Kommentar
Der AfD-Eklat sollte den Parteien endlich die Augen öffnen

Der Eklat um die Wahl des Thüringer Landtagspräsidenten hat es noch einmal deutlich gezeigt: Der AfD arbeitet mit Tricks und Finten, ihr ist in nichts zu trauen. Bleibt nur zu hoffen, dass die anderen Parteien Lehren aus dem Vorfall ziehen.

Ein Kommentar von Henry Bernhard |
Björn Höcke, Thüringer AfD-Fraktionschef, sitzt während der konstituierenden Sitzung lächelnd im Landtag.
Verfolgte die konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags lächelnd: Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
Es ist noch mal gut gegangen, am Ende. Aber mit großem Schaden für das Ansehen der Demokratie, des parlamentarischen Betriebs. Man kann nur hoffen, dass die Parteien begriffen haben, dass der AfD in nichts zu trauen ist. Dabei waren sie gewarnt. Die Linke, die Bodo Ramelow 2020 ohne Mehrheit in eine Ministerpräsidentenwahl schickte – die AfD stellte einen Dorfbürgermeister als Scheinkandidaten auf und wählte einen anderen: FDP-Mann Thomas Kemmerich.
Auch die CDU war gewarnt. Noch vor einem halben Jahr hat sie es abgelehnt, die Geschäftsordnung des Landtags dahingehend zu ändern, dass nicht nur die stärkste Fraktion Kandidaten für den Landtagspräsidenten nominieren darf. Weil sie selbst darauf spekulierte, stärkste Kraft zu werden. Nun hat sie es mit größtem Getöse und Schaden für den Landtag unmittelbar vor der Wahl nachgeholt.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt erklärt das damit, dass man sich zuvor darauf verlassen habe, dass die AfD die bestehende Geschäftsordnung und damit die Wahlregeln ebenso interpretiere wie man selbst. Dieses angebliche Einverständnis habe die AfD nun widerrufen. Irgendwann wird Wunschdenken und Naivität auch zu politischer Dummheit.

Die AfD wird die anderen Parteien erpressen

Wenn die AfD dann demnächst noch ihre Sperrminorität ausreizt, etwa, wenn neue Verfassungsrichter gewählt werden müssen, wenn der Richterwahlausschuss besetzt werden soll, wenn also Zwei-Drittel-Mehrheiten vonnöten sind und ohne die AfD nichts geht, dann kann und wird die AfD die anderen Parteien erpressen und zu Kompromissen nötigen.
Oder es droht eine Lähmung der Justiz, weil es an neuen Richtern fehlt. Dann werden Linke und CDU, die die Verfassung nicht ändern wollten, als sie noch die Möglichkeit dazu hatten, vielleicht begreifen, was politisch klug gewesen wäre.

Lügen, Tricks und Finten

Man kann nur hoffen, dass einige von denen in der CDU und vielleicht auch im BSW, die glauben, man könne mit der AfD vertrauensvoll verhandeln oder gar noch mehr, in diesen Tagen begriffen haben, dass die AfD eine Partei ist, der man nichts glauben darf, die mit Lügen, Tricks und Finten arbeitet, um an die Macht zu kommen. Und diese dann keinesfalls zu teilen bereit ist. Björn Höcke, der nun wieder die politische Voreingenommenheit der Gerichte herbeiredet, der seine Partei „bürgerlich“ nennt, verachtet die liberale Demokratie, die Menschenrechte, westliche Werte. Er wirft sich lieber Putin an die Brust.
Die AfD wird zubeißen, sobald sie es kann – und sie versteckt ihre Zähne nicht. Björn Höcke will, so wörtlich, „die Altelite entsorgen, ohne Wenn und Aber“, wenn er einmal an der Macht ist.

Die Institutionen haben funktioniert

Etwas Gutes aber hat das Chaos, hat der Versuch der AfD, Parlament wie Verfassungsgericht zu diskreditieren: Die Institutionen haben funktioniert. Der Landtag, die Fraktionen haben schnell und überlegt gehandelt. Das Verfassungsgericht war vorbereitet, hat sehr schnell eine fundierte Entscheidung getroffen, die Abgeordnetenrechte bestärkt und dem AfD-Alterspräsidenten deutliche Leitplanken aufgezeichnet, innerhalb derer er sich zu bewegen hatte. Das hat die Situation am Ende gerettet. Denn der Eklat hat auch gezeigt, wozu die AfD ein politisches Amt nutzt, wenn sie es einmal errungen hat. Eine AfD-Landtagspräsidentin zu verhindern war also den Aufwand wert.
Henry Bernhard
Henry Bernhard wurde 1969 geboren und wuchs in Weimar auf. Er studierte Politik, Publizistik, VWL und Völkerrecht in Göttingen. Seit 1990 arbeitete er fürs Radio, davon 20 Jahre ausschließlich an langen Radiofeatures. Sein Schwerpunkt lag dabei auf historischen Themen – Geschichten aus dem geteilten Deutschland und aus dem "Dritten Reich", von gescheiterten Kommunisten und zurückgekehrten Juden, von Überlebenden und Verlierern der Geschichte. Nach einem Ausflug zum Fernsehen ist er seit 2013 Landeskorrespondent von Deutschlandradio in Thüringen.