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Abzug, wenn "Stabilität vorhanden ist"

Der CSU-Verteidigungspolitiker Christian Schmidt will sich nicht auf ein konkretes Datum für einen Rückzug aus Afghanistan festlegen. Der Einsatz ende, wenn der Auftrag erfüllt sei. Das sollten auch die Taliban wissen.

Christian Schmidt im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Auf einer Gedenkfeier in Bad Salzungen in Thüringen wird heute der drei Bundeswehrsoldaten gedacht, die vergangene Woche im Einsatz in Afghanistan ums Leben gekommen waren. Parallel dazu berät der Bundestag über eine lang geplante Afghanistan-Entscheidung. Es geht darum, ob künftig auch Bundeswehrsoldaten in AWACS-Aufklärungsflugzeuge steigen, die den Luftraum in Afghanistan überwachen. Verteidigungsminister Jung hatte im Vorfeld bereits für die neue Aufgabe geworben.

    Franz-Josef Jung: " 51 Prozent der Flüge für Transport von Material und Personal in Afghanistan - und zwar für Gesamt-Afghanistan - machen wir, die Luftaufklärung für Gesamt-Afghanistan wird mit unseren Tornados geleistet, sodass wir hier ein eminentes Interesse haben, die noch nicht vorhandenen Sicherheitsstrukturen Afghanistans in diesem Bereich der Flugsicherung durch NATO-AWACS-Maschinen vorzunehmen, auch im Interesse und zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten."

    Engels: Am Telefon ist nun Christian Schmidt (CSU), er ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Guten Morgen, Herr Schmidt.

    Christian Schmidt: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Warum ist es so wichtig, dass ausgerechnet Bundeswehrsoldaten in den ohnehin internationalen Mannschaften der AWACS-Maschinen über Afghanistan sitzen?

    Schmidt: Das ist deswegen so wichtig - gestatten Sie mir, dass ich das Wort "ausgerechnet" dann auf alle anderen Länder auch übertrage; die könnten die gleiche Frage stellen -, AWACS ist eines der wenigen völlig integrierten NATO-Elemente. Das heißt, von Anfang an sind in diesen Flugzeugen Offiziere und Soldaten von verschiedenen NATO-Nationen dabei, die sind aufeinander eingespielt. Wenn einer sagt, Nein, ich gehe da nicht mit, dann ist alles lahmgelegt und deswegen muss man gemeinsam entscheiden und deswegen ist es auch unter anderem notwendig, dass die deutschen Anteile sich in den Einsatz mit begeben.

    Engels: Die AWACS-Maschinen haben neben der Aufklärung auch die Aufgabe, Kampfjets über Afghanistan zu ihren Angriffszielen zu geleiten. Das heißt also etwas zugespitzt: Künftig sind auch Bundeswehrbesatzungen unter Umständen mit in der Verantwortung, wenn bei Luftangriffen in Afghanistan unschuldige Zivilisten bei solchen Angriffen sterben?

    Schmidt: Ich glaube, wir müssen schon festhalten: Es ist etwas widersprüchlich die öffentliche Diskussion, in der viele gerade darum drängen, dass wir Begriffe wie "Krieg" und Sonstiges verwenden, was nicht zutreffend ist, und andererseits dann fein ziseliert bei solchen Einsätzen unterstellt wird, das wäre sozusagen eine Fortsetzung oder Entwicklung von Angriffsmaßnahmen. Richtig ist, dass AWACS Luftraum koordiniert, militärischen und zivilen Luftraum koordiniert. Es wird kein Feuerbefehl aus einem Flugzeug gegeben und es bleibt dabei - dankenswerterweise hat das ja auch der neue ISAF-Kommandeur McCrystal, der neue amerikanische General, deutlich gemacht -, dass gerade diese Punkte, die amerikanischen sogenannten Kollateralschäden - schlimmes Wort für eine schlimme Situation -, dass diese Schäden und diese Inanspruchnahme in Zukunft verhindert werden sollen. Ich glaube nicht, dass da ein guter Zusammenhang hergestellt werden könnte. Das ist nicht so.

    Engels: Die Bundesregierung steht ja in einer schwierigen Situation. Auf der einen Seite die Skepsis in der deutschen Bevölkerung, auf der anderen Seite die Forderungen der Verbündeten. Der US-Gesandte bei der NATO, Ivo Daalder, hat erst gestern Deutschland zu einem stärkeren militärischen und finanziellen Engagement in Afghanistan aufgefordert. Gehen Sie auf diese Forderung ein?

    Schmidt: Wir sind sehr intensiv in unserer Verantwortung in Afghanistan mit dabei. Wir sind unter den Truppenstellern sehr weit vorne, wir leisten unseren Beitrag.

    Engels: Aber Daalder sagt, Europa und Deutschland können mehr tun.

    Schmidt: Wir tun das, was vereinbart und was notwendig ist, und da befinden wir uns auch in deutlicher Übereinstimmung mit der amerikanischen Regierung. Ich denke, dass Daalder hier sicherlich in Rechnung stellen wird und muss, dass wir gerade jetzt zur Überwachung der Präsidentschaftswahlen in Afghanistan mit einigen weiteren Soldaten die Sicherheit in der Zeit gewährleisten wollen und werden.

    Engels: Ivo Daalder schlägt vor, dass diese zusätzlichen Soldaten, von denen Sie gerade sprechen - von 600 ist die Rede -, in Afghanistan dauerhaft bleiben sollten, nicht nur für die Wahlen. Kommt das infrage?

    Schmidt: Das sind Fragen, die sich dann an der Notwendigkeit entwickeln und am Bedarf. Es wird sicherlich die eine oder andere Dienstposition geben, die man dann beibehält, und es wird welche geben, die wieder zurückgehen. Ich bitte um Verständnis, dass ich mich an Zahlenspielereien dort nicht beteiligen möchte. Es kommt nicht darauf an, wie viele, sondern dass möglichst guter Einsatz geleistet wird und dass dazu beigetragen wird, dass so bald wie möglich afghanische Kräfte das übernehmen können, was wir tun. Deswegen werden wir in der Tat bei der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte noch etwas zulegen.

    Engels: Dann schauen wir auf ein anderes Thema. Ihr Parteifreund, CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer, hat unlängst ein festes Rückzugsdatum für den Afghanistan-Einsatz gefordert. Der Verteidigungsminister Jung spricht von fünf bis zehn Jahren Einsatz. Was sagen Sie?

    Schmidt: Wenn ich meinen Freund Peter Ramsauer richtig verstanden habe - und wir haben auch darüber gesprochen -, dann hat er von einer Exit-Strategie gesprochen. Die ist notwendig, das ist richtig. Wir müssen uns die Karten legen, wann wir so weit sind. Nur der Drang danach, zu sagen, das ist exakt am 31. August 2000 und sonst wann der Fall, das ist der falsche Ansatz. Wir müssen doch daran uns orientieren, so wie wir das im Kosovo machen, wenn der Erfolg eingetreten ist, dass eine Stabilität vorhanden ist, beziehungsweise dass in Afghanistan die eigenen Kräfte Sicherheit herstellen können. Klar machen müssen wir uns schon, dass wir nicht erst dann gehen können, wenn das Land in voller Blüte ist, sondern wenn die grundsätzlichen Sicherheitsstrukturen einigermaßen stabil sind. Das ist der Zeitpunkt für mich zu gehen, und wir werden uns über dieses, wenn Sie so wollen, Benchmarking dann auch noch unterhalten müssen und daraus lassen sich dann mittelbar Zeiten ableiten. Die Zeiträume, die der Minister genannt hat, sind genau diejenigen, in denen wir den Spielraum haben. Man muss aufpassen, dass wir immer ein Teil der Lösung bleiben und nicht ein Teil des Problems werden, dass es die Ausnahme ist, im Einsatz in Afghanistan zu sein, sondern nicht zur Regel und zur Gewohnheit wird, und dazu führt schon auch das Sich-selbst-noch-einmal-klarmachen, dass Exit-Strategien, wer reingeht muss auch wieder rausgehen, ein Element militärischer Planung und politischer Planung sind. Was ich ein klein wenig bedauere: Es wird immer nur am Militärischen festgehalten. Sie gestatten, dass ich das jetzt aus meiner Sicht einfach mal sage. Wir sollten viel mehr auch über Polizeieinsatz reden - nicht um abzulenken, sondern um darauf hinzuweisen, dass wir doch gerade integriert versuchen, in dem Land Stabilität herzustellen, Entwicklungspolitik, Wirtschaftspolitik. Jeder redet immer nur über Militär und manchmal habe ich den Eindruck, dass in unserer Öffentlichkeit der vernetzte Sicherheitsansatz auch noch nicht so richtig angekommen ist. Deswegen kommt es eben auch darauf an, wann ist denn genügend Polizei ausgebildet. Von 80.000 afghanischen Soldaten, die zum Teil nicht gut ausgebildet und nicht gut bezahlt sind, sterben im Jahr 1400 bei Anschlägen, bei Angriffen von Kriminellen und von Terroristen. Über diese Fragen und über die Verbesserung der Ausbildung lohnt es sich, mindestens genauso zu reden. Das ist meine Empfehlung. Bitte verstehen Sie mein Engagement. Ich finde, wir müssen wirklich auch mal selbst in unserem Land den Mut haben zu sagen, es geht nicht nur um die Frage.

    Engels: Herr Schmidt, ich denke, der Punkt ist angekommen. Auf der anderen Seite geht es aber auch darum, dass natürlich Kämpfe geführt werden auch aufgrund der erstarkenden Taliban, und da sagen ja auch Experten der Bundesregierung, dass die Gefahr besteht, dass Anschläge auf Bundeswehrsoldaten im Vorfeld der Bundestagswahlen eher noch zunehmen werden, weil eben die Taliban hoffen, die Stimmung in Deutschland gegen den Einsatz zu kippen oder weiter zu verschlechtern. Ist die Bundeswehr gewappnet?

    Schmidt: Ja. Das ist auch nicht auszuschließen. Wir sind gewappnet. Ich will auch deutlich sagen: Diejenigen, die zu Beginn des Einsatzes vor einigen Jahren so getan haben, als ob das ein Brunnenbohreinsatz wäre, waren falsch. Natürlich heißt Einsatz des Militärs auch Kämpfen und heißt auch Gewalt anwenden, wenn es notwendig ist, in den entsprechenden Rahmenbedingungen. Wir sind uns bewusst, dass die nächsten Monate sehr gefährlich sind. Gerade deswegen aber, weil wir wissen, dass Taliban auch in diese Richtung Strategien verfolgen, ist es doch so notwendig, dass wir sehr deutliche Signale durch Handeln und durch Reden aussenden, dass wir eben nicht bereit sind, solchen Szenarien sozusagen uns zu unterwerfen und sie dann für Ad-hoc-Strategien zu verwenden. Wir werden bleiben, bis der Auftrag, den ich skizziert habe, erfüllt ist, und das sollen auch die Taliban wissen.

    Engels: Christian Schmidt (CSU), er ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Vielen Dank für das Gespräch.