Dienstag, 21. Mai 2024

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Affäre um Netzpolitik.org
"Schutz des Privatgeheimnisses wird allgemein zurückgedrängt"

Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, hat sich für eine Überarbeitung des Landesverrat-Paragrafen ausgesprochen. Man müsse der "modernen Mediengesellschaft" mehr Rechtssicherheit geben, sagte er im DLF. Insgesamt beobachte er die Tendenz, dass der Staat die Privatsphäre zugunsten von Ermittlungsmaßnahmen hintenanstelle.

Ulrich Schellenberg im Gespräch mit Martin Zagatta | 05.08.2015
    Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, Porträt, in die Kamera blickend
    Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg (dpa/picture alliance/Hannibal Hanschke)
    Martin Zagatta: Die Meinungen über das Vorgehen von Justizminister Maas sind höchst geteilt, über Konsequenzen wird jetzt heftig gestritten, vor allem über die Unabhängigkeit der Strafermittler. Der Deutsche Richterbund meint, es sei höchste Zeit, das Weisungsrecht der Justizminister gegenüber den Staatsanwälten abzuschaffen, dagegen wendet sich allerdings der Deutsche Anwaltverein und sein Präsident Ulrich Schellenberg, von dem ich wissen wollte, warum er dafür ist, dass die Regierung dieses Weisungsrecht behält, ob so nicht politischer Einflussnahme auf Ermittlungsverfahren Tür und Tor geöffnet wird.
    Ulrich Schellenberg: Ja, wir haben, wenn wir das Wort Weisung hören, immer den Eindruck, dass da sehr schnell natürlich auch Missbrauch betrieben wird, dass politische Einflussnahme ja vielleicht auch sachfremde Gründe bedeuten können - da kommt ja unser Spürgefühl, dass wir alle auch manchmal haben, her. Aber im Kern muss man unterscheiden zwischen der Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft, ja, und dem Fehler, den ein Politiker machen kann, wenn er eine falsche Weisung gibt. Das, was im Moment gefordert wird, heißt, dass man jetzt das Kind mit dem Bade ausschüttet, das heißt, ohne dass man jetzt über eine einzelne Weisung konkret spricht, sondern ganz allgemein sagt, man muss das Weisungsrecht abschaffen. Und das ist mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar, und es ist auch nicht vereinbar mit dem Beamtenstatus, den die Staatsanwaltschaft hat.
    Zagatta: Aber zeigt nicht jetzt dieser Fall Range gerade, dass da etwas nicht richtig funktioniert, oder anders gefragt, geht es denn unvoreingenommen zu ermitteln, also das zu machen, was man eigentlich für richtig hält, und gleichzeitig dann auf solche Weisungen oder wie immer man das nennt, Anweisungen der Regierung zu hören?
    Schellenberg: Ja, dieses Weisungsrecht wird ja im Regelfall sehr selten ausgeübt. Die Staatsanwaltschaft macht ihre Arbeit ja sehr solide, übrigens nicht nur in dem einen Fall, der jetzt in der Öffentlichkeit steht, sondern jeden Tag aufs Neue, und die Frage des Weisungsrechtes stellt sich ja nicht nur auf Bundesebene, sondern natürlich auch überall bei den Landesjustizministerien. Aber diese Weisungen ergeben sich zwingend auch aus dem Beamtenstatus, den die Staatsanwaltschaft hat. Die Staatsanwaltschaft ist Teil der Exekutive und eben nicht Teil der Judikative, und in der Bundesrepublik genießen die Richter die richterliche Unabhängigkeit, aber eben nicht die ausführenden Behörden, nämlich die Exekutive.
    "Keine Anhaltspunkt, dass Weisung gegenüber Range rechtswidrig war"
    Zagatta: Und dafür muss man dann im Gegenzug hinnehmen, dass bei politisch brisanten Verfahren der Justizminister auch entscheiden kann, ob ihm das passt oder nicht, und sich diesem Verdacht politischer Einflussnahme auch aussetzt.
    Schellenberg: Ja, die Weisungen müssen immer sachgerecht sein. Vielleicht ist es ganz wichtig, noch mal diesen Punkt zu beleuchten. Eine Weisung etwa, wonach Ermittlungen gegen einen Parteifreund deswegen einzustellen sind, weil es eben ein Parteifreund ist, das sind sachfremde Erwägungen. Eine solche Weisung ist rechtswidrig, und dem Beamten steht das Recht zu, dagegen zu remonstrieren. Wir haben ja auch Regelungen dafür - wenn ein Beamter der Meinung ist, dass eine Weisung nicht richtig ist, dann stehen ihm ja auch Mittel zu, sich dagegen zu wehren, das ist gar keine Frage. Und im Moment wird ja auch in der politischen Diskussion immer mit dem Missbrauch argumentiert, während wir ja erst einmal vom Regelfall ausgehen müssen. Und wenn wir uns auch den ganz aktuellen Fall Range anschauen, habe ich persönlich noch gar keine Anhaltspunkte dafür, dass die Weisung in irgendeiner Weise rechtswidrig gewesen wäre.
    Zagatta: Justizminister Maas denkt jetzt offenbar auch über Gesetzesänderungen nach - gehen Sie denn davon aus, dass jetzt zumindest dieser Straftatbestand, dieser umstrittene - publizistischer Landesverrat -, dass der abgeschafft wird?
    Schellenberg: Ja, dieser wirklich umstrittene Paragraf hat ja eine ganz eigentümliche Geschichte. Er gehört zu den ganz wenigen Paragrafen, die in den letzten Jahrzehnten ja eigentlich nur zwei- oder dreimal überhaupt zur Diskussion standen - das letzte Mal sehr ernsthaft in der "Spiegel"-Diskussion, dann jetzt wieder in der ganz aktuellen Diskussion, und dazwischen gab es die ein oder anderen Versuche, über Beihilfe diesen Tatbestand zu aktivieren. Im Kern fristet er - zum Glück, muss man sagen - ein Randdasein. Gefährlich ist dieser Straftatbestand deshalb, weil er unabhängig vom Bruch des Geheimnisses ja zusätzlich denjenigen bestrafen will, der das auch öffentlich macht. Das sind, wenn man das mal historisch nachverfolgt, Überlegungen, die bis ins Kaiserreich und dann auch in die Weimarer Republik zurückgehen, und da kann man durchaus überlegen, ob man unserer modernen Mediengesellschaft ein bisschen mehr Rechtssicherheit gibt, indem man nämlich eben den Journalisten die Möglichkeit gibt, tatsächlich über das zu berichten, was sie auch aus Quellen erfahren. Und dann muss man eben den bestrafen, der dieses Geheimnis wirklich bricht, aber nicht denjenigen, der über den Geheimnisbruch berichtet.
    Zagatta: Also dieser Paragraf, der müsste abgeschafft werden?
    Schellenberg: Er muss zumindest überarbeitet werden.
    "Bei Netzpolitik.org wurde ein Exempel statuiert"
    Zagatta: Diese Diskussion jetzt kommt ja für die Große Koalition schon deshalb zur Unzeit, weil sie demnächst auch über die sogenannte Vorratsdatenspeicherung entscheiden muss, weil sie die wieder einführen will. Können Sie denn absehen, was das für Journalisten bedeutet, droht da neues Ungemach?
    Schellenberg: Ja, wir haben eine Entwicklung, die im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung kaum richtig beobachtet wurde bislang. Wir haben ja auch unter der Überschrift, dass die Höchstspeicherfristen geregelt werden sollen, ja auch eine Regelung zur Datenhehlerei. Ich weiß gar nicht, ob Sie sich noch erinnern an den Ankauf der Steuer-CD...
    Zagatta: Sehr gut.
    Schellenberg: ...das war eine Situation, in der zum ersten Mal über Datenhehlerei gesprochen wurde, und dabei hat man festgestellt, dass dieser Straftatbestand überhaupt nicht existiert. Und nun wird er eingeführt, mit der Folge, dass aber schon eine Ausnahme geregelt wird, nämlich der Ankauf von Steuer-CDs bleibt weiterhin straffrei. Jetzt ist in diesem Zusammenhang geregelt, dass Journalisten einer gewissen Gefahr dann ausgesetzt sind, wenn sie Informationen erhalten, aber eben, tja, noch nicht unmittelbar für eine Veröffentlichung bereithalten. Und Sie wissen, wenn Sie gut recherchieren, dann sammeln Sie auch einmal Informationen, und in dem Moment kann dieses Sammeln von Informationen nach dem neuen Gesetz bereits den Tatbestand der Datenhehlerei erfüllen.
    Zagatta: Also doch eine ganz erhebliche Gefahr, wenn das so käme, für Journalisten?
    Schellenberg: Ja, wir haben eine allgemeine Tendenz, die wir im Moment beobachten müssen. Wir stellen fest, dass der Schutz des privaten Geheimnisses, der Geheimnisse, die Sie, Ihre Hörer und wir alle haben, dass dieser Schutz eigentlich zurückgedrängt wird über zusätzliche Ermittlungsmaßnahmen, während umgekehrt der Staat sehr viel stärker Wert darauf legt, seine eigenen Geheimnisse auch dann zu schützen, wenn diese Geheimnisse eben auch grundrechtswidrige Verhaltensweisen beschreiben, rechtswidrige Verhaltensweisen beschreiben. Und das ist ja im Moment der Spannungsbogen, der uns alle so ein wenig elektrisiert, dass in dieser NSA-Geschichte wir an so vielen Stellen festgestellt haben, wie rechtlos und schutzlos wir uns eigentlich fühlen, während dann bei dem Internetforum Netzpolitik.org hier quasi ein Exempel statuiert werden sollte.
    Zagatta: Die SPD hat, was die Vorratsdatenspeicherung angeht, ja schon Zustimmung signalisiert, das Gesetz muss jetzt noch durch den Bundestag. Glauben Sie, die Sozialdemokraten stellen sich da noch quer, oder wie schätzen Sie das ein, nach Ihren Erfahrungen?
    Schellenberg: Ja, es kommt ja nicht auf meine Einschätzung an, ich bin jetzt im politischen Betrieb nicht zu Hause, sondern sehe es so wie Sie auch von außen, aber ich meine schon, dass die Entscheidung jetzt des letzten Parteikonvents - die war ja sehr kontrovers - ich vermute schon, dass wir uns mit den jetzigen Regelungen im Bereich der Großen Koalition zur Vorratsdatenspeicherung anfreunden müssen, das heißt aber noch lange nicht, dass wir diese Regelung auch gut finden müssen.
    Zagatta: Ulrich Schellenberg, der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, mit dem ich vor der Sendung telefonieren konnte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.