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Abtreibungsgegner
Schulterschluss beim "Marsch für das Leben"

Das Thema Abtreibung führt sie zusammen: konservative Christen und Mitglieder der AfD. Den Schwangerschaftsabbruch lehnen sie strikt ab. Seit Jahren gehen die sogenannten Lebensschützer regelmäßig in Berlin auf die Straße - und rufen auch Gegendemonstrationen auf den Plan.

Von Claudia van Laak | 24.09.2018
    Marsch für das Leben - Abtreibungsgegner bei einer Kundgebung mit anschließendem Trauermarsch protestieren gegen die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen und gegen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche in Berlin snapshot-photography/K.M.Krause *** March for life abortion opponents at a rally followed by a funeral march protesting against the possibility of abortions and advertising for abortions in Berlin snapshot photography K M Krause
    Die Lebensschutzbewegung gibt sich überkonfessionell und überparteilich (imago)
    "Keine Tötung auf Verlangen", "Baby Auslese ist keine Kassenleistung", "Echte Männer stehen zu ihrem Kind" oder: "Willkommenskultur auch für Ungeborene" steht auf ihren grünen Schildern. Mehrere tausend Menschen haben sich zur Kundgebung vor dem Berliner Hauptbahnhof versammelt, lauschen einer christlichen Band.
    Ganz vorn in der ersten Reihe wiegt sich Niklas Fischer im Takt der Musik, singt mit, die Augen geschlossen. Kurze Hose, lila Hemd, Gesundheitssandalen, lange Haare, langer Bart - ein sanfter Jesus-Hippie, so der erste Eindruck.
    "Ich bin hier, weil ich Kinder total lieb habe und weil ich nicht möchte, dass sie abgetrieben werden und weil ich glaube, dass es nichts anderes ist als Massenmord an Kindern."
    Abtreibung gleich Massenmord - und wer sind dann die Mörder? Die Ärzte und die Frauen natürlich, sagt der junge Mann aus der Nähe von Magdeburg. Er wirkt jetzt plötzlich sehr bestimmt - nichts mehr zu spüren vom sanften Jesus-Hippie. "Ab ins Gefängnis mit den Mördern", sagt er.
    "Ja, ich bin ganz ehrlich der Meinung, ich finde, man sollte es genauso bestrafen wie Mord."
    Schnittstellen Islamisierung, "Genderwahn", Abtreibung
    Auf der Bühne werden die Grußworte verlesen - von Volker Kauder, dem Vorsitzenden der Unions-Fraktion im Bundestag zum Beispiel. Im Namen der Fraktion sendet er herzliche Grüße, beklagt die mehr als 100.000 Schwangerschaftsabbrüche im letzten Jahr. "Wir dürfen uns niemals an diese unvorstellbar hohe Zahl gewöhnen", schreibt Kauder. Alexandra Linder nickt, die Frau im schwarz-weiß gestreiften Blazer ist die Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrechts, sie hat die Demonstration organisiert. Am Revers ihres Blazers steckt ein kleines Paar goldener Füßchen.
    "Das ist die Originalgröße der Füßchen eines zehn Wochen alten Kindes. Wir wollen damit sagen, dass der Mensch mit der Zeugung beginnt und deswegen von der Zeugung an auch genau denselben Schutz staatlicherseits haben darf und haben muss wie jeder andere Mensch auch, denn Menschenwürde geht nur ganz."
    Die christliche Lebensschutzbewegung gibt sich überkonfessionell und überparteilich. So ist der Berliner Erzbischof Heiner Koch beim Marsch für das Leben dabei, aber auch der AfD Bundestagsabgeordnete Volker Münz.
    "Das Thema Abtreibung ist neben der sogenannten Islamisierung und dem sogenannten Genderwahn eigentlich das dritte wichtige Schnittstellenthema zwischen ultrakonservativen Christen und rechtsgerichteten Milieus. Da findet man tatsächlich zusammen und es ist ja auch kein Zufall, dass sich die AfD so explizit gegen Abtreibung engagiert", analysiert Liane Bednarz.
    Unterwanderung durch "Angstprediger"
    Die konservative Juristin und Publizistin hat sich in ihrem aktuellen Buch "Die Angstprediger - wie rechte Christen Gesellschaft und Kirche unterwandern" auch mit der Lebensschutzbewegung auseinandergesetzt.
    "Grundsätzlich ist der Lebensschutz aus meiner Sicht eine gute Sache. Problematisch wird es aber dann, und dann geraten wir in diesen Bereich der Angstprediger, wenn es dann kombiniert wird mit demografischen Erwägungen, also dass sich die Deutschen aufgrund zu vieler Abtreibungen zu wenig vermehren."
    So gibt es radikale Lebensschützer, die Abtreibungen mit dem Holocaust vergleichen. Klaus Günter Annen betreibt die Webseite "Baby-Caust" und schreibt dort, Zitat: "Damals KZs, heute OPs". Der Bundesverband Lebensrecht distanziert sich von solchen Vergleichen.
    "Diese Leute sind in keiner Weise mit der Lebensrechtsarbeit verbunden, auch in keiner Weise mit dem Bundesverband Lebensrecht. Es gibt in jeder Bewegung einige Menschen, die das auf eine Art und Weise machen, die wir nicht gut heißen, aber das ist eine absolut verschwindend geringe Minderheit. Der Bundesverband hat über 20.000 organisierte Mitglieder und da gibt es dann einen, der da nicht dabei ist, aber der sein eigenes Ding macht. Das ist eine Minderheit, die es auch in der Umweltbewegung gibt, in der Tierschutzbewegung, ich kann ihn nicht dran hindern."
    "Antifeministische" Ideologie?
    Die Sozialwissenschaftlerin Kirsten Achtelik promoviert gerade über das Thema Lebensschutzbewegung, sie kritisiert deren Anhänger aus einer feministischen Perspektive.
    "Ich würde schon sagen, dass sie sich für ehrliche Christen halten, aber das haben auch andere Leute schon getan, die menschenfeindliche Ansichten haben. Der Kern ihrer Ideologie ist antifeministisch, gegen die Frauen gerichtet, und davon können sie sich gar nicht distanzieren, dann dürften sie nicht zu ihrer Demo aufrufen."
    Am Rande der Kundgebung vor dem Berliner Hauptbahnhof stehen Gegendemonstranten, skandieren "Mittelalter, Mittelalter" oder "Wir sind die Strafe für Eure Sünden".
    Gegen die christliche Band auf der Bühne haben sie ein eigenes Lied einstudiert: "Wir sind die homosexuellen Frauen".
    "Ich möchte selber über meinen Körper bestimmen, ob ich abtreiben möchte oder nicht. Deshalb bin ich heute hier. Das ist richtig und wichtig", sagt eine junge Frau.
    Dann greift sie zum Kinderwagen, führt ihren Säugling weiter spazieren.