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Ärger mit der Hubble-Konstanten
Was ist falsch an unserem Modell über den Aufbau der Welt?

Die Hubble-Konstante gibt an, wie schnell sich das Universum ausdehnt. Viele Kosmologen haben lange geglaubt, sie hätten ein nahezu perfektes Modell für den Aufbau der Welt. Doch das hat nun kräftige Risse bekommen, denn gemessene Werte stellen die Theorie infrage.

Von Dirk Lorenzen | 26.06.2020
Die Galaxie NGC 2608, aufgenommen mit dem Hubble-Teleskop.
Die Galaxie NGC 2608, aufgenommen mit dem Hubble-Teleskop (imago)
Normalerweise würde er sagen, 'danke, dass Sie mich nach Garching eingeladen haben', beginnt Adam Riess den ersten Vortrag. Aber er ist zu Hause in Baltimore. Die Corona-Pandemie zwingt auch die Kosmologen, sich nicht im direkten Gespräch über ihr Problem mit dem Urknall auszutauschen, sondern über virtuelle Plattformen wie Zoom.
"Wir haben ein Standardmodell der Kosmologie, genannt Lambda CDM, das sehr erfolgreich ist und den Aufbau des Universums gut erklärt. Es basiert auf der kosmischen Hintergrundstrahlung, die kurz nach dem Urknall entstanden ist und vom Satellitenteleskop Planck extrem genau beobachtet wurde. Damit können wir ausrechnen, wie schnell sich das Universum heute ausdehnen sollte – und da liefern die genauesten Daten einen Wert von 67,4.", sagt Riess.
67,4 Kilometer pro Sekunde pro 3,3 Millionen Lichtjahre, so die etwas kuriose Einheit der "Hubble-Konstanten". Diese Größe gibt einfach an, um wie viel schneller sich weit entfernte Galaxien von uns fortbewegen als Galaxien in der Nähe. 67,4 ist der aus dem aktuellen Urknallmodell erwartete Wert. Adam Riess von der Johns Hopkins Universität und viele Kolleginnen und Kollegen weltweit haben nun nachgemessen, wie schnell die Galaxien heute tatsächlich auseinander fliegen.
Das Modell passt nicht zu den Messwerten
"Mit dem Hubble-Weltraumteleskop beobachten wir viele Cepheiden-Sterne und Supernova-Explosionen. Damit lassen sich die Entfernung und die Geschwindigkeit von Galaxien bestimmen. Unsere Daten ergeben eine Hubble-Konstante von 73,5 – und das passt nur mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Million zum erwarteten Wert", sagt Riess.
Das Hubble Space Telescope in einer Nahaufnahme
30 Jahre legendäres Himmelsauge - Hubble, das ewige Teleskop
Am 24. April 1990 startete das Hubble-Weltraumteleskop ins All. Die ersten Bilder waren ein Schock: Aufgrund eines falsch geschliffenen Spiegels sah Hubble das Weltall völlig unscharf.
Kurz gesagt: Der gemessene Wert liegt neun Prozent höher als der theoretisch erwartete. Anfangs dachten die meisten, es handele sich einfach um einen Messfehler, der mit der Zeit und mehr Daten verschwinden werde. Doch in den letzten Monaten sind über ein halbes Dutzend Fachartikel erschienen. Sie alle nutzen zwar unterschiedliche Methoden, kommen aber zu demselben Ergebnis. Der Kosmos dehnt sich heute schneller aus als erwartet. Das Modell, das den Aufbau und die Entwicklung des Kosmos beschreibt, muss irgendwo ziemlich falsch sein. Jetzt ist guter Rat teuer.
Dazu Riess: "Manche glauben, wir leben in einer Art großen Lücke im Kosmos, in der es weniger Materie gibt als anderswo, weshalb die Ausdehnung schneller erfolgt. Doch das hilft auch nicht viel weiter, denn es hätte nur einen sehr kleinen Effekt. Diese große Abweichung lässt sich damit absolut nicht erklären."
Ein Modell mit erheblichen Schwächen
Das große Problem könnte zur großen Chance der Kosmologie werden. Denn das bisherige Weltmodell ist zwar mathematisch elegant, hat aber physikalisch erhebliche Schwächen. Nach ihm entfallen 95 Prozent des Universums auf Dunkle Materie und Dunkle Energie, deren Natur noch völlig rätselhaft ist. Vielleicht bringen die Abweichungen bei der Hubble-Konstanten die liebgewonnene Theorie zum Einsturz. Viele hoffen, dass ein "Modell X" einen Ausweg aus dem Dilemma weist. Doch die vagen Ideen etwa von wechselwirkender Dunkler Materie sind bisher reines Stochern im Nebel. Adam Riess hat zwar einst für die Entdeckung der Dunklen Energie den Physik-Nobelpreis erhalten, setzt jetzt aber auf einen neuen Geistesblitz.
"Wir müssen uns einfach die Fakten ansehen. Wenn unsere Theorien nicht stimmen, dann ist das eben so. Vielleicht ist das Universum cleverer als wir heute sind. Irgendwann kommt dann schon eine bessere Idee."