Archiv


Abgesang auf unsere Gegenwart

In Leipzig ist Festspielzeit. Auch Schorsch Kamerun ist beim Premierenreigen dabei. "War's das mal wieder?" heißt sein Stück: eine wilde Collage mit viel Improvisation und Musik, in der sich Profis und Laien dem großen Thema des Epochenumbruchs annähern.

Von Martin Becker |
    Schorsch Kamerun: "Also, ich bin ja Kind von 'Tanz auf dem Vulkan', das ist ja irgendwo 80er, und wenn schon 'No Future', dann aber bitte gefeiert. Oder eben heizt es sich noch auf, oder erlahmt jetzt etwas total?"

    Vier Stücke parallel, nebeneinander gespielt. Das Publikum sitzt rund um die Bühne, verfolgt akustisch per Kopfhörer immer nur das, was gerade im sichtbaren Bereich los ist.

    Im ersten Viertel schälen Schauspieler Orangen. Es wird über LSD und über die Zukunft gesprochen, so was halt. Daneben sitzen Fabelwesen in knalligen Gemüse- oder Tierkostümen. Alles geschieht gleichzeitig. Mittendrin: eine Band. Und Schorsch Kamerun. Im schmucken, weißen Kleid.

    Schorsch Kamerun: "Meine Damen und Herren, hier im Viertel Nummero vier, das sind wir, flüstere ich zu Ihnen, weil die anderen uns nicht hören können. 'War's das mal wieder?', ist die Frage des Abends."

    Und es gibt einen Experten, Thomas Ebermann, einst Gründungsmitglied der Grünen und heute Publizist, der über das Ende einer Epoche diskutiert. Erledigt sich unsere sogenannte höhere Kultur von selbst? Lösen wir uns im kalten Rausch der digitalen Geschwindigkeit auf?

    Schorsch Kamerun: "Ich glaub', wir haben keine Antworten gefunden, das wird wieder die große Enttäuschung sein."

    Aber darum geht es Schorsch Kamerun auch nicht. Vierzehn Tage Zeit hatte er zum Proben. Das ist das Konzept der "Leipziger Festspiele": schnelle Entwicklungen, die dann in die extra erbaute "Arena" geworfen werden:

    Schorsch Kamerun: "Und zwei Wochen ist normal für sogenannte Theaterarbeiten zu kurz. Was ich ja nicht schlimm finde. Dann muss es halt schneller gehen."

    Für sein letztes Leipziger Projekt "Das Ende der Selbstverwirklichung" interviewte Schorsch Kamerun fünfzig Personen. Aus ihren Antworten entstand der Text. Für so einen Aufwand war diesmal keine Zeit. Trotzdem: Kamerun lässt nicht nach. Ein Riesenspektakel, dieser Abgesang auf unsere Gegenwart. Schon bei der Probe.

    Schorsch Kamerun: "Ich singe/Jeder fühlt sich hier ungelogen/um seine Zukunft/betrogen/jeder fühlt sich hier ungelogen/um seine Zukunft/betrogen."

    "Ich hab einfach, glaube ich, auch keine Angst immerhin. Also, das so auf die Bühne zu werfen. Und mag einfach einfach probieren. Und verlass mich auch nicht auf eine ausprobierte, gelungene Stilistik, um sie dann zu wiederholen, sondern probiere es immer wieder neu. Kann auch schwierig sein, weil man natürlich immer neu auf die Schnauze fällt mit dem, was man macht. Aber mir gefällt das irgendwie."

    Langweilig wird es jedenfalls nicht: Nach einer Zeit dreht sich die gesamte Bühne – und man wird mit dem nächsten Schauspiel konfrontiert.

    Katja Eichbaum: "Jetzt ist der große Moment, es dreht sich. Wunderbar, ich hab alles auf Rollen gemacht, eleganter geht es nicht."

    Katja Eichbaum ist für Bühne und Kostüme verantwortlich. Aber nicht nur das. Ihr Lebensgefährte Schorsch Kamerun und sie sind, sagen wir mal, oft auf der Jagd. Und zwar den ganzen Tag. Auch so entsteht ein Kamerun-Abend.

    Katja Eichbaum: "Wir machen halt wahnsinnig gern so Spaziergänge. Echt so zehn, fünfzehn Kilometer am Tag sind die Normalität. Und dann brauchten wir für unsere Gästewohnung noch eine Pfanne und dachten: Wir investieren jetzt nicht viel und gehen zu Mäcgeiz. Und dann haben wir diese Geschenkbandrosetten gesehen – und dann haben wir alle Geschenkbandrosetten von allen Mäcgeiz-Filialen aufgekauft."

    Auch die Geschenkbandrosetten müssen in Massen auf der Bühne sein, wenn es um die entscheidende Frage geht: War's das mal wieder? Profis und Laien diskutieren darüber, nähern sich dem großen Thema des Epochenumbruchs an. Dazu Schorsch Kameruns Theaterlieder von modernen Babys, Kaufleuten 2.0, und was uns sonst noch so bewegt. Natürlich bleibt all das ein Rätsel. Natürlich fühlt man sich nach einer Kamerun-Probe, als habe man wirr geträumt. Und natürlich zieht die Hauptfrage des Abends nur viele, weitere Fragen nach sich. Um an dieser Stelle auch mit einer unbeantworteten Frage zu enden: Ist das denn unbedingt so schlimm?

    Schorsch Kamerun: "Aber die Fragen können ja auch ganz geil sein zum Teil. Oder Fragen können ja auch attraktiv sein (…). Am Ende werden selten Antworten präsentiert. Aber - scheiß drauf so, Hauptsache, es bringt dann auch mal Bock so."

    "Neulich zu Hause hab ich dich belauscht/auf ein Mal war mir klar/der Mensch kann nicht mehr!"