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Abschiebung nach Afghanistan
Unklare Gemengelage

Nach der Rückführung von acht afghanischen Männern in ihre Heimat sind die politischen Lager zerstritten. Nicht nur die Lage im kriegsgeschüttelten Land ist unklar, sondern auch die Position zur Abschiebung zwischen SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und dem SPD-geführten Außenministerium.

Von Gudula Geuther | 13.09.2017
    Risa Risjai (M), ein 40jähriger Asylbewerber aus Afghanistan, kommt am 13.09.2017 mit einem Abschiebeflug aus Düsseldorf in Kabul, Afghanistan, an, nachdem sein Asylantrag in Deutschland abgelehnt worden ist.
    Abgeschobene Asylbewerber aus Deutschland bei ihrer Ankunft am afghanischen Flughafen in Kabul (picture alliance / dpa / Mohammad Jawad)
    Inzwischen ist ein wenig mehr bekannt über die Abgeschobenen, die am Morgen auf dem Flughafen Kabul gelandet und von den afghanischen Behörden in Empfang genommen worden sind. Die acht Männer wurden aus der Strafhaft in Bayern, Hamburg und Nordrhein-Westfalen zum Flughafen Düsseldorf gebracht, in einem Fall aus der Abschiebehaft.
    "Alle acht Personen sind wegen erheblicher Straftaten verurteilt worden."
    So am Vormittag Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Was den Abgeschobenen vorgeworfen wird, erläuterte der CDU-Politiker nicht. Im Westdeutschen Rundfunk sagte Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen:
    "Nach unseren Informationen reicht die Spannweite von Verurteilungen zu geringen Geldstrafen bis zu mehrjährigen Haftstrafen."
    Vergewaltigung, schwere Körperverletzung
    Von drei aus Bayern stammenden Männern, so teilte Landesinnenminister Joachim Herrmann mit, seien zwei wegen Vergewaltigung, einer wegen schwerer Körperverletzung verurteilt. Birgit Naujoks allerdings lehnt auch solche Abschiebungen ab.
    "Abschiebung nach Afghanistan bedeutet Abschiebung in eine konkrete Lebensgefahr, und da ist der Schutz von Menschenleben, der natürlich auch Straftätern zusteht, absolut vorrangig."
    Nach dem verheerenden Anschlag unter anderem auf die deutsche Botschaft in Kabul waren Abschiebungen theoretisch eingeschränkt, tatsächlich aber erst einmal gänzlich ausgesetzt worden. Bis das Auswärtige Amt einen sogenannten Zwischenbericht vorlegte. Auf der Grundlage sagte de Maizière heute:
    "Nach Vorlage des Zwischenberichts Ende Juli bleibt es bei der Linie, dass Deutschland nach Afghanistan Gefährder, Straftäter und hartnäckige Mitwirkungsverweigerer abschiebt. Auch in Zukunft wird es bei dieser Linie bleiben."
    Keine Äußerungen zur Gefährdungslage
    Zur Gefährdungslage selbst äußerte er sich auf Nachfrage nicht. Kritiker der Abschiebungen glauben, der Zwischenbericht rechtfertige es nicht, Menschen zwangsweise in das Land am Hindukusch zu schicken. Laut Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR gibt es dort keine sicheren Gebiete. Die Zahl ziviler Opfer ist höher denn je.
    Teilnehmer einer Protestaktion gegen eine Sammelabschiebung nach Afghanistan halten ein Transparent.
    Proteste gegen Sammelabschiebung nach Afghanistan im Düsseldorfer Flughafen (dpa)
    Auch die Bundesregierung, so kritisiert die Linken-Politikerin Ulla Jelpke, könne bis heute die vermeintlich sicheren Gebiete im Land nicht benennen. Luise Amtsberg, die Sprecherin für Flüchtlingspolitik der Grünen im Bundestag weist außerdem auf die Quellenlage hin: Die Bundesregierung könne die Lage im Land gar nicht beurteilen. Selbst Gespräche mit afghanischen Behörden und Nichtregierungssituationen seien derzeit nicht möglich. Auch im Bericht selbst heißt es, es gebe kaum Möglichkeiten zur Gewinnung eigener Erkenntnisse vor Ort. Amtsberg wirft – ebenso wie die Line und Organisationen wie Pro Asyl – Bundesinnenminister de Maizière vor, mit Härte im Wahlkampf punkten zu wollen. Das tut auch Birgit Naujoks.
    "Es ist ein deutliches Zeichen, dass eben zwölf Tage vor der Bundestagswahl, obwohl noch nichts weiter geordnet ist, obwohl die Botschaft weiterhin nicht funktioniert, ausgerechnet eine Sammelabschiebung durchgeführt wird. Während beispielsweise Visa-Anträge von Menschen, die aus Afghanistan nach Deutschland kommen dürften, um zum Familiennachzug hierher zu kommen, eben nicht weiter bearbeitet werden."
    SPD-Kanzlerkandidat nicht auf Linie mit dem Außenamt
    Die Haltung der SPD lässt Fragen offen. Während die derzeitige Linie auch auf das SPD-geführte Außenamt zurückgeht, sagte Parteichef und Kanzlerkandidat Martin Schulz gestern Abend:
    "Wir haben zur Zeit gar keine Botschaft in Kabul. Und es wird zur Zeit an dieser Sicherheitseinschätzung gearbeitet. Meine Einschätzung ganz klar: Zur Zeit kann niemand nach Afghanistan abgeschoben werden."
    Anders der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, der CSU-Politiker Stephan Mayer. Die Sicherheitslage in Afghanistan, so betonte er unter Berufung auf das Auswärtige Amt, hänge von individuellen Faktoren ab. Jeder Einzelfall werde geprüft. Die Aufnahme von Schutzbedürftigen und die Rückführung nicht Schutzbedürftiger gehörten zusammen.