Dirk Müller: Fast jeden Tag Tote in Afghanistan, tote Taliban-Kämpfer, tote Zivilisten, tote ISAF-Soldaten, darunter auch Deutsche. Die Diskussion ist in vollem Gange, nicht nur hierzulande: sind die NATO-Truppen am Hindukusch weitergekommen? Ist Afghanistan sicherer geworden? Gibt es Erfolge beim Aufbau des Landes? Wann ist Schluss mit dem Militäreinsatz des Westens? Die US-Truppen beispielsweise ziehen sich zurück aus dem Irak, aber eben nicht aus Afghanistan. Die Kämpfe gegen die Taliban-Milizen werden immer heftiger. Nun will das amerikanische Kommando mit einer neuen Offensive das Problem in den Griff bekommen.
Die drei deutschen Soldaten waren vergangenen Dienstag in der Nähe ihres Stützpunktes in Kundus in einem Transportpanzer unterwegs, als sie von Aufständischen angegriffen wurden. Der Panzer kippte in ein Gewässer, dabei wurden die drei getötet. Heute die Trauerfeier für die drei im thüringischen Bad Salzungen.
Ist Afghanistan ein Kriegseinsatz? Eine Frage, die derzeit in Berlin täglich gestellt wird. Hier noch einmal die Antwort von Franz-Josef Jung:
Franz-Josef Jung: "Was wollen die Taliban? Die wollen genau, dass wir von Krieg sprechen. Dann sind sie nämlich Kombatanden und können auch berechtigterweise auf uns schießen. Aber sie sind Verbrecher, sie sind Terroristen und es ist kein Krieg!"
Müller: "Es ist kein Krieg", sagt Franz-Josef Jung. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem früheren NATO-General Klaus Naumann. Guten Tag!
Klaus Naumann: Guten Tag, Herr Müller.
Müller: Herr Naumann, warum führt der deutsche Verteidigungsminister einen solchen Eiertanz auf?
Naumann: Ich glaube nicht, dass das ein Eiertanz ist. Er bezieht sich auf die völkerrechtliche Situation, die ist eindeutig: wir befinden uns nicht im Krieg mit Afghanistan. Die Taliban sind Aufständische, sind keine Kombatanden nach dem Kriegsvölkerrecht. Von daher gesehen hat der Minister Recht, wenn er sich auf die völkerrechtliche Situation bezieht.
Selbst an einem solchen Tag, wo Trauer und Mitgefühl unser Denken wahrscheinlich stärker bestimmen als rechtliche Erregung, ist natürlich für die Menschen, die dort in Afghanistan eingesetzt sind, das, was sie Tag für Tag erleben eine kriegerische Handlung. Das ist kein Zweifel. Aber die völkerrechtliche Dimension darf nicht außer Acht gelassen werden, denn sonst sind wir tatsächlich auf einer schiefen Ebene.
Müller: Da möchte ich trotzdem noch mal nachfragen, Herr Naumann. Wenn fast jeden Tag Menschen getötet werden, umgebracht werden, auch in großen Gefechten, in großen Auseinandersetzungen mit schweren Waffen, warum ist das dann kein Krieg?
Naumann: Ich sage ja, es ist eine kriegerische Handlung, es sind kriegerische Handlungen, die dort stattfinden. Der Minister hat das ja nun, glaube ich, auch das erste Mal gesagt: es ist ein Kampfeinsatz, der dort vorgenommen wird, basierend auf einem Mandat der Vereinten Nationen, und einer der ehernen Grundsätze auch der Vereinten Nationen ist, dass die Vereinten Nationen niemals Krieg führen. Sie führen Zwangsmaßnahmen durch, die natürlich dann in Kriegshandlungen ausarten und so durchgeführt werden in der Wahrnehmung der Soldaten, auch der Menschen in Afghanistan, aber die rechtliche Dimension ist halt diejenige, die uns zu diesen vielleicht semantischen Übungen zwingt, die aber kein Eiertanz sind, sondern die schon eine praktische Bedeutung haben.
Müller: Das hört sich so ein bisschen nach Camouflage an. Warum überdeckt man das und redet nicht Klartext?
Naumann: Ich glaube nicht, dass man von Camouflage reden kann. Wenn ich zum Beispiel sage, das sind kriegerische Handlungen, wenn der Minister von Kampfeinsatz spricht - ich glaube, ich war der erste, der einen solchen Einsatz in Deutschland als Kampfeinsatz bezeichnet hat, lang, lang ist’s her - das hat nichts mehr mit Camouflage zu tun.
Müller: Herr Naumann, wir haben nachgelesen und eine Stelle gefunden während der Auseinandersetzung im Kosovo. Da sollen Sie offenbar für eine Kriegserklärung plädiert haben. Stimmt das?
Naumann: Können Sie das bitte noch mal sagen? Das war jetzt akustisch nicht richtig angekommen.
Müller: Während der Kampfhandlungen im Kosovo – das haben wir im Internet nachgelesen – sollen Sie offenbar ganz offen für eine Kriegserklärung eingetreten sein, um da wiederum auch Klartext zu reden.
Naumann: Nein. Ich glaube nicht, dass ich das gesagt habe. Gut, das ist jetzt zehn Jahre her und man erinnert sich sicherlich nicht an jedes Wort, das man gesagt hat, aber ich glaube nicht, dass ich jemals die Forderung nach einer Kriegserklärung gestellt habe, denn dann hätten wir Jugoslawien und dem Rest-Jugoslawien den Krieg erklären müssen. Dafür gab es keine Notwendigkeit.
Müller: Kann man als Deutscher, obwohl man als Soldat vor Ort mit schweren Waffen operiert, nicht der Welt aus Prinzip sagen, dass man sich im Krieg befindet?
Naumann: Der Soldat in Afghanistan oder auch die Luftwaffensoldaten, die im Kosovo eingesetzt waren, haben einen Auftrag des deutschen Parlaments ausgeführt, der mit überwältigender Mehrheit beschlossen worden war. Und sie sind dabei autorisiert worden, ihre Waffen, auch schwere Waffen einzusetzen, in der Umsetzung im Falle Afghanistan eines Mandats der Vereinten Nationen.
Müller: Aber wir scheuen uns semantisch – das haben Sie eben angesprochen – zu sagen, das ist Krieg?
Naumann: Ja, weil wir damit eine völkerrechtliche Schwelle überschreiten würden, für die es bisher unter den Rechtsgelehrten überhaupt keine Definition gibt. Krieg ist eine Aktion zwischen Staaten. In Afghanistan führen wir nicht gegen einen Staat Krieg, sondern wir führen gegen Menschen, die noch nicht mal alle aus Afghanistan stammen, Kampfhandlungen durch, um den Frieden wieder herzustellen, um Sicherheit zu gewährleisten, damit der Wiederaufbau des Landes vorangebracht werden kann.
Müller: Herr Naumann, lösen wir uns ein wenig von der Definition, reden wir über die Wirklichkeit vor Ort. Haben Sie auch den Eindruck, dass sich die Kampfhandlungen erstens immer heftiger ausweiten und dass das Ende der Fahnenstange da noch lange nicht erreicht ist?
Naumann: Den Eindruck teile ich uneingeschränkt und da die Taliban auch Leute sind, die natürlich sehr intensiv verfolgen, was bei uns für eine innenpolitische Diskussion stattfindet, und sie sich vermutlich eine Chance ausrechnen, durch weitere Intensivierung des Drucks auf Deutschland doch noch ihr Ziel zu erreichen, Deutschland aus der Allianz der Nationen, die in Afghanistan stehen, herauszusprengen, werden sie vermutlich auch noch mehr unternehmen. Das ist die Situation, mit der wir fertig werden müssen.
Müller: Steigt die Terrorgefahr gegen Deutsche?
Naumann: Das würde ich nicht ausschließen, aber das zu beurteilen ist Sache der Innenministerien des Bundes und der Länder, und die werden hier sicherlich alles tun, um zu verhindern, dass es zu Terroranschlägen gegen Deutsche kommt.
Müller: Gegen Deutsche, aber gegen deutsche Soldaten wächst die Gefahr definitiv?
Naumann: Das findet in Afghanistan jeden Tag statt, wie wir ja jetzt in den letzten Tagen Tag für Tag in den Fernsehbildern gesehen haben. Wenn ein deutscher Sanitätspanzer durch eine Straße fährt und wenige Meter von ihm entfernt explodiert eine sogenannte IED, diese behelfsmäßigen Sprengsätze, dann ist das ein Terroranschlag.
Müller: Würden Sie noch länger in Afghanistan bleiben?
Naumann: Es gibt dazu für uns keine Alternative. Wir dürfen auch nicht vergessen: es war nicht zuletzt Deutschland, das 2002 die NATO gedrängt hat, Afghanistan zu einer NATO-Operation zu machen. Das ist die Regierung Schröder/Fischer gewesen. Wenn man so etwas anstößt, dann, meine ich, muss man auch bereit sein, die Sache durchzustehen. Im Übrigen kann ich nur sagen: wenn wir die Krise nicht da bekämpfen, wo sie entsteht, dann kommt die Krise zu uns.
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der frühere NATO-General Klaus Naumann. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Naumann: Bitte sehr, Herr Müller.
Die drei deutschen Soldaten waren vergangenen Dienstag in der Nähe ihres Stützpunktes in Kundus in einem Transportpanzer unterwegs, als sie von Aufständischen angegriffen wurden. Der Panzer kippte in ein Gewässer, dabei wurden die drei getötet. Heute die Trauerfeier für die drei im thüringischen Bad Salzungen.
Ist Afghanistan ein Kriegseinsatz? Eine Frage, die derzeit in Berlin täglich gestellt wird. Hier noch einmal die Antwort von Franz-Josef Jung:
Franz-Josef Jung: "Was wollen die Taliban? Die wollen genau, dass wir von Krieg sprechen. Dann sind sie nämlich Kombatanden und können auch berechtigterweise auf uns schießen. Aber sie sind Verbrecher, sie sind Terroristen und es ist kein Krieg!"
Müller: "Es ist kein Krieg", sagt Franz-Josef Jung. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem früheren NATO-General Klaus Naumann. Guten Tag!
Klaus Naumann: Guten Tag, Herr Müller.
Müller: Herr Naumann, warum führt der deutsche Verteidigungsminister einen solchen Eiertanz auf?
Naumann: Ich glaube nicht, dass das ein Eiertanz ist. Er bezieht sich auf die völkerrechtliche Situation, die ist eindeutig: wir befinden uns nicht im Krieg mit Afghanistan. Die Taliban sind Aufständische, sind keine Kombatanden nach dem Kriegsvölkerrecht. Von daher gesehen hat der Minister Recht, wenn er sich auf die völkerrechtliche Situation bezieht.
Selbst an einem solchen Tag, wo Trauer und Mitgefühl unser Denken wahrscheinlich stärker bestimmen als rechtliche Erregung, ist natürlich für die Menschen, die dort in Afghanistan eingesetzt sind, das, was sie Tag für Tag erleben eine kriegerische Handlung. Das ist kein Zweifel. Aber die völkerrechtliche Dimension darf nicht außer Acht gelassen werden, denn sonst sind wir tatsächlich auf einer schiefen Ebene.
Müller: Da möchte ich trotzdem noch mal nachfragen, Herr Naumann. Wenn fast jeden Tag Menschen getötet werden, umgebracht werden, auch in großen Gefechten, in großen Auseinandersetzungen mit schweren Waffen, warum ist das dann kein Krieg?
Naumann: Ich sage ja, es ist eine kriegerische Handlung, es sind kriegerische Handlungen, die dort stattfinden. Der Minister hat das ja nun, glaube ich, auch das erste Mal gesagt: es ist ein Kampfeinsatz, der dort vorgenommen wird, basierend auf einem Mandat der Vereinten Nationen, und einer der ehernen Grundsätze auch der Vereinten Nationen ist, dass die Vereinten Nationen niemals Krieg führen. Sie führen Zwangsmaßnahmen durch, die natürlich dann in Kriegshandlungen ausarten und so durchgeführt werden in der Wahrnehmung der Soldaten, auch der Menschen in Afghanistan, aber die rechtliche Dimension ist halt diejenige, die uns zu diesen vielleicht semantischen Übungen zwingt, die aber kein Eiertanz sind, sondern die schon eine praktische Bedeutung haben.
Müller: Das hört sich so ein bisschen nach Camouflage an. Warum überdeckt man das und redet nicht Klartext?
Naumann: Ich glaube nicht, dass man von Camouflage reden kann. Wenn ich zum Beispiel sage, das sind kriegerische Handlungen, wenn der Minister von Kampfeinsatz spricht - ich glaube, ich war der erste, der einen solchen Einsatz in Deutschland als Kampfeinsatz bezeichnet hat, lang, lang ist’s her - das hat nichts mehr mit Camouflage zu tun.
Müller: Herr Naumann, wir haben nachgelesen und eine Stelle gefunden während der Auseinandersetzung im Kosovo. Da sollen Sie offenbar für eine Kriegserklärung plädiert haben. Stimmt das?
Naumann: Können Sie das bitte noch mal sagen? Das war jetzt akustisch nicht richtig angekommen.
Müller: Während der Kampfhandlungen im Kosovo – das haben wir im Internet nachgelesen – sollen Sie offenbar ganz offen für eine Kriegserklärung eingetreten sein, um da wiederum auch Klartext zu reden.
Naumann: Nein. Ich glaube nicht, dass ich das gesagt habe. Gut, das ist jetzt zehn Jahre her und man erinnert sich sicherlich nicht an jedes Wort, das man gesagt hat, aber ich glaube nicht, dass ich jemals die Forderung nach einer Kriegserklärung gestellt habe, denn dann hätten wir Jugoslawien und dem Rest-Jugoslawien den Krieg erklären müssen. Dafür gab es keine Notwendigkeit.
Müller: Kann man als Deutscher, obwohl man als Soldat vor Ort mit schweren Waffen operiert, nicht der Welt aus Prinzip sagen, dass man sich im Krieg befindet?
Naumann: Der Soldat in Afghanistan oder auch die Luftwaffensoldaten, die im Kosovo eingesetzt waren, haben einen Auftrag des deutschen Parlaments ausgeführt, der mit überwältigender Mehrheit beschlossen worden war. Und sie sind dabei autorisiert worden, ihre Waffen, auch schwere Waffen einzusetzen, in der Umsetzung im Falle Afghanistan eines Mandats der Vereinten Nationen.
Müller: Aber wir scheuen uns semantisch – das haben Sie eben angesprochen – zu sagen, das ist Krieg?
Naumann: Ja, weil wir damit eine völkerrechtliche Schwelle überschreiten würden, für die es bisher unter den Rechtsgelehrten überhaupt keine Definition gibt. Krieg ist eine Aktion zwischen Staaten. In Afghanistan führen wir nicht gegen einen Staat Krieg, sondern wir führen gegen Menschen, die noch nicht mal alle aus Afghanistan stammen, Kampfhandlungen durch, um den Frieden wieder herzustellen, um Sicherheit zu gewährleisten, damit der Wiederaufbau des Landes vorangebracht werden kann.
Müller: Herr Naumann, lösen wir uns ein wenig von der Definition, reden wir über die Wirklichkeit vor Ort. Haben Sie auch den Eindruck, dass sich die Kampfhandlungen erstens immer heftiger ausweiten und dass das Ende der Fahnenstange da noch lange nicht erreicht ist?
Naumann: Den Eindruck teile ich uneingeschränkt und da die Taliban auch Leute sind, die natürlich sehr intensiv verfolgen, was bei uns für eine innenpolitische Diskussion stattfindet, und sie sich vermutlich eine Chance ausrechnen, durch weitere Intensivierung des Drucks auf Deutschland doch noch ihr Ziel zu erreichen, Deutschland aus der Allianz der Nationen, die in Afghanistan stehen, herauszusprengen, werden sie vermutlich auch noch mehr unternehmen. Das ist die Situation, mit der wir fertig werden müssen.
Müller: Steigt die Terrorgefahr gegen Deutsche?
Naumann: Das würde ich nicht ausschließen, aber das zu beurteilen ist Sache der Innenministerien des Bundes und der Länder, und die werden hier sicherlich alles tun, um zu verhindern, dass es zu Terroranschlägen gegen Deutsche kommt.
Müller: Gegen Deutsche, aber gegen deutsche Soldaten wächst die Gefahr definitiv?
Naumann: Das findet in Afghanistan jeden Tag statt, wie wir ja jetzt in den letzten Tagen Tag für Tag in den Fernsehbildern gesehen haben. Wenn ein deutscher Sanitätspanzer durch eine Straße fährt und wenige Meter von ihm entfernt explodiert eine sogenannte IED, diese behelfsmäßigen Sprengsätze, dann ist das ein Terroranschlag.
Müller: Würden Sie noch länger in Afghanistan bleiben?
Naumann: Es gibt dazu für uns keine Alternative. Wir dürfen auch nicht vergessen: es war nicht zuletzt Deutschland, das 2002 die NATO gedrängt hat, Afghanistan zu einer NATO-Operation zu machen. Das ist die Regierung Schröder/Fischer gewesen. Wenn man so etwas anstößt, dann, meine ich, muss man auch bereit sein, die Sache durchzustehen. Im Übrigen kann ich nur sagen: wenn wir die Krise nicht da bekämpfen, wo sie entsteht, dann kommt die Krise zu uns.
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der frühere NATO-General Klaus Naumann. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Naumann: Bitte sehr, Herr Müller.