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Schorsch Kamerun geht auf Hafenrundfahrt

Um Bruttoregistertonnen und Leuchtturmprojekte soll es bei Schorsch Kameruns Konzerthafenrundfahrt in Hamburg gehen. Die Musik ist schon aufgenommen, die Texte noch nicht fertig.

Von Verena Herb |
    Schorsch Kamerun hat Tee gemacht und bittet in den Raum gleich links neben dem Hauseingang. Ein weißer ovaler Tisch steht in der Mitte. Die Bücherregale sind gefüllt mit Literatur, von verschiedenen Wänden im Zimmer blickt Kameruns Konterfei von Konzertplakaten seiner Punk-Band "Die Goldenen Zitronen". Im hinteren Winkel stehen ein altertümlich anmutendes Radio und ein Plattenspieler. Die Möbel scheinen schon lange in Gebrauch zu sein. Der Sänger, Theaterregisseur und Hörspielmacher ist nicht der erste Besitzer. Der Muff vergangener Jahre weht durch das alte, dreistöckige Offiziershäuschen aus dem späten 18. Jahrhundert. Seit ein paar Jahren wohnt der Mann vom Timmendorfer Strand auf St. Pauli. Schorsch Kamerun öffnet eine Glastür: Man guckt direkt auf die Straße. Tagsüber ist es ruhig, während abends und am Wochenende ausgehwütige Kiezbesucher den Stadtteil überlaufen. Jeder, der vorbeigeht, kann Kamerun ins Zimmer gucken. Er füllt die Teetassen, bevor wir auf sein Projekt zu sprechen kommen:

    "Jetzt ganz aktuell eine Hafenkonzertrundfahrt. Wo´s um Wachstum geht. Vielleicht das Ende des Wachstums."

    "Wachstum" ist das Thema des diesjährigen internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel in Hamburg. Schorsch Kamerun und der Schauspieler Fabian Hinrichs werden es mit einem "Musik-Theater-Konzertprogramm" – so ganz weiß er das auch noch nicht - auf einem Hafendampfer eröffnen.

    "Wir sind deswegen in den Hafen gegangen, weil gerade in Hamburg ist der Hafen immer ein bisschen das Parameter des Hamburgers. Also der Hafen soll Wachstum bringen. Wenn´s da läuft, läuft angeblich alles. Das wird immer so ein bisschen behauptet. Deswegen stehen ja auch da die Leuchtturmprojekte. Das hat schon damit zu tun, dass da die Elbphilharmonie gebaut wird, oder dass da die Hafencity ist. Wir haben jetzt auch Hafenrundfahrten gemacht im Hinblick auf diese Konzertreise .Und da wird auch nicht mehr über Fernweh gesprochen. Sondern eigentlich eher in Bruttoregistertonnen. Man spricht über Containerzahlen. Und man spricht eigentlich immer darum, was zu schaffen ist in so einem Hafen, in welchem Ranking der steht..."

    Schorsch Kamerun ist "fröhlicher Antikapitalist": Themen wie Wachstum, das Verschwinden von Identität, Gentrifizierung und Gleichmacherei, Kritik am System sind die Themen, die den 49-Jährigen seit jeher umtreiben. Wir treffen uns knapp eine Woche, bevor das Festival eröffnet wird. Wie konkret der Abend auf dem Boot ablaufen soll, weiß Kamerun selbst noch nicht. Die Fakten, die Zahlen, die Bruttoregistertonnen sollen eine Rolle spielen – doch allein darüber zu sprechen ist ja noch keine Kunst.

    "Problem kann immer so ein bisschen sein – wenn man das jetzt kritisch beleuchtet, was ja unsere Aufforderung ist als Bildungsbeauftragte - dass man auch immer so ein bisschen auf die Zahlen schaut, die da so böse daher kommen. Zu groß sind, oder zu klein. Deshalb bleibt die Aufgabe: Wie übersetzt man das in eine Form, die dann mit Kunst zu tun hat? Wir machen´s über Musik. Wir suchen uns diese ganzen Fakten und versuchen dadurch eine Abstraktion in Texte, in Musiktexte zu bringen. Das macht die Band, das mach auch ich. Ich sing da ja auch was."

    Kamerun steigt die schmale Holztreppe hoch in den ersten Stock, holt seinen Laptop. Einen Teil der Musik, die er bei der Rundfahrt spielen wird, hat er schon fertig:

    "So ähnlich wird dann die Musik sein, hoffe ich."

    "Da wächst nichts mehr, wo kein Raum ist: leer. Weil nämlich alles zu ist. Erstmal ist ja so dieses Hafen und Meer, und was da kommen soll: Da ist ja so viel Raum. Und das stimmt aber aus tausend Gründen ja auch nicht mehr. Ich glaube, das ist ja wirklich dicht."
    Bei Schorsch Kamerun kommen die Texte zum Schluss... Was für das anstehende Konzert bedeutet:

    "Die neuen Texte sind... noch nicht wirklich komplett. Ich mach das tatsächlich im Moment zum Teil so, weil man die ja noch nicht hat die Texte und man hat die Längen der Stücke noch nicht: Dass ich tatsächlich einfach irgendetwas drauf singe: Brecht, Tucholsky oder Erich Mühsam. Sachen, die mir gefallen.. und das sind dann clusterhafte Verse. Die singe ich dann auf die Musik und ersetze die dann später. Um die Längen festzulegen und vielleicht auch, um Melodien zu schaffen. Ich nehme Texte, die keine Melodie haben. Und im Probenraumprozess mache ich daraus Melodien. Die sind dann festgehalten und man kann das später durch eigene Texte ersetzen. Das ist manchmal ganz hilfreich aus Zeitgründen. Und weil meine Texte recht spät kommen."

    Kameruns Arbeitsplatz ist überall: Er sitzt nicht stundenlang am Schreibtisch und grübelt über Texte. Stattdessen "ergeben" die sich: Im Prozess, in Interaktion mit anderen, in Interviews, Gesprächen. "Rumspinnen" nennt er das, wenn er mit dem Schauspieler Fabian Hinrichs Ideen entwickelt, wie der Abend auf dem Schiff ablaufen könnte.

    "Wichtig ist ja, wenn man auf dieses Schiff kommt, braucht es eine Atmosphäre. Wir werden auch nicht gut zu sehen sein. Das hat damit zu tun, dass ich mir da keine Bühne wünsche, sondern weil die Leute frei herum gehen können. Das heißt, man muss doch sehr darauf achten, was akustisch zu hören ist. Deswegen ändere ich daraufhin zum Teil Musiken aber auch Texte. Ich bin ja jemand, der auf Bühnen steht, mit einer Band. Ich bin ja eigentlich auch Rocksänger. Und ein Rocksänger hat normalerweise die Möglichkeit, wenn er nicht in riesigen Stadien spielt – was ich nicht mache – Leute relativ direkt anzusprechen. Das werde ich da nicht können. Man muss da schon wissen: Hier geht was über Mikrofon. Und über Lautsprecherboxen. Und Texte, die es zum Teil gibt, müssen natürlich verändert werden auf diese Utopie hin, die ja möglicherweise weg bricht."

    Der Künstler arbeitet nie nur an einem Projekt. Parallel schreibt er mit seiner Band, den "Goldenen Zitronen" gerade an einem neuen Album, entwickelt für das Düsseldorfer Schauspielhaus ein "Konzertschauspiel", das im Oktober Premiere hat und produziert ein Hörspiel für den WDR.

    "Das ist Teil des Hörspiels, aber auch eine verwandte Musik, wie wir sie auch auf dem Hafenkonzert spielen."

    "Aber sehr schlecht gesungen. Kritik an Facebook oder so was...glaube ich (lacht). Oh, das war ganz interessant, das wiederhole ich nochmal:" bei meiner Sicherheit stehe ich gern im Sichelfeld..."?"

    "Ich habe, glaube ich, immer viele Sachen parallel am Laufen. Und kann aber auch nicht anders. Ich muss das irgendwie füllen. Ich hab irgendwas am Laufen, die ganze Zeit. Und denk darüber nach und schieb das vor mir her – und irgendwann kommt da wieder was raus. Wenn es dann da ist, ist es auch formuliert. Man kann nicht überall irgendwo raus greifen. So geht´s eben nicht. Und obwohl ich ja so begeisterter Minimalist bin, ist es dann eine Form, die auch nicht verschiebbar ist. Aber ich kann das jetzt auch nicht einfach drehen und sagen: Der Text passt darauf, oder darauf. So geht´s halt eben auch nicht. Das ist dann aber auch Praxis. Auch, wenn man versucht, möglichst "unhandwerklich" zu arbeiten, braucht man ne Praxis."

    Jahrelang sammelt er Ideen. "Bastelt" die dann zusammen, wie er sagt.

    "Ich bin ja Collagenheini. Ich glaube, so funktioniert das alles. Das ist alles so ein großer Teppich. Deshalb trenne ich´s auch nicht so wirklich. Was jetzt Band ist, oder was so´n Hörspiel ist. Oder was jetzt vielleicht Theater ist."

    Ein "grober" Ablauf, ein ungefährer Plan des Abends – das reicht Schorsch Kamerun.

    "Was ich mag, ist tatsächlich auch, auf ne Bühne zu gehen und nicht ganz genau zu wissen, was da passiert. Da brauch ich natürlich Glück. Also das macht nicht jeder mit. Das machen zum Teil Schauspieler nicht mit. Verstehe ich auch... aber ich suche nach der Situation. Und auch für mich selber. Und so macht unsere Band das zum Glück auch. Und unsere Band will zum Glück auch die Konzerte möglichst neu erleben. Weil... sonst wären wir halt die Scorpions."