Bundestag
Verfassungsrichterwahl mit Hindernissen

Der Bundestag sollte drei neue Verfassungsrichter wählen. Doch die Abstimmung wurde kurzfristig verschoben. Hintergrund ist Kritik der Union an der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf wegen ihrer Haltung zur Abtreibung.

    Frauke Brosius-Gersdorf
    Umstrittene Kandidatin als Verfassungsrichterin: Frauke Brosius-Gersdorf ist Professorin für Verfassungsrecht und Sozialrecht an der Universität Potsdam. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Die Wahl von Verfassungsrichtern sorgt selten für Schlagzeilen, sie ist seit Jahren ein eingespielter Prozess: Der Wahlausschuss des Bundestages berät über die Vorschläge der Parteien, anschließend wählt der Bundestag in getrennten Wahlgängen die Kandidaten.
    Doch in diesem Jahr gerät die Wahl zu einem Politikum. Teile der Union lehnen mit Frauke Brosius-Gersdorf eine der beiden SPD-Kandidatinnen ab.
    Vor allem ihre Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen stößt bei den Abgeordneten von CDU/CSU auf Kritik. Die Uni-Professorin hatte 2024 erklärt: „Es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“ Dagegen hatte das Bundesverfassungsgericht 1993 betont, dass die Menschenwürde „schon dem ungeborenen menschlichen Leben“ zukomme.
    Kritisch sehen einige Konservative zudem Brosius-Gersdorfs Position zum muslimischen Kopftuch. In einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ schrieb sie im Jahr 2020, das Kopftuch verstoße „nicht gegen das Neutralitätsgebot des Staates“. Die Juristin stellte sich damit ebenfalls gegen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Richter hatten zuvor entschieden, dass der Gesetzgeber muslimischen Rechtsreferendarinnen das Tragen eines Kopftuchs im Gerichtssaal verbieten kann.

    Bundestag vertagt Richterwahl nach Eklat

    Vertreter der Unionsfraktionsführung hatten dafür geworben, Brosius-Gersdorf trotz Widerständen in den eigenen Reihen zu wählen. Der Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Hoffmann, hatte der „FAZ“ gesagt, Brosius-Gersdorf sei eine „respektable Kandidatin der SPD – und ganz sicher keine linksradikale Aktivistin“.
    Laut Medienberichten rumorte es dennoch in der Union wegen der Personalie. Eine größere Zahl von Abgeordneten der Fraktion wollte demnach bei der Wahl im Bundestag gegen die SPD-Kandidatin stimmen.

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    Kurz vor der Abstimmung kam es zum Eklat: Die Unionsfraktion forderte kurzfristig die Absetzung der Wahl Brosius-Gersdorfs. Als Grund verwies die Fraktion auf angebliche Plagiatsvorwürfe. Die Vorwürfe müssten erst aufgearbeitet werden.
    Der Bundestag vertagte schließlich die Wahl der drei Richter. Sie soll nun nach der Sommerpause stattfinden. Das Plenum fasste einen entsprechenden Beschluss mit den Stimmen von Linken, Grünen, SPD und Union. Die AfD stimmte dagegen.
    Aktuell müssen am Bundesverfassungsgericht drei Richterposten neu besetzt werden. Die Union hat den bisherigen Richter am Bundesarbeitsgericht, Günter Spinner, vorgeschlagen. Die SPD nominierte neben Frauke Brosius-Gersdorf die Rechtsprofessorin Ann-Katrin Kaufhold. Die beiden Fraktionen wechseln sich traditionell mit dem Vorschlagsrecht ab.

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    Insgesamt gibt es 16 Verfassungsrichter, die je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden. Für die Wahl ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Die Amtszeit der Richter beträgt höchstens zwölf Jahre, Altersgrenze ist das 68. Lebensjahr.

    Debatte um politische Positionen statt juristischer Qualität

    Kontroversen über Kandidaten gab es schon früher. So hatte die SPD-Kandidatin Herta Däubler-Gmelin im Jahr 1993 ihre Kandidatur für das Amt der Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts zurückgezogen. Die Personalie stieß vor allem bei der Union auf Widerstand.
    Neu ist an der aktuellen Debatte aber, wie über die Kandidatinnen gesprochen wird, nämlich dass ihre jeweiligen Einzelpositionen zu gewissen Themen geprüft werden statt ihrer juristischen Qualität. Der ehemalige Verfassungsrichter Peter Müller (CDU) ist der Ansicht, man müsse die Auffassungen der Kandidaten nicht teilen und von der Frage trennen, ob jemand qualifiziert sei.

    Unvereinbarkeitsbeschluss der Union mit der Linken

    Da die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD nicht über die benötigte Zweidrittelmehrheit verfügen, sind sie bei der Wahl auf Stimmen aus den übrigen Fraktionen angewiesen. Die AfD hat bereits erklärt, für Günter Spinner zu stimmen, nicht jedoch für die SPD-Kandidatinnen.
    Die Zustimmung der AfD sieht Müller nicht als Hindernis. Man könne einen Vorschlag nicht deshalb zurückziehen, nur weil die AfD unterstütze. Das wäre „absurd“, so der CDU-Politiker. „Wenn man danach verfahren würde, würde man ja sämtliche Verhandlungsmacht an die AfD übertragen. Die könnte dann künftig uneingeschränkt über die Politik bestimmen. Das kann ja nicht sinnvoll sein.“
    Einen hypothetischen AfD-Verfassungsrichter hält der Jurist für „hochproblematisch“, da ein Richter allein das Bundesverfassungsgericht handlungsunfähig machen könnte. Dass AfD-Kandidaten von anderen Parteien gewählt würden, gilt allerdings als ausgeschlossen.
    Für Ann-Katrin Kaufhold und Frauke Brosius-Gersdorf wären die Stimmen von Grünen und Linken nötig. Die Grünen haben bereits ihr Ja angekündigt. Allerdings gilt nach wie vor der Unvereinbarkeitsbeschluss der Union, weder mit der AfD noch mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten. Die Linke hatte Gespräche mit der Union gefordert – und entsprechend eine stärkere Beteiligung bei künftigen Vorschlägen.
    leg/tmk