Donnerstag, 25. April 2024

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Abschied von Jean Paul Gaultier
"So sieht keiner aus, der in Rente geht"

Männer in Röcken, Frauen im SM-Look, Gender-Fluidität: Jean Paul Gaultier hat mit seinen Entwürfen früh Tabus gebrochen. Nach 50 Jahren im Geschäft wurde seine letzte Haute-Couture-Schau am Mittwoch zur großen Party. Eine endgültige Abschiedsparty?

Estelle Marandon im Gespräch mit Christoph Reimann | 23.01.2020
JeanPaul Gaultier inmitten seiner Bewunderer
Jean Paul Gaultier wird in seiner letzten Fashionshow in Paris gefeiert (www.imago-images.de (Serge Arnal / Starface)
Christoph Reimann: Den blauweißen Matrosen-Look hat er zu seinem Markenzeichen gemacht. Und dann wäre da auch noch die berüchtigte Kegel-Brust-Corsage von Madonna. Auch die stammt von Jean Paul Gaultier. Nach 50 Jahren hat er sich gestern von der Haute Couture verabschiedet. Estelle Marandon, Sie haben die letzte Schau besucht. Madonna, die soll nicht vor Ort gewesen sein. Aber diese Matrosenkleider, gab es die zu sehen?
Estelle Marandon: Allerdings, die gab es zu sehen. Man kann das Ganze als ein riesiges Best-of seiner Entwürfe aus 50 Jahren bezeichnen. Also zuerst mal war es eine gigantische Kollektion. Er hat an die 200 Looks gezeigt. Das ist schon sehr ungewöhnlich für eine Modenschau. Die sind normalerweise in zehn bis 15 Minuten mit maximal 40, 50 Looks beendet. Er hat wirklich alles gezeigt, was er in seiner Karriere bisher gemacht hat und wofür er bekannt ist. Es gab die berühmten hautfarbenen Corsagenkleider zu sehen, Matrosen-Look, SM-Klamotten, Mieder, Strapse, Camouflage-Kleider und eben, wie Sie das auch gesagt haben, seine legendären blau-weißen Streifen. Also alles, was man mit Jean Paul Gaultier verbindet.
Reimann: Das heißt innovativ war es vielleicht nicht, jetzt, nach 50 Jahren?
Marandon: Innovativ war es nicht. Es war ein Rückblick. Im Prinzip waren alles Referenzen auf seine früheren Entwürfe. Was auch interessant ist, die ganze Kollektion ist laut seinen Show-Noticen upgecyclet, also aus seinen Archiven und dem eigenen Funde zusammengeschneidert. Er hat es selbst noch einmal betont: Er findet, dass es zu viel Mode gibt und dass wir weniger wegschmeißen sollten und mehr wiederverwerten sollten. Also im Prinzip war es sogar mehr als einfach nur ein Rückblick. Er hat dafür sogar alte Sachen benutzt und sie dann noch mal neu aufgelegt.
Es wurde getanzt, gehüpft, gefeiert
Reimann: Es gab ja einige prominente Gäste. Also, die Sängerin Amanda Lear, die war da. Oder auch Boy George. Wie muss man sich den Abend denn vorstellen? Als große Party oder als rührende Abschiedsveranstaltung?
Marandon: Also es war definitiv ein Abschied, aber man muss sagen, ein ziemlich ausgelassener. Es waren in der Tat unheimlich viele Leute da, viele Stars. Carla Bruni habe ich gesehen, Inès de la Fressange. Aber natürlich auch die großen Moderedakteurinnen Anna Wintour, Suzy Menkes. Es war keine normale Modenschau, das ist klar. Es war mehr ein Spektakel wie ein Musical. Boy George hat auf der Bühne gesungen, auf dem Laufsteg wurde getanzt, gehüpft, gefeiert. Das Publikum hat zwischendurch auch mal laut gejubelt, was natürlich auch an den vielen Stars lag, die über den Laufsteg kamen. Denn auch viele große Musen wie Rossy de Palma, Estelle Lefébure und Farida Khelfa waren dort zu sehen.
JeanPaul Gaultier küsst Boy George auf die Wange
Jean Paul Gaultier (r.) und Boy George auf der letzten Fashionshow des Modedesginers in Paris (www.imago-images.de (Serge Arnal/ Starface))
Reimann: Und Gaultier, wie war der aufgelegt?
Marandon: Gaultier war wie immer sehr gut drauf. Also, er hat wie immer seinen traditionellen Run hingelegt. Hüpfend und tanzend rennt er immer am Ende der Show über die Bühne.
Reimann: Mit 67.
Marandon: Er ist 67, und er sieht tatsächlich nicht aus wie einer, der bald in Rente gehen wird.
Die Mode profitiert heute noch von Gaultier
Reimann: Das hat er auch nur so ein bisschen vor, oder? Er verabschiedet sich von der Haute Couture, von der Prêt-à-porter hat er sich vor ein paar Jahren schon verbabschiedet. Aber ganz weg – ist er das wirklich? Glauben Sie daran?
Marandon: Nein, ganz weg ist er nicht. Er hat auch selbst gesagt, die Marke wird ohne ihn weitermachen. Das ist klar. Aber er wird uns erhalten bleiben. Er hat gesagt, er möchte gerne etwas anderes machen. Vielleicht wieder eine neue Revue. Das hat er in Paris ja vor Kurzem auch schon gemacht. Jean Paul Gaultier liebt ja Kabarett. Er wird auf jeden Fall weiter Mode machen, denn das sei das Einzige, was er kann. Und er wird sich nicht zur Ruhe setzen. Dafür hat er viel zu viel Energie. Das hat man ja gesehen, am Ende der Show. Also, wie so ein kleiner Junge - so sieht keiner aus, der in Rente geht.
Reimann: Und wenn wir jetzt an die Marke denken: Was wird da bleiben von Jean Paul Gaultier für die Modewelt?
Marandon: Es wird vieles bleiben von Jean Paul Gaultier. Wir sprechen heute ja viel über Recycling, Gender, Diversität, das sind alles Dinge, die Jean Paul Gaultier schon vor 20, 30 Jahren gemacht hat. Er hat mit seinen Entwürfen regelmäßig Tabus gebrochen, war einer der ersten, der Männer in Röcken gezeigt hat, der auch SM-Mode salonfähig gemacht hat. Die Mode profitiert heute noch von dem, was Gaultier sich schon in frühen Jahren getraut hat. Und wenn heute viele sagen, es gebe in der Mode keine richtigen Skandale mehr, dann vermutlich deswegen, weil Gaultier einfach schon alle Tabus gebrochen hat.