Dienstag, 19. März 2024

Archiv

AfD und der Verfassungsschutz
Unter Beobachtung

Seit Mitte Januar ist die AfD ein Prüffall für den Bundesverfassungsschutz. Damit rückt die Partei weiter ins Blickfeld der Sicherheitsbehörden. Eine große Rolle spielt dabei vor allem eine Gruppierung um den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke.

Von Henry Bernhard | 22.01.2019
    V.l.n.r. Der parlamentarische Geschäftsführer der Thüringer AfD, Stefan Möller (AfD), der Fraktionsvorsitzende der Thüringer AfD, Björn Höcke (AfD), beim Landesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD)
    Stefan Möller und Björn Höcke beim Landesparteitag der AfD. In Thüringen hat das Landesamt für Verfassungsschutz die Landes-AfD schon im September 2018 zum Prüffall erklärt. (imago)
    "Erstens: Die Gesamtpartei AfD wird als Prüffall bearbeitet. Zweitens: Die 'Junge Alternative' wird zum Verdachtsfall erklärt. Drittens: Die Sammlungsbewegung innerhalb der AfD 'Der Flügel' wird zum Verdachtsfall erklärt."
    In nur drei Sätzen verkündete der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, Mitte Januar einen Fall von erheblicher politischer Brisanz: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik war eine Partei, die im Bundestag, in allen Landtagen und im Europäischen Parlament vertreten ist, in den Verdacht geraten, zumindest in Teilen verfassungswidrige Ziele zu verfolgen.
    Noch nie hat der Bundesverfassungsschutz zudem öffentlich den Prüffall verkündet. Diese Einstufung ermöglicht es dem Verfassungsschutz, stärker auf die Partei zu schauen, öffentlich zugängliches Material auszuwerten und Akten anzulegen. Eine Beobachtung mit V-Leuten etwa ist aber nicht erlaubt.
    Anders beim Verdachtsfall: Dann ist der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, zum Beispiel Observationen, eingeschränkt möglich.
    Einige Innenminister der Länder äußern sich nun etwas pikiert, dass sie nicht vorab unterrichtet wurden. Der Thüringer Innenminister Georg Maier von der SPD ist dagegen zufrieden. Denn in Thüringen hat das Landesamt für Verfassungsschutz die Landes-AfD schon im September 2018 zum Prüffall erklärt – ebenfalls öffentlich.

    "Damals gab es wirklich Kritik, es wurde gesagt: Was soll das denn? Den Prüffall erklären, das gab es ja noch nie, Prüffall macht man immer im Geheimen. Wir sind davon abgewichen. Und das Bundesamt macht das jetzt genauso, insofern sehe ich mich sogar bestätigt.
    Blick auf ein AfD-Plakat bei einer Parteiveranstaltung in Berlin
    Die AfD und deren Ableger "Der Flügel" hätten sich in den letzten Jahren radikalisiert, meinen Verfassungsschützer (imago stock&people)
    AfD befürchtet Abschreckung von Wählern
    Das Vorgehen des Thüringer Verfassungsschutzes und Aussagen des Innenministers Maier waren aus Sicht der Thüringer AfD der eindeutige Versuch der rot-rot-grünen Landesregierung, dem politischen Gegner, also der AfD, zu schaden. Das meint Stefan Möller, neben Björn Höcke ebenfalls Vorsitzender der Thüringer AfD:
    "Und in dem Zusammenhang sind eben auch Äußerungen gefällt worden, die aus unserer Sicht ganz klar darauf abzielen, im Grunde eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Wähler der AfD auszuüben."
    Ähnliche Vorwürfe äußern nun die Bundesspitzen der AfD: Allein die öffentliche Ankündigung einer Prüfung durch den Bundesverfassungsschutz schade einer Partei. Behörden-Chef Thomas Haldenwang argumentiert, dass er keine Wahl hatte. Die AfD stünde am Scheideweg und könne sich nun klarer in die ein oder andere Richtung positionieren.

    "Unsere Entscheidung mag dazu beitragen, weitere Wähler für die AfD zu gewinnen. Unsere Entscheidung mag dazu beitragen, dass einzelne Personen sich von dieser Partei abwenden. Das ist aber nicht Hintergrund für unsere Entscheidung."
    Erfurt , 250117 , Thüringer Landtag , 71. Plenarsitzung am Mittwoch, dem 25. Januar 2017 , Zur Lage der inneren Sicherheit in Thüringen, Stärkung der Sicherheitsbehörden im Freistaat Antrag der Fraktion der CDU Im Bild: Björn Höcke (44, AfD), AfD-Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag und Olaf Kießling (39, AfD)

Erfurt  Thuringia Landtag 71 Plenary session at Wednesday the 25 January 2017 to Situation the Interior Security in Thuringia Strengthening the Security authorities in Free State Request the Group the CDU in Picture Björn Höcke 44 AFD AFD Group Chairman in Thuringia Landtag and Olaf Kiessling 39 AFD
    Nach der Einstufung als Prüffall befürchtet die AfD bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg einen Wählerschwund - sie liegt aber derzeit stabil bei 20 Prozent (imago stock&people)
    Thüringer AfD will sich unangreifbar machen
    Schon nach dem Vorpreschen des Thüringer Verfassungsschutzes im vergangenen Jahr hat der AfD-Bundesvorstand eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um sich "unangreifbar" für den Verfassungsschutz zu machen. Der renommierte Jurist Dietrich Murswiek erstellte dazu ein Gutachten, stellte fest, wie angreifbar die AfD sei, und empfahl, bestimmte Begriffe nicht mehr zu verwenden.
    "Unbedingt notwendig ist es, folgende Äußerungen und Verhaltensweisen zu unterlassen: pauschale Diffamierungen oder Herabwürdigungen von Ausländern, Immigranten, Flüchtlingen und Muslimen."
    "Extremistische Reizwörter" wie "Umvolkung", "Überfremdung", "Volkstod" oder "Umerziehung" sollten ebenfalls vermieden werden.
    Die Häme bei den politischen Gegnern der AfD war daraufhin ähnlich groß wie der Zorn vieler Parteimitglieder, die gegen "Sprachpolizei", "Inquisition" und "AfD-Stasi" wetterten. Die baden-württembergische Landtagsabgeordnete und Höcke-Unterstützerin Christina Baum veröffentlichte im vergangenen Oktober deswegen den "Stuttgarter Aufruf", den viele unterzeichneten.
    "Wir widersetzen uns allen Denk- und Sprechverboten innerhalb der Partei und zeigen allen Vorständen die Rote Karte, die sich an Machenschaften beteiligen, den Mitgliedern ihr Recht auf das freie Wort und eine eigenständige Analyse der politischen Zustände zu nehmen."
    Björn Höcke, der Thüringer Landesvorsitzende und Chef der AfD-Gruppierung "Der Flügel", reagierte noch kraftvoller.
    "Ich muss noch einmal zum Verfassungsschutz Äußerungen vornehmen. Ich kann manche Stimmen, die ich leider auch in unseren eigenen Reihen vernehme, nur noch mit politischer Bettnässerei bezeichnen."
    Unmittelbar nach dieser plakativen Weigerung, auch nur in der Wortwahl Mäßigung zu zeigen, wurde Höcke im November letzten Jahres mit 81 Prozent der Stimmen erneut zum Landesvorsitzenden gewählt. Gegen den Thüringer Innenminister Maier und den Chef des Landes-Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, hat die Thüringer AfD nun eine Organklage beim Landes-Verfassungsgericht eingereicht.
    "Björn Höcke ist Dreh- und Angelpunkt des 'Flügels'"
    Dennoch hat sich die Situation für die Thüringer AfD nun eher zum Negativen hin verändert. Inzwischen blickt nicht mehr nur der Landes-Verfassungsschutz auf Höcke und viele seiner Parteifreunde, sondern auch die Bundesbehörde. Denn Höckes Gruppe "Der Flügel" ist Verdachtsfall. In dem 400-seitigen Gutachten des Bundes-Verfassungsschutzes geht es allein auf 50 Seiten um Höcke.

    Joachim Seeger, Abteilungsleiter Rechtsextremismus beim Bundes-Verfassungsschutz:
    "Björn Höcke ist Dreh- und Angelpunkt des 'Flügels', ist die zentrale Figur dort. Uns interessieren neben Höcke natürlich auch weitere Funktionäre, die auf dem Kyffhäusertreffen sich geäußert haben oder die die Erfurter Erklärung unterschrieben haben."
    Anhänger von Pegida und AfD protestieren gegen den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Dresden
    Anhänger von Pegida und AfD protestieren gegen den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Dresden (imago/Paul Sander)
    Verfassungsschützer bewerten den "Flügel" als extremistische Bestrebung
    Die Verfassungsschützer gehen davon aus, dass die etwa 3.000 AfD-Mitglieder zum "Flügel" gehören, die die "Erfurter Erklärung" von 2015 unterschrieben haben. Die ist noch moderat im Ton, dennoch gilt sie als Gründungsdokument des rechten Flügels in der AfD, der keine definierte Mitgliedschaft und keine formalen Strukturen aufweist. Die Verfassungsschützer haben im vergangenen Jahr Hunderte Dokumente gesichtet und Reden angehört und gehen nach Auswertung nun davon aus, dass es sich beim "Flügel" um eine "extremistische Bestrebung" handelt, wie Bundes-Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang erklärte.
    "Das durch den 'Flügel' propagierte Politikkonzept ist auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitergehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, insbesondere Muslimen und politisch Andersdenkenden gerichtet. Es verletzt die Menschenwürdegarantie und das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip. Zudem wird der historische Nationalsozialismus immer wieder verharmlost.
    Der Erhalt eines organisch einheitlichen Volkes wird vom 'Flügel' als höchster Wert angesehen, hinter dem der Mensch als Individuum zurücktritt. Insbesondere außereuropäische Migranten können aus Sicht des 'Flügels' aufgrund naturgegebener Unterschiede nicht integriert werden."
    Pauschale Unterstellungen und Verletzung der Menschenwürde
    Vor allem in der Forderung, Zuwanderer müssten sich den Deutschen unterschiedslos assimilieren und sich nicht nur integrieren, sieht das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Verletzung der Menschenwürde nach Artikel 1 Grundgesetz. Ebenso in der pauschalen Unterstellung, Muslime seien – Zitat "Ihrer Natur nach kriminell, aggressiv, triebgesteuert".
    "Natürlich, liebe Freunde, will ich nicht sagen, dass jeder Muslim ein Terrorist ist, aber....", sagte Björn Höcke bei einer Demonstration. Überhaupt hat Björn Höcke, der Kopf des "Flügels", seinen Aufstieg den Reden auf der Straße zu verdanken.
    "Thüringer! Deutsche! 3000 Jahre Europa! 1000 Jahre Deutschland! Ich gebe euch nicht her. Und ich weiß: Ihr gebt sie auch nicht her!"
    Dass bei manchen Demonstrationen die verfassungsfeindliche NPD mit ihren Plakaten und andere Rechtsradikale mitliefen, störte Höcke und seine Thüringer AfD – trotz gelegentlicher formaler Abgrenzung – nie. Höckes Parteifreund Stefan Brandner, heute Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag, kommentierte nur: "Ja, mal sehen. Ich sage mal, wenn die mitlaufen, ist das in Ordnung. Da kann man ja nichts gegen machen."
    Rechtsextreme Umarmungen
    Erst angesichts der drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz distanzierten sich Björn Höcke und sein Co-Vorsitzender Möller im Oktober 2018 schließlich öffentlich von rechtsextremen Gruppierungen.
    "Ich stehe natürlich, wie Björn Höcke auch, für Abgrenzung zu echtem Extremismus. Mit THÜGIDA, Drittem Weg und Co. werden wir nichts erreichen können, damit werden wir unsere Wähler abschrecken. Ich bin aber andererseits auch für keine Hexenjagd zu haben."
    Doch können Höcke und Möller sich nicht gegen öffentliche Umarmungen der Rechtsextremen zur Wehr setzen, die in der Thüringer AfD ihren parlamentarischen Arm und in sich selbst eine außerparlamentarische Vorfeldorganisation der Partei sehen, wie der Rechtsextremist David Köckert, der THÜGIDA aufgebaut hat, in einem Video bekennt.
    "Sind wir nur das Wahlvieh; sind wir nur diejenigen, die dafür zuständig sind, immer für ihn die Drecksarbeiten zu machen, oder sind wir ernst gemeinte Partner? Denn die Bürgerinitiativen sind nun mal diejenigen, die den Wahlerfolg der AfD ausgemacht haben. Unser Björn hatte es vergessen. Für uns ist es wichtig, auch dem Funktionär, der in einer Stellung jetzt ist, im Landtag oder im Bundestag, einmal mehr zu zeigen, dass es wichtig ist, mit der Basis zusammenzuarbeiten – und nicht dagegen!"
    Dennoch gibt es auch Gemeinsamkeiten mit Björn Höcke. Die Islamfeindlichkeit etwa:
    "Nein zu Moscheen mit Kuppel und Minarett. Entweder der Islam entschärft sich oder er wird aus Europa verabschiedet."
    Wie man eine Religion "verabschiedet", führte Höcke allerdings nicht aus. Höcke formuliert seine Thesen vor seinen Anhängern oft sehr scharf, zum Beispiel auf dem Kyffhäusertreffen 2018. Hier trifft sich seit Jahren der nun vom Bundes-Verfassungsschutz verdächtigte "Flügel".
    "Die Deutschen müssen sich fragen und entscheiden: Wollen sie Hammer oder Amboss sein? Das war die Frage von Bernhard von Bülow 1899. Heute, liebe Freunde, lautet die Frage nicht Hammer oder Amboss. Heute lautet die Frage Schaf oder Wolf. Und ich, nein wir entscheiden uns in dieser Lage, Wolf zu sein!"
    Eine Variante des Rassismus
    Auch im "übergriffigen Verständnis deutscher Identität" sieht der Verfassungsschutz in seinem Bericht zur AfD eine Variante des Rassismus. So bezeichnet Björn Höcke die AfD als einzige "evolutionäre Chance" für Deutschland. Sonst drohe der Untergang:
    "Es ist nicht auszuschließen, dass in 50 Jahren fremde Völkerschaften durch unsere Bibliotheken, Konzertsäle, Universitäten und Parlamentsgebäude streifen werden und sich die Frage stellen könnten, wie es möglich war, dass eine so hochstehende Kultur sich einfach aus ihnen hat hinwegfegen lassen."

    In seinem Buch "Nie zweimal in denselben Fluss" und in Reden präzisiert Höcke dann auch die Rückeroberungsstrategie und seine Visionen für Deutschland:
    "Wenn alle Stricke reißen, ziehen wir uns wie einst die tapfer-fröhlichen Gallier in unsere ländlichen Refugien zurück! Die Re-Tribalisierung im Zuge des multikulturellen Umbaus wird aber so zu einer Auffangstellung und neuen Keimzelle des Volkes werden. Und eines Tages kann diese Auffangstellung eine Ausfallstellung werden, von der eine Rückeroberung ihren Ausgang nimmt. Aber auch in der erhofften Wendephase stünden uns harte Zeiten bevor.
    "Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel sagte einmal: 'Brandige Glieder können nicht mit Lavendelwasser geheilt werden. Der Verwesung nahes Leben kann nur durch das gewaltsamste Verfahren reorganisiert werden'."
    Thüringens AfD-Chef Björn Höcke auf dem Landesparteitag in Pfiffelbach.
    Björn Höcke (AfD) erläutert in seinem Buch seine Rückeroberungsstrategien und Visionen für Deutschland (dpa-ZB/Bodo Schackow)
    Weiter gibt sich Höcke in seinem Buch Deportationsfantasien hin:
    "Vor allem eine neue politische Führung wird dann schwere moralische Spannungen auszuhalten haben: Sie ist den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und muss aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwider laufen. Ja, neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein groß angelegtes Re-Migrationsprojekt notwendig sein. Und bei dem wird man, so fürchte ich, nicht um eine Politik der 'wohltemperierten Grausamkeit', wie es Peter Sloterdijk nannte, herumkommen. Das heißt, dass sich menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden."
    "Der Flügel" und AfD haben sich radikalisiert
    "In diesem Politikfeld der Einwanderung und Zuwanderung geht es um nichts weniger als um alles. Ich, liebe Freunde, bin dazu bereit, in diesem Politikfeld bis zuletzt 100-prozentige Kompromisslosigkeit zu leben."

    Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang zieht aus solchen Äußerungen nun den Schluss:
    "'Flügel'-Vertreter wenden sich auch gegen das Demokratie- und das Rechtsstaats-Prinzip. Demokratische Entscheidungen werden nur akzeptiert, wenn sie zur Umsetzung der durch den 'Flügel' vertretenen ideologischen Vorgaben führen. Diese Vorgaben sollen mittels der AfD implementiert werden. Im Falle des Scheiterns der AfD werden revolutionäre Mittel angedeutet. Für diesen Fall gelte, Zitat: 'Danach kommt nur noch: Helm auf!'"
    Der Verfassungsschutz erkennt hier: Die AfD und vor allem ihr rechter Flügel haben sich in den letzten Jahren radikalisiert, sichtbar geworden vorwiegend bei den gemeinsamen Demonstrationen mit rechtsextremen Kräften vergangenen Sommer in Chemnitz. Zu großen Teilen ist die Radikalisierung jedoch eine Sichtbarwerdung dessen, was AfD-Funktionäre wie Björn Höcke, Alexander Gauland, Andreas Kalbitz oder Hans-Thomas Tillschneider vordenken. Sie haben die Grenzen des Sagbaren und Zeigbaren nach rechts verschoben.

    Schon der damalige AfD-Bundesvorstand unter Frauke Petry wollte Höcke 2017 aus der Partei ausschließen, weil der "eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus" zeige und sich rhetorisch wie inhaltlich an Adolf Hitler anlehne. Dies zeige sich exemplarisch in Höckes Dresdner Rede, in der er eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" forderte.
    Der Präsident des Bundesamt für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang
    Thomas Haldenwang: "'Flügel'-Vertreter wenden sich auch gegen das Demokratie- und das Rechtsstaats-Prinzip." (Martin Schutt/dpa)
    Vorwurf der politischen Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes
    Ein Schwerpunkt der Arbeit der Verfassungsschützer wird nun Thüringen sein. Wie das "Flügel"-Chef Björn Höcke sieht, kann man ihn nicht fragen. Er verweigert dem Deutschlandfunk – wie schon seit Jahren – ein Interview.
    Sein Co-Chef Stefan Möller sieht das Vorgehen des Verfassungsschutzes mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Bremen differenziert.
    "In Thüringen wäre es möglicherweise nicht schädlich, vielleicht würde es sogar einen positiven Effekt haben, weil: Das ist offenkundig, dass es hier um eine politische Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes geht und so etwas wird in Thüringen sicher eher kontraproduktiv sein. Ich weiß, dass es in Westdeutschland möglicherweise anders ist. Dort spielt das möglicherweise eine wesentlich größere Rolle, dort kann es also auch schaden."
    Andere AfD-Mitglieder sind bestürzt über die drohende Beobachtung durch den Verfassungsschutz und empfinden Mäßigung keinesfalls als "politische Bettnässerei". So auch Jens Sprenger, ein Liberal-Konservativer in der Thüringer AfD:
    "Es ist natürlich ein Riesenproblem, da brauchen wir gar nicht drüber diskutieren. Gerade der Thüringer Landesverband und gerade Björn Höcke als Symbolfigur des Thüringer Landesverbandes hat an vielen Stellen dafür gesorgt, dass es Anlass gibt, hier sehr kritisch auf den Landesverband zu schauen. Also, da sollte man erst vor der eigenen Tür kehren, bevor man sich mit anderen auseinandersetzt."
    Björn Höcke wird immer mehr zum Problemfall für die AfD
    Die liberal-konservative "Alternative Mitte" der AfD, ein lockerer Zusammenschluss, der auch Sprenger angehört, die aber deutlich kleiner ist als der "Flügel", hatte schon im Oktober deutliche Worte gefunden, nachdem die Thüringer AfD ins Visier des dortigen Verfassungsschutzes geraten war:
    "Björn Höcke wird für die AfD immer mehr zu einem Problemfall. Er wirkt immer mehr wie ein Größenwahnsinniger, der ein einzigartiges Zerstörungswerk in Deutschland verrichtet, indem er die AfD für breite Wählerschichten unwählbar macht. Es mag Teil des Größenwahns sein, zu glauben, in Deutschland gäbe es nun wieder ausreichend fruchtbaren Boden für eine rechtsextreme Partei und die AfD sei schon viel zu groß, um sie wieder kleinkriegen zu können. Eine Höcke-AfD wäre eine rechtsextreme Partei. Die Sprecher der Interessengemeinschaft Alternative Mitte in der AfD."
    Jens Sprenger ergänzt:
    "Es muss deutlicher klare rote Linien geben. Welche Instrumente und welche Methoden denn zum Einsatz gebracht werden sollen, um diese Gesellschaft zu verändern. Totalitäre Ansätze sind für mich absolut nicht akzeptabel und auch für breite Kreise liberalkonservativer Positionen auch in der Thüringer AfD nicht denkbar."
    Liberale in der AfD in Ostdeutschland in der Minderheit
    Die "breiten Kreise" der Liberalen in der AfD sind aber zumindest in Ostdeutschland eher schmal. Thüringer AfD-Mitglieder, die sich zur "Alternativen Mitte" bekennen, stehen parteiintern unter starkem Druck. Auf Parteitagen werden sie ausgebuht. So erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass die AfD durch die Aktivitäten des Verfassungsschutzes nun zumindest im Osten liberale Mitglieder verliert und sich weiter radikalisiert.
    Zumal sich ab einem bestimmten Punkt auch verbeamtete Mitglieder Sorgen machen müssten. Aber zunächst einmal, so betont der Thüringer Innenminister Georg Maier, haben auch Beamte, Polizisten etwa, das Recht sich parteipolitisch zu engagieren.
    "Der 'Flügel' ist jetzt ein Verdachtsfall. Das heißt, er ist noch nicht Beobachtungsobjekt und dadurch als verfassungsfeindlich eingestuft. Da sind wir ja noch nicht. Aber wenn man bei den Personen, die sich dem 'Flügel' zurechnen, Aktivitäten feststellt, zum Beispiel sehr enge Kontakte mit Rechtsradikalen oder gemeinsame Organisation von ganz klar verfassungsfeindlichen Aktivitäten, dann ist dieser Zeitpunkt schon erreicht. Dann kann man schon disziplinarisch tätig werden.
    Die Frage ist natürlich: Wie geht jeder Einzelne selbst damit um?"
    Immerhin stehen allein in Thüringen fünf Polizisten auf der AfD-Liste zur Landtagswahl. Der Thüringer Beamtenbund hat seinen Mitgliedern schon 2015 davor abgeraten, auch nur an Demonstrationen der AfD teilzunehmen. Die Gewerkschaft der Polizei in Thüringen hält die AfD für eine "rechtsradikale Partei". Der Bundeschef der Gewerkschaft, Oliver Malchow, verlangt von Beamten, die bei Wahlen für die AfD kandidieren, eine klare Distanzierung vom rechtsnationalen "Flügel" um Björn Höcke.
    Andreas Kalbitz, Mitglied des Bundesvorstandes der AfD und neben Björn Höcke an der Spitze des "Flügels", bezeichnete Malchow daraufhin als "linken Gesinnungsfaschisten".
    Der Wähler jedoch ist in seiner Entscheidung frei. In Umfragen liegt die AfD in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, wo in diesem Jahr Landtagswahlen anstehen, stabil über 20 Prozent.