Christoph Reimann: Am 16. August 1977 ist der King gestorben, auf seinem Anwesen Graceland, in Memphis. Er war der erste große Rock'n'Roll-Star. Dennoch - oder gerade deswegen - stellt sich die Frage, was hat uns Elvis heute, also 40 Jahre nach seinem Tod, noch zu sagen? Darüber habe ich mit dem Musikkritiker Jens Balzer gesprochen.
Jens Balzer: Ja, er ist natürlich, wie Sie gerade schon erwähnt haben, eine der prägenden Figuren in der Entwicklung des Pop. Dabei wird es, glaube ich, auch für alle Zeiten bleiben. Das Interessante ist aber - und damit fangen wir gleich mal mit einer Einschränkung an - wenn man sich Elvis' Biografie und seine künstlerische Karriere anschaut, war die Zeit, in der er musikalisch wirklich innovativ gewesen ist, ja enorm kurz. Also zusammengerechnet nicht mal zehn Jahre. Es gab diese kurze Phase des plötzlichen Ruhms und des kometenhaften Aufstiegs zum US-amerikanischen Superstar von so circa '54 bis '58. Dann wurde er zum Militär einberufen, ging nach Deutschland, und als er wieder zurück in die USA kehrte, hat er das Ende der 60er erst mal weniger als Musiker gewirkt, sondern mehr so als Darsteller in schlechten Hollywood-Filmen. Bis zu seinem Comeback '68 in Las Vegas, mit dem er sich als Musiker zurück ins Gedächtnis gebracht hat und nachdem er dann tatsächlich wieder gute Platten aufgenommen hat, mit einigen seiner besten Songs - denken wir an "In The Ghetto" und "Suspicious Minds", bevor er dann in den letzten Jahren vor seinem Tod dann zusehends in Depressionen und Drogen versank.
"Elvis war der erste Popstar"
Reimann: Das heißt, der King des Rock'n'Roll, der saß zu Lebzeiten überhaupt nur zweimal kurz auf dem Thron der Popkultur?
Balzer: Na, ich würde fast sagen, eigentlich tat er es nur ein einziges Mal, nämlich zur Zeit seines Aufstiegs Mitte der 50er-Jahre. Da kann man wirklich sagen, dass Elvis etwas Neuartiges erschaffen hat, zusammen mit den Musikern um ihn herum und seinen Produzenten. Also das, was man dann als Rockabilly bezeichnete, entstand ja aus der Verbindung von Country und Rhythm'n'Blues und hat das Ganze aber doch mit einem Drive, einer Dynamik versehen, wie es sie bis daher nicht gegeben hat. Und er hat vor allem, über die Musik hinaus, in seinem Posing, in seinem Stil, in seinem Auftreten diese enorme Sexualisierung der Musik vorgenommen. Also Elvis the Pelvis, diesem Beckenschwung, der eben da charakteristisch für ihn war. Das war mindestens ebenso wichtig wie die Musik beziehungsweise von dieser gar nicht zu trennen. Insofern kann man wirklich sagen: Elvis war der erste Popstar in unserem heutigen Sinne. Weil Popmusik ja immer heißt, dass es nicht nur um Musik geht, sondern auch um das Auftreten und den Stil und den Drive, der sich damit dann verbindet.
Und vor allem auch eine Musik - damals ganz wichtig - die polarisierte! Also wenn man sich so die US-amerikanische populäre Musik in den 40ern ansieht, das war immer Musik für die ganze Familie. Und mit Elvis trat wirklich so was wie ein Generationenkonflikt auf die Bühne, also Jugendliche hörten was anderes als ihre Eltern. Und, natürlich auch ein Punkt: Er brachte weiße und schwarze Stränge der Musik, also eben Country und Rhythm'n'Blues zusammen, was ihm natürlich auch den Vorwurf eingebracht hat, ein Ausbeuter der schwarzen Kultur zu sein. Also gewissermaßen diese drei Punkte: die ausbeutende Aneignung älterer Musik, ihre Sexualisierung und die Polarisierung. Und alles dieses drei führte dann dazu, dass eine Musik, die vorher dann doch ja eher so in Subkulturen gepflegt wurde dann plötzlich zu einem Massenphänomen wurde und eine ganze, sagen wir mal Nation, und dann später auch die ganze Welt bewegt hat.
"Ein aus der Zeit gefallener Rockkönig"
Reimann: Und damit hat er auch viel vorweggenommen, was sich dann später bei Musikern immer wiederholte. Wenn man jetzt an Musiker der Gegenwart denkt, dann versuchen da viele, möglichst lange am Puls der Zeit zu bleiben. Und wenn das aus eigener Kraft nicht gelingt, dann suchen sie sich zum Teil blutjunge Produzenten. Elvis, der konnte ja dann auch irgendwann nicht mehr mit der Geschwindigkeit der Popmusik, der Popkultur mithalten - und er vollzog so einen Imagewechsel. Er legte zum Beispiel diese Provo-Gesten ab, von denen Sie gerade gesprochen haben. Geholfen hat das aber nicht so richtig.
Balzer: Nee. Er hatte sein ganzes Leben lang ein und denselben Produzenten oder Manager, "Colonel" Parker, der ihn dann in den 60ern auf diese Hollywood-Film-Linie gebracht hat. Und als er zurückkam, war es tatsächlich so, dass die Popgeschichte an ihm vorbeigezogen war. Also man hatte die "British Invasion" in den USA, die Beatles, die Rolling Stones, man hatte diese ganze Politisierung der Rockmusik und der Popmusik, die Anti-Vietnam-Proteste und den "Summer of Love" und die Hippies. Und all das war komplett an Elvis vorbeigegangen, damit wollte er auch gar nichts zu tun haben. Also er hätte ja in Woodstock auftreten können, rein zeitlich, '69, aber nichts lag ferner als diese Idee für ihn. Stattdessen hat er sich mit Nixon getroffen, der nun der größte Gegner der psychedelischen Flowerpower-Bewegung war. Also der stand völlig neben dem, was da passierte und war eigentlich so ein aus der Zeit gefallener Rockkönig. Der aber dann trotzdem, muss man ja sagen, auch mit dem, was dann so der späte Elvis mit diesen Las Vegas Anzügen und diesem Glitzer dann ja trotzdem immer noch sehr viele Platten verkauft hat und sehr relevant war für so eine Art von Mainstreamkultur.
"Elvis war das erste Meme"
Reimann: Kann man denn sagen: Elvis, das war der erste große, globale Popstar?
Balzer: Ja, er war sogar der erste Popstar, mit dem die Globalisierung begann, könnte man sagen. Es gibt dieses eine Konzert von 1973, einer seiner letzten größeren, sagen wir mal innovativen Auftritte, "Aloha from Hawaii", via Satellit in Honolulu aufgenommen und dann über einen Kommunikationssatelliten in alle Welt ausgestrahlt, zumindest dem Anspruch nach, also in Echtzeit in den pazifischen Raum, aber dann später auch wirklich in alle Welt ausgestrahlt. Und da wurde dann eingelöst, was Marshall McLuhan Anfang der 60er mal so das globale Dorf nannte. Also man hatte so wirklich die Vorstellung: Da sitzt der gesamte Planet vor den Fernsehgeräten und schaut diesem einen Superstar zu.
Das Interessante ist nur: In dem Moment, wo Elvis jetzt so in diese globalen Kommunikationskanäle eingespeist wurde, begann sein Bild auch zu zerfallen. Also es führte dazu, dass die Zahl der Elvis-Imitatoren rund um den Globus explosionsartig anstieg. Überall, auf den Philippinen, in Mexiko, in Deutschland, wo auch immer, in allen Teilen der Welt gab es dann Elvis-Imitatoren, die aber sich diese Ikone in ihrer ganz eigenen Weise aneigneten. Also es gab dann plötzlich nicht mehr einen Elvis, sondern ganz viele - unendlich viele. Und da sieht man schon so ein bisschen so das, was man dann später die Dialektik der Globalisierung oder auch des Internet irgendwie genannt hat. Also was immer da eingespeist wird, entzieht sich dann der Kontrolle desjenigen, der diese Bilder da einspeist. Also in gewisser Weise könnte man sagen: Elvis war das erste Meme. So, wie man heute von Internet-Memen redet, so eine Art bildliches Symbol, mit dem zunächst ganz klare Botschaften verbunden werden, die dann aber in dem Moment, wo sie um die Welt sich verstreuen, ganz unterschiedliche Arten der Konnotation annehmen können.
Alles und nichts
Reimann: Kontrollieren kann natürlich Elvis heute sein Image nicht mehr. Wie ist das denn heute? Da gibt es ganz viele kleine Elvisse, jeder sucht sich das aus, was dann für einen passt?
Balzer: Elvis ist, damals wie heute, eigentlich so der Inbegriff eines Superstars für alle und jeden. Also er gehört allen und niemandem gleichzeitig und er kann gewissermaßen auch alles bedeuten und auch wiederum nichts.