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Ägyptens Präsident in Berlin
Dialog im Einsatz für die Menschenrechte

Bereits im Vorfeld galt der Staatsbesuch des ägyptischen Präsidenten als umstritten. Er finde es eine sehr kluge Aufteilung, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel al-Sisi empfangen haben, Bundestagspräsident Norbert Lammert ein geplantes Treffen aber abgesagt habe, sagte Hans-Gert Pöttering (CDU), Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, im DLF.

Hans-Gert Pöttering im Gespräch mit Christine Heuer | 04.06.2015
    Porträt von Hans-Gert Pöttering
    Hans-Gert Pöttering (CDU) war von 2007 bis 2009 der 23. Präsident des Europäischen Parlamentes. (picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler)
    Todesurteile, die Unterdrückung von Bürgerrechten und Verfolgung von Homosexuellen sind nur einige Beispiele für Menschenrechtsverletzungen in Ägypten. Bei der Pressekonferenz, die Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit Abdel Fattah al-Sisi hielt, kam es dann zu einem Eklat. Eine Ägypterin beschimpfte al-Sisi als Mörder.
    Dieser Vorfall zeige die Gespaltenheit der ägyptischen Gesellschaft, sagte Hans-Gert Pöttering (CDU), Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, im DLF.
    Mit Blick auf den umstrittenen Empfang und die Weigerung von Bundestagspräsident Norbert Lammert, mit al-Sisi zusammenzukommen, sagte Pöttering, er könne das Verhalten eines Jeden verstehen. Die Bundeskanzlerin müsse die Interessen der Bundesrepublik zu vertreten. In dieser Funktion habe sie sich auch klar für die Einhaltung der Menschenrechte eingesetz
    Das Interview können Sie hier in voller Länge nachlesen.

    Christine Heuer: Auch jenseits der tumultartigen Pressekonferenz sorgte der Besuch des ägyptischen Präsidenten in Deutschland für Aufregung. Al-Sisi ist zwar als Präsident gewählt, Parlamentswahlen aber hat er erst einmal verschoben. Unter seinem Militärregime werden haufenweise Todesurteile ausgesprochen, zum Beispiel gegen al-Sisis gestürzten Amtsvorgänger Mursi. Bürgerrechte werden unterdrückt, Homosexuelle werden regelrecht gejagt, und trotzdem wird al-Sisi von deutschen Politikern empfangen, und die deutsche Wirtschaft macht mit Kairo lukrative Geschäfte.
    Hans-Gert Pöttering war Präsident des Europäischen Parlaments. Er ist Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung. Er war im Arabischen Frühling bei den Demonstrationen gegen den Militärdiktator Mubarak auf dem Tahir-Platz dabei, hat das miterlebt. Das Büro seiner Stiftung in Kairo wurde 2011 geschlossen, 2013 wurden zwei Mitarbeiter in Abwesenheit zu Geldstrafen verurteilt. Er kennt Ägypten, so kann man es sagen, und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Pöttering!
    Pöttering: Guten Morgen, Frau Heuer!
    Heuer: Verstehen Sie die Frau, die gestern gegen al-Sisi aufgestanden ist bei der Pressekonferenz?
    Pöttering: Ja, das Verhalten dieser Frau zeigt die Gespaltenheit der ägyptischen Gesellschaft. Auf der einen Seite ein autoritäres Regime, das die Freiheit und die Demokratie sich nicht so entwickeln lässt, wie es unseren Vorstellungen entspricht. Und auf der anderen Seite die Menschen, die für Demokratie und Freiheit eintreten. Und insofern muss man das Verhalten dieser Frau verstehen.
    "Kluge Aufgabenverteilung zwischen Merkel, Gauck und Lammert"
    Heuer: Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, hat sich geweigert, al-Sisi zu empfangen, Angela Merkel und Joachim Gauck nicht. Auf wessen Seite stehen Sie?
    Pöttering: Man kann das Verhalten aller drei gut rechtfertigen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich ja auch für die Konrad-Adenauer-Stiftung in dem Gespräch mit al-Sisi eingesetzt hat, und dafür möchte ich ihr herzlich danken, vertritt die Bundesrepublik Deutschland und muss die Interessen Deutschlands und der Europäischen Union vertreten, ebenso wie der Bundespräsident. Das ist die Ebene der Regierung, die Ebene, die eine politische Verantwortung hat für Deutschland, aber auch für die ganze Entwicklung im arabischen Raum. Und auf der anderen Seite der Vertreter der Demokratie und des Parlamentarismus, Bundestagspräsident Norbert Lammert. Und wenn er sich weigert, al-Sisi zu empfangen, wird damit zum Ausdruck gebracht, dass wir Demokratie und Freiheit auch für Ägypten wollen. Insofern ist das eine sehr kluge, wie ich finde, Aufgabenverteilung zwischen Bundespräsident Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel einerseits und dem Präsidenten des Deutschen Bundestages andererseits. Also, das Verhalten aller drei ist sehr zu rechtfertigen.
    Heuer: Aber heraus kommt da ja, Herr Pöttering, ein sehr zwiespältiges Signal. Braucht es nicht eine sehr klare Haltung, um Einfluss zu nehmen auf das ägyptische Regime?
    Pöttering: Ja, die Bundesregierung hat ja, wenn ich es richtig bewerte, eine Doppelstrategie. Und das ist ja auch durch die Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel sehr deutlich geworden. Auf der einen Seite klar aussprechen, was unsere Prinzipien sind, Freiheit, Demokratie, Parlamentarismus. Wir sind entschieden gegen die Todesstrafe, in jedem Fall gegen die Todesstrafe, für welche Fälle sie auch angewandt wird, wir sind immer gegen die Todesstrafe, das widerspricht unseren Prinzipien. Aber auf der anderen Seite muss man mit den Staatschefs, die die Verantwortung haben, in diesem Fall al-Sisi in Ägypten, auch im Dialog bleiben. Nur, wenn man im Dialog bleibt, kann man auch unsere eigenen Überzeugungen deutlich machen. Das gilt ja in anderen Fällen auch. Wenn wir an Russland denken, das Verhalten Russlands gegenüber der Ukraine wird von uns verurteilt, entschieden verurteilt, aber gleichzeitig wird das Gespräch mit Russland weitergeführt. Ich glaube, dass diese Doppelstrategie der richtige Weg ist.
    "Wir müssen unsere Prinzipien klarmachen"
    Heuer: Aber gerade an Russland sieht man ja, dass das nicht sehr erfolgreich ist. Ist es denn wirklich richtig, al-Sisi alles zu geben, was er will? Er hatte den roten Teppich, er hatte die Fernsehbilder, er hat ein Riesengeschäft mit Siemens abgeschlossen, und wir stehen da und reichen die Hand und kritisieren ein bisschen. Was soll das bringen?
    Pöttering: Zunächst einmal teile ich nicht Ihre Meinung, Frau Heuer, dass das im Fall Russlands nicht erfolgreich ist.
    Heuer: Na, sagen wir mal, es ist jedenfalls sehr, sehr schwierig.
    Pöttering: Es braucht seine Zeit. Und ein Nicht-Handeln und ein Genehmigen oder Akzeptieren des Verhaltens von Russland in der Ukraine würde die Dinge sehr viel schlimmer machen, weil wir nicht wissen, wie weit dann Russland gehen würde. Aber wir reden ja hier nicht über Russland, sondern ich möchte nur die generelle politische Linie für richtig halten, aus meiner Sicht, dass wir mit den Verantwortlichen reden. Es ist eine schwierige Situation in der arabischen Welt. Denken Sie an den Islamischen Staat, was im Irak passiert, was in Syrien passiert, in Libyen, in Nordafrika. Und dort gibt es dann in Kairo eine Regierung, die alles in allem auch gegen diejenigen eintritt, gegen die auch wir sind, nämlich den fundamentalistischen Islam, den Islamischen Staat. Da haben wir eine Gemeinsamkeit, und die Interessenlage gebietet es, dass wir diese Gemeinsamkeit suchen. Wenn wir jetzt nicht eine bestimmte Zusammenarbeit, Kooperation mit Ägypten hätten, dann würden wir die Dinge nur noch verschlimmern. Aber wir müssen gleichzeitig, wie es ja auch gestern in Berlin geschehen ist, unsere Prinzipien deutlich machen. Es ist sicher eine Gratwanderung, aber Politik besteht auch darin, dass man Abwägungen trifft, die dann am Ende unseren deutschen und europäischen Interessen dienen.
    "Mursis Todesurteil muss revidiert werden"
    Heuer: Mit dem Islamischen Staat argumentiert ja auch der ägyptische Präsident nach innen, das gestattet dann Menschenrechtsverletzungen in Ägypten. Und nach außen, damit bietet er sich dann als Verbündeter an. Wie viel trägt Ägypten denn tatsächlich zur Sicherheit bei, zum Kampf gegen den Islamischen Staat?
    Pöttering: Der Kampf gegen den Islamischen Staat gestattet keine Menschenrechtsverletzungen, da sind sie ja dagegen, aber wenn Vertreter des Islamischen Staats Menschen ermorden, und sie tun es ja in der brutalsten Weise, dann muss dem begegnet werden. Und dies tut auch die ägyptische Regierung. Aber wir müssen auch die ägyptische Regierung mahnen, dass immer die Verhältnismäßigkeit der Mittel eingehalten wird. Und es geht nicht, dass Hunderte von Menschen zum Tode verurteilt werden. Und deswegen müssen wir auch darauf bestehen, und das ist auch gestern in Berlin deutlich gemacht worden, dass das Todesurteil gegen den früheren Präsidenten Mursi aus unserer Sicht überhaupt nicht zu rechtfertigen ist. Und wir fordern die ägyptische Seite auf, dieses Urteil zu revidieren. Es ist ja auch nicht so, dass die Justiz völlig unabhängig wäre. Im Übrigen hat man unseren Vertretern der Adenauer-Stiftung nicht nur eine Geldstrafe gegeben, sondern unsere Leute sind verurteilt worden zu einer Haftstrafe, der Repräsentant der Stiftung zu fünf Jahren Haftstrafe, eine Mitarbeiterin zu zwei Jahren Haftstrafe. Die sind Gott sei Dank in Deutschland, und die Mitarbeiterin ist mit ihren beiden Töchtern in Deutschland, die jetzt in Deutschland eine Schule besuchen. Und ihr Ehemann, der Ägypter ist, ist in Kairo. Das heißt, eine Familie wird getrennt. Und wir fordern, dass es hier eine Lösung gibt, eine Amnestie, sodass auch die Familie wieder zusammengeführt werden kann.
    Pöttering fordert Amnestie für KAS-Mitarbeiter
    Heuer: Haben Sie nach dem Gespräch, dass Frau Merkel gestern mit al-Sisi geführt hat, konkrete Hinweise darauf, dass diese Ihre Forderung für die eigenen Mitarbeiter und ihre Stiftung in Kairo erfüllt wird?
    Pöttering: Es gibt gewisse Überlegungen, die mir mitgeteilt worden sind, die aber in keiner Weise zufriedenstellend sind, und deswegen stelle ich noch einmal die Forderung auf, dass unsere beiden Mitarbeiter amnestiert werden, sodass vor allen Dingen diese Familie wieder zusammengeführt werden kann. Und was die Arbeit der Stiftung angeht, so wollen wir in Ägypten wieder arbeiten, aber es gibt bisher keinen Weg, der dies ermöglicht. Und vor allen Dingen gibt es Vorschläge, aber die stehen seit Jahren im Raum. Es soll ein Kulturabkommen geben, und im Rahmen dieses Kulturabkommens sollen dann die Stiftungen arbeiten. Sie sollen aber auch sich die Projekte genehmigen lassen. Aber dieses soll nach meinen Informationen nicht für die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) gelten, wohl für die anderen deutschen Stiftungen. Und ich bin den anderen deutschen Stiftungen sehr dankbar, dass sie sagen, wenn hier eine Übereinkunft mit Ägypten herbeigeführt wird am Ende, dann muss es alle Stiftungen einschließlich der Adenauer-Stiftung beinhalten. Und insofern danke ich den anderen Stiftungen, dass sie hier solidarisch sind.
    Heuer: Dann hoffen wir, dass das alles auf gutem Wege ist. Hans-Gert Pöttering, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung war das. Herr Pöttering, Danke für das Interview!
    Pöttering: Ich danke Ihnen, Frau Heuer, einen guten Tag!
    Heuer: Ihnen auch!
    Pöttering: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.