Montag, 18. März 2024

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Ärztin Kristina Hänel
"Leichtfertige Abtreibungen gibt es nicht"

Die Ärztin Kristina Hänel kämpft weiter vor Gericht gegen den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches. Es sei absurd, dass dieser die sachliche und seriöse Information über Abtreibungen verbiete, weil er sie als Werbung ansehe, sagte Hänel im Dlf. Sie will ihren Fall bis zum Bundesverfassungsgericht bringen.

Kristina Hänel im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 14.08.2018
    Die Ärztin Kristina Hänel vor dem Amtsgericht in Gießen (Hessen).
    2017 wurde die Ärztin Kristina Hänel, weil sie auf ihrer Webseite unter "Angebot" auch den "Schwangerschaftsabbruch" aufführte, wegen Verstoßes gegen das im Paragrafen 219a verankerte Werbeverbot zu einer Geldstrafe verurteilt (Boris Roessler / dpa )
    Ihr Kampf gegen ein Urteil des Amtsgerichts Gießen hat sie zur Symbolfigur des Widerstands gegen das Abtreibungs-Werbungsverbot gemacht: 2017 wurde die Ärztin Kristina Hänel, weil sie auf ihrer Webseite unter "Angebot" auch den "Schwangerschaftsabbruch" aufführte, wegen Verstoßes gegen das im Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs verankerte weitreichende Werbungsverbot zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. Sie ging dagegen in Berufung - und sagte im Dlf, sie wolle den Fall bis vors Bundesverfassungsgericht bringen.
    "Ein Schwangerschaftsabbruch wird nie etwas Normales sein"
    Abtreibungen sind in Deutschland grundsätzlich verboten. Das komplizierte um die Paragrafen 218 und 219 StGB entstandene System für straffreie Schwangerschaftsabbrüche funktioniere in der Praxis nicht, sagte Hänel im Dlf. Nicht alle Beratungsstellen seien kompetent über Methoden aufzuklären oder willens, Adressen von Ärzten herauszugeben, die dem Thema Abtreibung gegenüber aufgeschlossen sind. Nur solche Ärzte würden Adressen von Kollegen weitergeben, die Abbrüche vornehmen. Und in Bayern dürften überhaupt nur die unteren Gesundheitsbehörden Adressen herausgeben.
    "Mir ist es vor allem wichtig, dass ich die Frauen aufkläre"
    Sie betrachte es als ihre ärztliche Pflicht, Patienten über Methoden, Risiken und Komplikationen des Eingriffs aufzuklären, begründete Hänel ihren Widerstand gegen den Gesetzesparagrafen: "Der Paragraf 219a verbietet die sachliche und seriöse Information, weil er sagt, das ist Werbung." Das auf eine NS-Gesetzgebung von 1933 zurückgehende Werbungsverbot sei von vornherein so geschaffen, dass es nicht zu verstehen und missverständlich sei.
    Die sich daraus ergebende Angst und Unsicherheit, sich eventuell strafbar zu machen, führe zu einem Informations-Ungleichgewicht in der Öffentlichkeit - auch im Internet, wo es einen Überhang von Webseiten von Abtreibungsgegnern gebe, der "das Thema auf sehr diffamierende, verletzende Weise darstellt".

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Wir haben schon vom Fall Kristina Hänel gehört. Ihr Prozess brachte die Debatte ja ins Rollen. Vor dieser Sendung habe ich mit ihr über ihre Position und die Erfahrungen ihrer täglichen Arbeit gesprochen. Zunächst wollte ich von ihr wissen, warum es für sie so wichtig ist, auf ihrer Homepage schreiben zu können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt.
    Kristina Hänel: Mir ist es vor allem wichtig, dass ich die Frauen aufkläre über die Methoden, über die Risiken, die Komplikationen, und ich betrachte das als meine ärztliche Pflicht, Patientinnen und Patienten über das, was geschieht, aufzuklären.
    Überhang unseriöser Seiten zum Schwangerschaftsabbruch
    Büssker: Aber gibt es denn im Internet nicht schon genug Informationen über Schwangerschaftsabbrüche?
    Hänel: Also genug auf deutschen Websites nein, weil ja alle Angst haben und nicht genau wissen, wie sie den Paragraphen 219a auszulegen haben, sodass wir einen Überhang von Websites der Abtreibungsgegner haben, die auf eine sehr diffamierende, verletzende Art und Weise das Thema darstellen, was sicherlich keineswegs sachlich und seriös ist, und Frauen geraten dann eben auf der Suche nach Adressen immer wieder auf diese Seiten, und das ist ja das, was ich verhindern möchte. Ich möchte Frauen vor diesen Seiten schützen, das ist der eine Punkt, und der andere Punkt ist der, dass ich möchte, dass Frauen sich informieren können und dass ich sie aufklären darf. Mir geht es ja gar nicht darum, ob ich Abbrüche mache oder nicht. Das ist sicher auch ein Aspekt, aber das ist nicht der Hauptpunkt. Der Hauptpunkt ist die medizinische Aufklärung. Dazu fühle ich mich als Ärztin verpflichtet.
    "In der Praxis funktioniert das ganze System nicht"
    Büssker: Nun muss ja jede Frau auch zu einer obligatorischen Beratung, wenn sie einen Abbruch vornehmen lassen will. Reicht es nicht, wenn sie die Informationen da bekommt?
    Hänel: Na ja, der Gesetzgeber hat angeblich – so heißt es ja jetzt heute vonseiten CDU/ CSU – damals mit der Veränderung des 218 dieses Nadelöhr geschaffen mit dem 219. Das stimmt natürlich nicht. Der 219 ist im Grunde tatsächlich immer eher vergessen worden. Es wird halt jetzt benutzt, um bestimmte Lebensschutz-, sogenannte Lebensschutzinteressen zu vertreten, sagt man, das ist genau so gewollt, dass die Frauen nicht die Adressen normal bekommen, sondern sie sollen durch dieses Nadelöhr gehen. Sie sollen durch das Nadelöhr gehen, entweder der Arzt oder die Ärztin, die die Feststellung macht, sollen dann eine Adresse weitergeben, was ja nur die Ärzte machen, die dem Thema gegenüber aufgeschlossen sind. Die, die sagen, also ich bin gegen Abtreibung, die geben natürlich auch keine Adressen weiter. Also es funktioniert in der Praxis nicht, und in den Beratungsstellen habe ich natürlich Beratungsstellen, die auch wirklich über die Methoden aufklären können, aber ich habe auch viele Beratungsstellen, die das gar nicht können und auch nicht wollen und auch nicht machen. Dann geben sie natürlich die Adressen raus von den Ärzten, die ihnen genehm sind. Da kommen immer wieder Ärzte vor, die dann eben nicht weitergegeben werden. In Bayern haben wir ja die Sondersituation, dass da nur die unteren Gesundheitsbehörden überhaupt Adressen rausgeben dürfen, wo übrigens die Veterinärämter dazugehören, und da kommen die Frauen offiziell eigentlich so gut wie gar nicht an Adressen, weil die Gesundheitsämter nachher die Adressen auch entweder gar nicht haben oder die sind veraltet und das stimmt dann einfach alles nicht. Also in der Praxis funktioniert das ganze System nicht.
    "Nicht Aufgabe des Gesetzgebers, eine moralische Intention in der Bevölkerung durchzusetzen"
    Büssker: Nun sagen ja diejenigen, die dieses Werbe- und Informationsverbot beibehalten wollen, dass Schwangerschaftsabbrüche nun mal kein Eingriff wie jeder andere sind. Es geht um die Beendigung eines Lebens. Deshalb, so die Befürworter der Regelung, dürfe man das Thema eben in der Öffentlichkeit auch nicht so behandeln wie einen normalen Eingriff. Ist das für Sie nachvollziehbar?
    Hänel: Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Das Leben der Frauen ist ja für mich als Ärztin auch ein schützenswertes, und ich möchte, dass Frauen gute medizinische Bedingungen haben, eine gute psychologische Betreuung, und dazu gehört eben, dass sie sich informieren. Wenn ich jetzt sage, der Schwangerschaftsabbruch ist nichts Normales - ein Schwangerschaftsabbruch wird nie was Normales sein, also vor allem für die betroffene Frau ist das nichts Normales. Da braucht kein Gesetzgeber kommen, und das ist auch nicht Aufgabe des Gesetzgebers, eine moralische Intention in der Bevölkerung durchzusetzen. Also dafür haben wir ein Grundgesetz, die sagt, wir haben einen weltanschaulich neutralen Staat, und daran hat sich auch eine Regierung zu halten, und dazu gehört auch die Gesetzgebung, und deswegen ist der Paragraph 219a, so wie er da jetzt steht, unserer Meinung nach, verfassungswidrig, und das werden wir beim Bundesverfassungsgericht dann auch nachweisen spätestens.
    "Paragraph 219a verbietet die sachliche Information"
    Büssker: Was machen Sie denn in Ihrem Arbeitsalltag für Erfahrungen, was bedeutet dieser Eingriff für Frauen?
    Hänel: Ein Schwangerschaftsabbruch ist nie ein normaler Eingriff. Das geht ja gar nicht. Also jede Frau weiß ja ganz genau, was sie da tut. Sie weiß auch, dass es sich um Leben handelt, um werdendes Leben, und jede Frau tut sich ja mit dieser Entscheidung in aller Regel extrem schwer. Es ist ja ganz oft eine ambivalente Entscheidung, manchmal auch nicht, manchmal sind die Frauen ganz sicher, aber diese sogenannte leichtfertige Abtreibung, was dann immer wieder in die Debatte eingeworfen wird, das gibt es ja gar nicht. Deswegen ist auch diese ganze Diskussion um Werbung oder Information eigentlich völlig absurd. Also man kann für einen Schwangerschaftsabbruch keine Werbung machen. Das ist jedem klar und jeder. Der Paragraph 219a verbietet die sachliche und seriöse Information, weil er sagt, das ist Werbung, und das ist völlig absurd.
    Büssker: Aber Sie sind ja letztlich auch diejenige, die die Leistung erbringt, die dadurch auch Geld verdient. Da gibt es nun Befürworter dieses Paragraphen, die sagen, Ihre Unabhängigkeit könnte da auch in Zweifel gezogen werden, weil Sie ja letztlich durch den Eingriff verdienen. Was sagen Sie diesen Menschen?
    Hänel: Meine Unabhängigkeit, in welcher Beziehung sollte meine Unabhängigkeit gefährdet sein, weil wenn ich mit meinem Beruf Geld verdiene, verstehe ich nicht.
    Büssker: Na ja, Sie informieren über einen Vorgang, den Sie durchführen und mit dem Sie letztlich auch Geld verdienen.
    Hänel: Ja, das ist ja für einen Arzt, der Knie operiert oder andere Dinge … Also man verdient ja mit dem, was man beruflich tut, Geld. Das ist ja völlig normal.
    Maßnahmen für niedrige Abtreibungszahlen
    Büssker: Befürworter dieses Verbots befürchten durch die Informationsfreiheit eine Zunahme der Zahl von Abtreibungen.
    Hänel: Ja, weil sie diesen Begriff Werbung immer noch denken, den die Nazis ja gemacht haben, weil sie die jüdischen Ärzte in die Lager bringen wollten. Deswegen haben sie gesagt, das ist Werbung, wenn jemand informiert. Von vornherein ist ja der Paragraph so geschaffen worden, dass er nicht zu verstehen ist und dass er missverständlich ist, und wenn ich jetzt nach wie vor sage, man kann Werbung für einen Abbruch machen, und da läuft eine schwangere Frau auf der Straße, und dann kommt jemand und sagt, hallo, ein Schwangerschaftsabbruch ist toll. Also ich mache jetzt keine Werbung für Abbrüche. Ich stelle nur mal die Absurdität hin. Dann würde die Frau sich umdrehen und sagen, ja, toll, dann mache ich jetzt einen Abbruch. Das ist so gemein Frauen gegenüber, überhaupt nur so zu denken. Deswegen, ich kann mich da gedanklich nicht hinbegeben, weil es einfach nicht logisch ist und auch nicht dem Denken von Frauen entspricht und dem Thema gegenüber, meiner Meinung nach, überhaupt nicht angemessen, also die Bedeutung des Themas nicht begreift. Die Leute, die sagen, ich möchte gerne Abtreibung verhindern, ich möchte, dass wenig Abbrüche gemacht werden, die sollen sich mal die Wissenschaft angucken und sagen, okay, ich guck jetzt mal, was ist denn in Ländern, wo wenig Abbrüche gemacht werden, wie sind da die Gesetze, und wie sind da die Bedingungen für Frauen, und dann ist das evidenzbasierte Medizin. Ich brauche liberale Abtreibungsgesetze, ich brauche Zugang zu Verhütungsmittel, ich brauche eine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, und dann habe ich niedrige Abbruchzahlen, und daran, bitte schön, hätte ich gern, dass die Politik arbeitet.
    Büssker: Frau Hänel, Sie sind ja jetzt zu einer Art Vorkämpferin für die Abschaffung von 219a geworden, und Sie haben schon früher auch viel Hass abbekommen für das, was Sie tun. Ist das jetzt schlimmer geworden?
    Hänel: Also die Zustimmung und Akzeptanz und, wegen mir, auch Bewunderung, das muss man ja gar nicht haben, aber das ist einfach passiert, dass ich in diese Rolle einer sogenannten Heldin geschlüpft bin, weil ich einfach vorne vor einer Bewegung stehe, die riesengroß ist. Die ist so enorm, diese Seite, dass die Hassmails, die natürlich auch mehr geworden sind, eigentlich so verschwindend gering sind, dass ich schon genau weiß, wo die Mehrheit der Bevölkerung steht und wo die Menschen, die vernünftig denken, wo die sind, und dass sie alle hinter mir stehen. Da bin ich mir also ganz sicher.
    Hänels Ziel: das Bundesverfassungsgericht
    Büssker: Am 6. September geht es ja jetzt für Sie ins Berufungsverfahren. Wenn Sie da wieder scheitern sollten, sind Sie dann nach wie vor bereit, tatsächlich bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen?
    Hänel: Ja, das ist ja mein Ziel. Also es würde ja tatsächlich auch nicht viel nützen, wenn jetzt eine von uns Ärztinnen – wir sind ja jetzt mehrere in Deutschland inzwischen – freigesprochen würde. Dann würde ja doch die Willkür dieses Paragrafen bleiben, und im Grunde ist der richtige Weg ja nur der, dass entweder die Justiz, also das Bundesverfassungsgericht, oder die Politik diesen Paragrafen gravierend ändert oder abschafft. Eine andere Lösung gibt es ja nicht, um endlich Ruhe in dieses Thema auch zu bringen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.