florin | 20.06.2019
Das Religionsmagazin um 9:35 Uhr montags bis freitags: Diese Sendung ist ein Unikat in der deutschen Radiolandschaft. Alle Religionen und Konfessionen kommen hier vor. Das schließt Religionskritik und -losigkeit ein. "Tag für Tag" eckt an. Wer "Tag für Tag" hört, ist neugierig gegenüber allen Phänomenen aus Religion und Gesellschaft – selbst, wenn sie nerven.
30 Jahre nach dem Mauerfall ist die Spaltung zwischen Ost und West noch immer spürbar (picture alliance / Peter Zimmermann)
Die Frage nach Gerechtigkeit kann auf sozialen Frieden zielen, aber auch auf soziale Spaltung. Eine Erzählung, die von der Neuen Rechten bedient wird, lautet: Für die anderen ist Geld da, aber für uns, für die gern beschworenen einfachen Leute, wird nicht gerecht ausgeteilt. Gerade im Osten Deutschland verfängt die Rede von den "Abgehängten" und "Ungehörten".
Der Theologe, Politiker und DDR-Bürgerrechtler Frank Richter diskutiert darüber auf dem Kirchentag. Er warnt davor, diese Erzählungen zu ignorieren: "Das schnell wegzubügeln und zu sagen, das sei doch nicht relevant, dieses Empfinden, weil doch alles rechtens sei, das halte ich für gefährlich. Das dauerhaft, nachhaltig, tiefgreifende Gefühl, dass es in Gesellschaft ungerecht zugeht, ist Spaltpilz der Gesellschaft."
Der Theologe Frank Richter (picture alliance / Arno Burgi)
Die Theologie könne zur Entgifung des Diskurses beitragen, so Richter: "Theologisch muss man das immer als Verschenkungsgeschichte beschreiben: Gott schenkt Gerechtigkeit, macht uns gut, weil wir seine Geschöpfe sind. Er versetzt uns in die Lage, gut zu sein. Umgekehrt heißt das, dass der so ausgestattete Mensch in der Lage ist, für eine gute und gerechte Gesellschaft zu sorgen und diese Verantwortung dann auch hat. Das ist die Verantwortung, die aus christlichem Glauben erwächst."