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Affäre um Luxusfüller
"Ärgerlich ist das allemal"

Die Affäre um die Beschaffung teurer Füller durch mehrere Abgeordnetenbüros schadet nach Einschätzung der Linken-Politikerin Petra Pau dem Ansehen der Politik. Im DLF nahm sie Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) allerdings gegen Kritik in Schutz.

Petra Pau im Gespräch mit Martin Zagatta | 27.08.2016
    Linken-Abgeordnete Petra Pau im Bundestag
    Linken-Abgeordnete Petra Pau ist Vizepräsidentin des Bundestags (Imago/ Christian Ditsch)
    "Ich finde es billig, was ich in der ein oder anderen Zeitung gelesen habe, Lammert zu unterstellen, nicht nach Recht und Gesetz gehandelt zu haben", sagte die stellvertretende Parlamentspräsidentin im Deutschlandfunk. Die "Bild"-Zeitung hatte berichtet, Lammert habe den Großteil der Akten über die 2009 enthüllte Beschaffung teurer Füller durch Abgeordnete vernichten lassen. Die Bundestagsverwaltung hat dieser Darstellung inzwischen widersprochen.
    Pau betonte, sie schätze Lammert sehr und erlebe ihn als "integren und wahren Demokraten". Wenn es etwas offenzulegen gebe, werde er das sicherlich tun. Von Details der Affäre will Pau selbst keine Kenntnis haben. Sie habe diese vielmehr selbst der "Bild" entnommen. "Eine gedruckte Zeitung" reiche ihr indes zur Beurteilung des Sachverhalts nicht aus. "Aber ärgerlich ist es allemal", so Pau. Der Ältestenrat des Bundestages, dem die Linken-Politikerin selbst angehört, werde sich übernächste Woche mit der Angelegenheit befassen.
    Vorwürfe gegen mehr als 100 Abgeordnete
    "Dass es diese Vorgänge gegeben hat, schadet dem Ansehen der Politikerinnen und Politiker", sagte Pau. Jeder, der sich "über das normale Maß hinaus" Büroartikel beschafft habe, müsse sich "Rechenschaft ablegen, inwiefern er der Demokratie geschadet hat".
    Die "Bild"-Zeitung hatte 2009 erfahren, dass sich in dem Jahr mehr als 100 Abgeordnete insgesamt 396 Füller und Stifte im Gesamtwert von 68.800 Euro bestellt hatten. Lammert selbst gab an, dass über sein Bundestagsbüro ein Luxus-Schreibgerät angeschafft worden sei. Er selbst habe es aber nicht bestellt.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Sieben Jahre dauert der Rechtsstreit nun schon, in dem die "Bild"-Zeitung vom Bundestag, von Bundestagspräsident Norbert Lammert Auskunft verlangt, ob es stimmt, dass Abgeordnete sich auf Kosten der Steuerzahler teure Luxusfüller besorgt haben für zum Teil mehrere Tausend Euro. Das Blatt wirft dem Bundestagspräsidenten beziehungsweise seinem Büro auch vor, selbst neun solcher Produkte der Luxusmarke Montblanc erworben zu haben und sich bis heute zu weigern, Namen und Summen zu nennen. Die entsprechenden Akten seien sogar vernichtet worden. Wird da vertuscht? Verhindert der Bundestag Transparenz und betreibt stattdessen Geheimniskrämerei? Bundestagspräsident Lammert will jetzt den Ältestenrat des Bundestages einschalten direkt nach der Sommerpause, und diesem Ältestenrat gehört auch Petra Pau an, die Vizepräsidentin des Bundestages von der Partei Die Linke. Und sie ist auch Vizepräsidentin des Ältestenrates. Schönen guten Tag, Frau Pau!
    Petra Pau: Guten Morgen!
    Festgelegte Summe für Büromaterialien
    Zagatta: Frau Pau, vorneweg auf der Liste, die die "Bild"-Zeitung für das Jahr 2009 immerhin veröffentlicht hat, ist Ihr Name nicht zu finden. Also Sie haben sich da nicht bedient. Auch in anderen Jahren nicht?
    Pau: Nicht das ich wüsste. Jedem Abgeordneten steht eine festgelegte Summe im Jahr zur Verfügung, um Büromaterialien zu beschaffen, Telefonrechnungen zu bezahlen, auch Fachliteratur anzuschaffen. Bewirtschaftet wird das im Allgemeinen in den Büros. Ich vertraue da auch meinen Mitarbeitern, dass sie natürlich Briefumschläge im üblichen Maß beschaffen, genauso wie Tonerkartuschen für den Drucker. Was diesen Rechtsstreit betrifft, der tatsächlich schon ein paar Jahre schwelt –
    Zagatta: Frage ich Sie gleich noch. Aber mit was unterschreiben Sie denn? Nicht mit so einem Luxusfüller – Sie haben ja auch einiges zu unterschreiben?
    Pau: Na gut, auf eine merkwürdige Weise verschwinden gelegentlich auch Kugelschreiber. Das heißt, wir haben einen kleinen Vorrat an Kugelschreibern und Bleistiften im Büro, ganz normal.
    Zagatta: Aber so ein Bundestagspräsident, der hat ja auch einiges zu unterschreiben, der hat ja auch ein hohes Amt. Wäre das denn so verwerflich, wenn er das mit einem hochwertigen Füller machte? Das wäre ja nicht so schlimm.
    Pau: Also erst einmal: Bis zum Jahr 2010 waren diese Schreibgeräte Bestandteile des Kataloges der Büromittelfirma, die den Bundestag und damit auch die Abgeordneten beliefert. Insofern sage ich mal, wenn jemand einen solchen hochwertigen Stift bestellt hat, dann ist das erst mal nicht gegen Recht und Gesetz gewesen, wenn seine Pauschale nicht überschritten wurde. Ich kann mich selbst erinnern, 2010, nachdem bekannt wurde, dass offensichtlich vor dem Legislaturperiodenwechsel 2009 in einigen Büros mehrere solcher Schreibgeräte angeschafft wurden, haben wir uns im Ältestenrat darauf verständigt, dass aus der Kostenpauschale diese Schreibgeräte oder die Beschaffung dieser Schreibgeräte herausfallen soll. So weit, so gut. Insofern verurteile ich niemanden, der ein solches Schreibgerät gekauft hat. Was die Veröffentlichung all dieser Dinge betrifft, gibt es eindeutige Festlegungen des Ältestenrates, das ist die Versammlung der Parlamentarischen Geschäftsführer aller Fraktionen, und des Präsidiums des Bundestages, dass, nachdem es ein Urteil gab, nicht auf die Herausgabe aller Bestellernamen, sondern ganz konkret von sechs Namen, dass nach Einwilligung dieser Abgeordneten diese dann auch veröffentlicht werden. Meines Wissens haben diese Abgeordneten bisher diese Einwilligung nicht erteilt. Da treffen sich dann die durch das Grundgesetz und sonstige Gesetze geschützten Mandatsrechte des einzelnen Abgeordneten und gleichzeitig natürlich der Anspruch der Öffentlichkeit, zu erfahren, was wir mit Steuergeldern machen. So ärgerlich und kompliziert ist dieser Vorgang.
    Bis 2010 Bestandteil des Kataloges der Büromittelfirma
    Zagatta: Frau Pau, Sie sagen, da sei nichts einzuwenden, wenn man sich einen solchen auch Luxusfüller besorgt. Aber da geht es ja nicht um einen. Der Bundestagspräsident, so berichtet zumindest die "Bild"-Zeitung soll sich neun solcher Artikel besorgt haben, und an der Spitze steht offenbar, nach Informationen der "Bild"-Zeitung zumindest der CDU-Politiker Pofalla, der mittlerweile zur Bahn gewechselt ist. Der soll sich 39 Artikel der Firma Montblanc, der soll 39 Artikel der Firma Montblanc bezogen haben für rund 15.000 Euro. Kann man so was noch gutheißen?
    Pau: Also erstens habe ich keine Kenntnisse zu diesen Dingen, ich habe das auch in der "Bild"-Zeitung gelesen, und ich begrüße es, dass wir uns gleich in der übernächsten Woche, nämlich dann, wenn der Bundestag zusammentritt, im Ältestenrat sicherlich mit diesen Dingen befassen. Dann werden Sie von mir auch eine Bewertung hören. Aber ich werde nicht, bevor ich nicht all diese Vorgänge schwarz auf weiß gesehen habe – und da reicht mir nicht eine gedruckte Zeitung, um das auch gleich zu sagen –, jetzt dazu irgendwelche Stellungnahmen abgeben. Ärgerlich ist es allemal, wenn wir über diese Dinge reden statt über Fragen, die zumindest nach meiner Kenntnis Bürgerinnen und Bürger mindestens genauso in diesen Tagen bewegen. Insofern werde ich heute sicherlich auch – ich bin eingeladen in die Bundespressekonferenz zum Tag der offenen Tür der Bundesregierung, dort Bürgerinnen und Bürgern Rede und Antwort zu stehen –, sicherlich auch zu diesen Themen reden, aber auch zu den anderen Fragen, die die Bürger jetzt bewegen.
    Zagatta: Sie sagen, Sie haben keine Kenntnisse. Nun sind die Vorwürfe ja schon sehr alt. Es gibt ein Gerichtsverfahren. Haben Sie sich denn da mal im Ältestenrat insofern damit befasst, dass sie da nachgefragt haben. Aus der Bundestagsverwaltung heißt es ja, der Ältestenrat habe kurz gesagt so entschieden, es bei dieser Geheimhaltung erst mal zu belassen. Haben Sie das mit entschieden?
    Pau: Das ist schon 2010 entschieden worden, wie gesagt, erstens, dass diese Füllfederhalter und sonstigen Gerätschaften eben nicht mehr Bestandteil des Warenkatalogs sind, das haben wir damals mit entschieden. Das heißt, seitdem müssen sich Kolleginnen und Kollegen, wenn sie solche hochwertigen Gerätschaften beschaffen wollen, das aus ihrer eigenen Tasche tun. Und ansonsten haben wir nach der Kenntnis des Gerichtsurteils uns mit der Rechtslage befasst, und die sagt einfach mal, dass die Abgeordneten diese Information freigeben müssen. Das ist die Rechtslage, und mit der müssen wir uns auseinandersetzen, klar.
    "Alle vier Jahre werden solche Geschäftsvorgänge vernichtet"
    Zagatta: Gilt das rückwirkend? Weil das ist ja genau das, was jetzt Bundestagspräsident Lammert vorgeworfen wird. Dem wird Vertuschung vorgeworfen. Und obwohl der Antrag 2009 gestellt wurde, auch ein gerichtliches Verfahren da offenbar existiert, sollen ja Akten von 2006 bis 2008 dann immer noch vernichtet, geschreddert worden sein. Das klingt doch eindeutig nach Vertuschung.
    Pau: Also wissen Sie, ich bin in anderer Angelegenheit, als Mitglied des NSU-Untersuchungsausschusses mit Aktenschreddern befasst. Und seitdem weiß ich aber auch, dass es entsprechende Regelungen gibt. Und Herr Lammert hat erstens selbst keine Akten geschreddert, zweitens ist es tatsächlich so, dass alle vier Jahre solche Geschäftsvorgänge vernichtet werden. Und, Sie erinnern sich, diese Veröffentlichungen haben zu Ende 2009, Anfang 2010 stattgefunden, das war nach dem Legislaturperiodenwechsel. Ich sehe hier im Moment überhaupt keine –
    Zagatta: Aber die Akten sind ja danach noch geschreddert worden. Also es gab diese Anfragen, es gab sogar, wenn ich das richtig weiß oder lese, soll es auch ein gerichtliches Verfahren da gegeben haben, und trotzdem hat man dann diese Akten dann noch geschreddert. Das ist doch Fakt.
    Pau: Also wir reden hier nicht über Aktenvorgänge, das weiß ich aus meiner Kenntnis als Bundestagsabgeordnete, die, wie gesagt, ja auch Büromaterialien über ihr Büro bestellt, es werden die Belege, wenn sie nach der Abrechnung nicht mehr gebraucht werden, wie gesagt, vier Jahre aufbewahrt, und danach werden sie zur Entlastung sowohl der Verwaltung oder aber auch der Abgeordneten selbst vernichtet. Um es noch mal deutlich zu sagen: Ich reiche meine Telefonrechnung aus dem Wahlkreisbüro ein. Wenn das beglichen ist nach einer gewissen Zeit, bekomme ich die zurück. Und ob ich die dann vernichte oder noch mal zehn Jahre aufbewahre, das liegt dann in meiner Hand.
    "Ich sehe hier keine Rechtsverstöße"
    Zagatta: Ganz klar, aber wenn man Ihnen vorwerfen würde –
    Pau: Ich sehe hier keine Rechtsverstöße, um das deutlich zu sagen, und finde es auch ziemlich billig, was ich in den letzten Tagen in der einen oder anderen Zeitungsveröffentlichung gelesen habe, jetzt Norbert Lammert, dem Bundestagspräsidenten, zu unterstellen, dass er hier nicht nach Recht und Gesetz gehandelt hat, um das mal sehr deutlich zu sagen.
    Zagatta: Also nach Recht und Gesetz ist ja was anderes, als ob das jetzt moralisch in Ordnung ist. Ein Bundestagspräsident sollte ja vielleicht auch moralisch ein Vorbild sein. Wenn Sie jetzt für Hunderttausende telefoniert hätten und Sie würden angegriffen deswegen, dann würden Sie doch auch nicht sagen, ja gut, aber die Akten kann ich nach Recht und Gesetz jetzt mal schnell vernichten.
    Pau: Ja. Und der Bundestagspräsident hat nach meinem Wissen keinerlei Akten vernichtet, und das müssen Sie jetzt bitte einfach mal so stehen lassen.
    Zagatta: Also das war dann die Bundestagsverwaltung. Das hätte man dann vielleicht auch verhindern können. Erwarten Sie denn von Norbert Lammert jetzt, dass er das noch aufklärt, dass er dazu mal Stellung nimmt und sagt, dass – die "Bild"-Zeitung wirft ihm ja vor, er habe auch neun solche Produkte von Montblanc bezogen. Werden Sie da im Ältestenrat – er will den ja jetzt damit befassen –, werden Sie da nachfragen?
    Pau: Ich denke, wir werden, wie sich das gehört und wie ich das kenne aus den Ältestenratssitzungen – ich bin ja nunmehr auch schon zehn Jahre Vizepräsidentin des Bundestages – zur nächsten Ältestenratssitzung eine entsprechende Vorlage bekommen, wo alle Informationen, die man beschaffen kann, drin stehen. Und wenn es dann noch Fragen gibt, werde ich diese stellen.
    Schaden für das Ansehen der Politiker
    Zagatta: Erwarten Sie von Norbert Lammert, dass er Ihnen das jetzt sagt, ob er da tatsächlich neun solche Artikel besorgt hat, oder geben Sie sich damit zufrieden, wenn man sagt, nicht mehr nachprüfbar?
    Pau: Also wissen Sie, ich schätze Herrn Professor Lammert und unseren Bundestagspräsidenten sehr und erlebe ihn wirklich von Beginn an unserer Zusammenarbeit als einen integren und auch wahren Demokraten. Ich gehe davon aus, wenn es etwas offenzulegen gibt, wird das auch stattfinden. Und bis dahin gilt für den Bundestagspräsidenten wie für jeden anderen, das ich ihm erst mal vertraue.
    Zagatta: Aber Sie fragen nach. Schadet denn diese ganze Geschichte jetzt schon, diese Vorwürfe, schadet das dem Bundestagspräsidenten – schadet das dem Bundestag?
    Pau: Also, dass es diese Vorgänge überhaupt gegeben hat, das schadet in jedem Fall dem Ansehen der Politikerinnen und Politiker, und da hat jeder, der in einer Weise über das normale Maß hinaus, wie gesagt, Norbert Lammert, da habe ich überhaupt nichts zu sagen, sondern ich rede jetzt über die anderen Fälle, über das normale Maß hinaus gegebenenfalls sich Dinge beschafft hat, auch sich selbst Rechenschaft darüber abzulegen, wie weit er da auch der Demokratie geschadet hat.
    Zagatta: Petra Pau, die Bundestagsvizepräsidentin und Vizepräsidenten des Ältestenrats im Bundestag von der Partei Die Linke war das. Frau Pau, ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch!
    Pau: Bitte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.