Gut 53 Prozent der Delegierten auf dem Parteitag im sächsischen Riesa stimmten für Tino Chrupalla als Bundessprecher - so heißen bei der AfD die Parteivorsitzenden. Nach dem Rücktritt von Jörg Meuthen im Januar 2022 hatte Chrupalla alleine an der Spitze der Partei gestanden. Auf seinen Gegenkandidaten, den Bundestagsabgeordneten Norbert Kleinwächter, entfielen 36 Prozent. Chrupalla hatte in seiner Bewerbungsrede erklärt, er sei der Bundessprecher der Basis. Er werde nicht zulassen, dass diese zum Schweigen gebracht werde.
Die Delegierten entschieden zudem, erneut eine Doppelspitze zu wählen und stimmten zu 67 Prozent für Alice Weidel. Ihr unterlag der AfD-Europaabgeordnete und frühere stellvertretende Chefredakteur der „Bild am Sonntag“, Nicolaus Fest, der ebenfalls als Co-Vorsitzender kandidiert hatte.
Tino Chrupalla und Alice Weidel galten als Favoriten für eine mögliche Doppelspitze der AfD: ein Mann aus dem Osten, eine Frau aus dem Westen, die bereits gemeinsam die Bundestagsfraktion führen. Die Partei hatte sie zudem im vergangenen Jahr in einer Ur-Abstimmung zum Spitzen-Kandidaten-Team gemacht. Die AfD will im Westen mehr Wählerstimmen gewinnen und auch dort zweistellig werden. Die Landtagswahlergebnisse im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen fielen mau aus.
In welcher Situation ist die AfD momentan?
Die AfD steht vor mehreren Herausforderungen:
- das Abschneiden bei den Landtagswahlen
- die Frage, ob sie sich noch weiter rechts positioniert
- die mögliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz.
Das Abschneiden bei den Landtagswahlen
Die AfD hat bei den diesjährigen Landtagswahlen deutlich verloren: In Schleswig-Holstein flog sie aus dem Landtag, im Saarland und in Nordrhein-Westfalen schaffte sie nur knapp den Wiedereinzug.
Positioniert die AfD sich jetzt noch weiter rechts?
Bernd Lucke, Frauke Petry und zuletzt Jörg Meuthen – drei AfD-Parteivorsitzende haben schon hingeschmissen, weil die Partei sich zu weit nach rechts entwickelt habe. Bei seinem Rücktritt hatte Jörg Meuthen am 28. Januar 2022 in einem ARD-Interview erklärt, Teile der Partei stünden nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und er könne sie nicht mehr auf einen gemäßigten Kurs bringen. Er sprach von einer Niederlage im Machtkampf mit dem formal aufgelösten rechtsextremen Flügel der Partei.
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Uni Kassel sagte im Deutschlandfunk, Meuthen habe den „Kampf mit den Rechtsextremen“ und um die Verankerung eines "neoliberalen Politikmodells" in der Partei verloren.
Auch Tino Chrupalla sei nur ein Statthalter für den sogenannten Flügel der Partei und „kommunikativ so schwach, das ihm niemand zutrauen würde, alleine die Partei zu vertreten“, so Schroeder.
Die AfD und der Verfassungsschutz
Die Partei ist zunehmend auch im Visier des Verfassungsschutzes. Am 8. März 2022 hatte das Verwaltungsgericht Köln entschieden, dass die Behörde die AfD als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus einstufen und somit die gesamte Partei beobachten darf.
Wie viele Vorsitzende wird es geben?
Zunächst war offen, ob die Delegierten in Riesa einen Vorsitzenden oder ein Duo wählen würden. In den vergangenen Jahren hatte die AfD zwei Vorsitzende, seit dem Parteiaustritt des langjährigen Parteivorsitzenden Meuthen wurde die Partei allerdings übergangsweise nur von Tino Chrupalla geleitet.
Laut der aktuell gültigen Fassung der Satzung stehen zwei oder drei Bundessprecher an der Spitze der Partei. Künftig kann die Partei nun auch von einem einzelnen Vorsitzenden geführt werden. Ein Antrag für eine entsprechende Änderung der Satzung bekam die notwendige Zweidrittelmehrheit. Für diese Änderung auf "einen bis zwei" Bundessprecher hatte der Thüringer Landeschef Björn Höcke geworben. Er führte an, Zweierspitzen seien konfliktträchtig. Der AfD-Parteitag hatte am 18. Juni entschieden, diese neue Regelung diesmal jedoch noch nicht anzuwenden.
Wie könnte die AfD in Zukunft aufgestellt sein?
Das Ziel, eine Einheit in der AfD zu schaffen, dürfte mit der jetzt neu gewählten Doppelspitze nicht gelingen. Eine große integrative Figur, von der auch auf dem Parteitag in einigen Reden gesprochen wurde, gibt es bislang nicht. Es könnte in mittelfristiger Zukunft aber dazu kommen, dass es eine einzelne Führungsperson geben wird. Parteiinterne Kritiker sehen mit dieser neuen Öffnung für eine Einzelspitze allerdings einen autoritären Politikstil, der nicht zu der basisdemokratischen Partei passe, als die sich die AfD selbst versteht.
Der Politikwissenschafter Wolfgang Schroeder prognostiziert zumindest mittelfristig eine AfD-Führung durch nur eine Person. Björn Höcke habe sich, so Schroeder, auf dem Parteitag weiter als Sinn- und Taktgeber positioniert. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er die Partei übernimmt.“
Des Weiteren sagte Schroder: „Die AfD kann sich aufgrund der Nachfrage, die innerhalb der Wählerschaft existiert, auf einem etwas reduzierten Niveau nach meiner Einschätzung durchaus mittelfristig halten.“ Auf Bundesebene könne die Partei auf einem Level zwischen sieben und zehn Prozent konstant bleiben.
Tino Chrupalla
Seit dem Rücktritt von Jörg Meuthen im Januar 2022 ist Chrupalla alleiniger Vorsitzender der AfD. Außerdem führt er zusammen mit Alice Weidel die AfD-Fraktion im Bundestag. Und Chrupalla wollte Weidel auch zukünftig im Spitzenteam dabeihaben: Am 8. Juni 2022 hatte er eine Liste mit Namen von Parteimitgliedern präsentiert, mit denen er gerne in Zukunft zusammen die AfD führen würde.
Chrupalla versuchte, sein Team und seine Kandidatur als „AfD-Mitte“ zu labeln und zu klassifizieren – und damit alle Strömungen der Partei zu vereinen. Da klingt an, dass er den Kurs Jörg Meuthens, die radikalsten Kräfte einzugrenzen, nicht so konsequent gehen könnte. Er kommt aus Sachsen, er wird auch von Flügel-nahen Landesverbänden mitgetragen. Und mit Martin Reichardt hat er einen Parteikollegen auf seiner Spitzen-Teamliste, dem man durchaus Flügel-Nähe attestieren kann.
Chrupalla plant eine stärkere Disziplinierung des Bundesvorstands, er hat angekündigt, dass er einen Bundesvorstand will, der auch Hierarchien akzeptiert. Er könnte außerdem zum Ziel haben, Streitigkeiten über den Kurs der Partei nicht offen auszutragen.
Alice Weidel
Alice Weidel hat nicht offen mit ihren Ambitionen gespielt, aber es gab Hinweise auf eine Kandidatur. Ihr wurde früher fehlendes Engagement vorgeworfen, sie sei zu wenig präsent, würde sich zu wenig einbringen. Neben dem Co-Vorsitz der Bundestagsfraktion war sie Landesvorsitzende in Baden-Württemberg – der jetzige Co-Parteivorsitz ist somit ihr drittes Spitzenamt. Den Landesvorsitz möchte sie abgegeben, möglicherweise um sich auf die Bundesebene zu fokussieren. Als ein Argument gegen ihre Kandidatur im Spitzenduo war Ämterhäufung genannt worden, die die AfD eigentlich ablehnt.
Alice Weidel ist eine gute Rednerin, die Marktplätze zum Kochen bringen kann. Sie hat sich auch in den Kommunalwahlkampf in Sachsen eingebracht, unter anderem mit einem Auftritt in Zwickau. Ihre Kritiker werfen ihr allerdings vor als Fraktionsvorsitzende nicht präsent und fleißig genug zu sein.
Norbert Kleinwächter
Der Brandenburger AfD-Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter ist aktuell stellvertretender Fraktionsvorsitzender und gehört innerhalb der AfD zum vermeintlich liberaleren Lager. Bei der Wahl zum Parteivorsitz hatte er lediglich Außenseiter-Chancen.
Er hatte im Gegensatz zu Tino Chrupalla auch kein Team aufgestellt, keine Liste an Mitstreitern. In der Partei gilt er nicht als großer Charismatiker, der eine Gesamtpartei von rund 30.000 Mitgliedern führen kann. Zudem hat Kleinwächter in seinem eigenen Landesverband so wenig Rückhalt, dass er nicht einmal als Delegierter oder auch als Ersatzdelegierter für den Parteitag gewählt wurde.
Allerdings hat Kleinwächter eine recht professionelle Kampagne zu seiner Kandidatur aufgesetzt – mit eigenen Videos.
Nicolaus Fest
Nicolaus Fest ist AfD-Europa-Abgeordneter, ehemaliger stellvertretender Chefredakteur der "Bild am Sonntag" und dem gemäßigten Lager zuzurechnen. Er gibt sich oft staatstragend, hat aber auch schon rhetorisch heftig ausgeteilt. Den ehemaligen Präsidenten des Europaparlaments, David Sassoli, soll Fest nach dessen Tod in einem Chat mit einem sehr abfälligen Begriff beschimpft haben. Die Äußerung hat er in einem Facebook-Post eingeräumt, sich aber nicht dafür entschuldigt. Auch muslimfeindliche Äußerungen werden Nicolaus Fest unterstellt.
Björn Höcke
Der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke hatte vor dem Bundesparteitag offen gelassen, ob er kandidiert, tat es jetzt letztlich nicht.
Es gibt Stimmen, die das als seine typische Eigen-PR vor einem Parteitag beschreiben: Er lasse sich von seinen Anhängern rufen und treibe so den Preis für eine Nicht-Kandidatur hoch. Denn: Ein solcher Spitzenposten könnte für die Partei negative Folgen haben. Gerade im Westen gilt er als nicht vermittelbar, Einbußen bei Wählerstimmen könnten die Folge sein.
Es gibt außerdem für Höcke eine interessante andere Herausforderung: Es gibt den Antrag, eine Kommission zur Schaffung einer Parteistrukturreform. Dort könnte Höcke entweder Mitglied sein oder sogar Chef werden. Damit hätte er abseits des Rampenlichts eines Parteivorstandes die Möglichkeit, im Hintergrund Strippen zu ziehen und die Partei auf seinen Kurs zu bringen. Und medial kann er auch so durchaus Einfluss nehmen als Partei- und Fraktionschef aus Thüringen.
Quellen: Nadine Lindner, Alexander Moritz, pto