Freitag, 17. Mai 2024

Afrika-Cup 2024
Die europäische Diaspora spielt mit

Der Afrika-Cups an der Elfenbeinküste spielt auch in Europa eine wichtige Rolle. Fast ein Drittel der teilnehmenden Fußball-Spieler sind in der Diaspora aufgewachsen, die meisten von ihnen in Frankreich.

Von Ronny Blaschke | 21.01.2024
Georges Kevin Nkoudou Mbida (Kamerun) und Serhou Yadaly Guirassy (Guinea) kämpfen um den Ball während des Spiels Kamerun gegen Guinea beim Afrika-Cup 2024
Stuttgarts Top-Stürmer Serhou Yadaly Guirassy wurde in Arles geboren. Er ist mehrmaliger französischer Nachwuchsnationalspieler und trägt heute das Nationaltrikot von Guinea. (IMAGO / Newscom World / IMAGO / Kim Price)
Die Hafenstadt Marseille im Süden von Frankreich wird seit Jahrhunderten durch Einwanderung aus Nordafrika geprägt. Deutlich wird das im Stade Vélodrome, im Stadion des Fußballklubs Olympique Marseille. Dutzende Fans tragen hier bei Heimspielen die Nationaltrikots aus Algerien, Tunesien oder Senegal, aus jenen Ländern, in denen ihre Vorfahren aufgewachsen sind.
Einige Fans schwenken afrikanische Landesflaggen, berichtet der kanadisch-algerische Journalist Maher Mezahi. Er hat in Marseille gelebt und befasst sich seit Jahren mit dem Fußball in Nordafrika: „Der Verein in Marseille würdigt die Vielfalt der Stadt und veranstaltet regelmäßig einen ,Afrika-Tag‘. Dann gibt es Veranstaltungen, die den afrikanischen Kontinent feiern, zum Beispiel mit verdienten früheren Spielern. Olympique bringt auch Afrika-Trikots heraus und zeigt Choreografien mit der algerischen Flagge.“
Eine Porträtaufnahme des kanadisch-algerische Journalist Maher Mezahi. Er steht im Stadion von Olympique Marseille, dem Stade Vélodrome.
Der kanadisch-algerische Journalist Maher Mezahi beschäftigt sich seit Langem mit dem Fußball in Afrika. (Deutschlandradio / Ronny Blaschke)

Talentscouts sichten in Europa

Zurzeit läuft in der Elfenbeinküste der Afrika-Cup. In Marseille versammeln sich wieder hunderte Menschen in Bars, Restaurants und Vereinsheimen, um gemeinsam die Spiele zu verfolgen. Und so wird deutlich, dass dieses Turnier auch eine Feier der Diaspora ist. Für die Fans – und für die Spieler: 24 Nationen nehmen am Afrika-Cup teil, mit insgesamt 630 Spielern. 200 dieser Spieler, knapp ein Drittel, sind nicht in dem Land geboren, für das sie nun antreten. Das berichtet die südafrikanische Zeitung „The Citizen“.
Fußbll-Profi Amine Gouiri vom französichen Klub Stade Rennes führt im Match gegen Olympique Marseille den Ball
Der in Frankreich geborene und für den französischen Klub Stade Rennes spielende Amine Gouiri läuft beim Afrika-Cup für Algerien auf. (IMAGO / PanoramiC / IMAGO / Valentina Claret)
Beim Afrika-Cup 2019 waren es weniger Spieler, die im Ausland aufgewachsen sind: nämlich 129. Die afrikanischen Fußballverbände haben offenbar ihr Sichtungssystem ausgebaut, sagt der Reporter Maher Mezahi: „Der marokkanische Verband ist gut organisiert und beschäftigt in Europa sechs oder sieben Talentscouts: zwei in Frankreich, jeweils einen in Spanien, Belgien und Holland. Ihr wichtigstes Ziel ist es, junge Spieler zu sichten und zu rekrutieren. Algerien hat lange mit Spielerberatern zusammengearbeitet, die über gute Netzwerke in Frankreich verfügen. So sollen bereits die Jugendnationalteams in Afrika gestärkt werden.“

Sperrstunden bei wichtigen Spielen

Von den 200 Diaspora-Spielern, die nun für afrikanische Nationalteams aktiv sind, wurden mehr als die Hälfte in Frankreich geboren: 104. Mit Abstand liegt Spanien dahinter, wo 24 Teilnehmer des Afrika-Cups aufgewachsen sind. Es folgen England, die Niederlande und Portugal. Die Präsenz der Diaspora beim Afrika-Cup verdeutlicht die Verbindungen zwischen früheren Kolonialmächten und ihren Kolonien, sagt der Journalist Maher Mezahi, der dem afrikanischen Fußball einen Podcast widmet. Von den 27 Spielern des marokkanischen Nationalteams sind 18 im Ausland aufgewachsen. In der Auswahl Algeriens kommen 14 aus der Diaspora, die allermeisten aus Frankreich.
„In Frankreich beruft sich die junge Generation mit algerischen Wurzeln auf beide Teile ihrer Identität“, sagt Mezahi. „Doch viele rechte Politiker machen ihnen das schwer. Wenn Algerien beim Afrika-Cup entscheidende Spiele bestreitet, dann werden in einigen Städten Frankreichs Sperrstunden verhängt. So soll verhindert werden, dass französisch-algerische Fans auf den Straßen feiern oder Autokorsos bilden.“

Die „Banlieue“ prägt die Wahrnehmung

Mehr als 130 Jahre stand Algerien unter der Kontrolle Frankreichs. Auch nach dem Kolonialismus wandern hunderttausende Menschen aus Nordafrika nach Frankreich ein. Sie arbeiten damals in den Industriegebieten und stützen den Wirtschaftsaufschwung. Viele Arbeiter müssen sich trotzdem mit Barackensiedlungen in den Vorstädten begnügen, den sogenannten Banlieue. Diese Viertel prägen bis heute die Wahrnehmung vieler Franzosen von Einwanderung, Identität, Sicherheit.
 „Lange herrschte in der Gesellschaft die Vorstellung, dass Frankreich im Zentrum der Welt stehen würde“, sagt Constance Rivière, die in Paris das „Musée de l'Histoire de l'immigration“ leitet, das Migrationsmuseum. „Es ist ein relativ neues Thema, kritisch auf den Kolonialismus zu blicken. Aber wir müssen uns dieser Vergangenheit stellen. Kaum ein Thema wird in Frankreich so kontrovers und polemisch diskutiert wie Migration. Wir möchten ganz nüchtern Informationen bereitstellen, so dass sich unsere Besucher eine fundierte Meinung bilden können. Und der Sport kann dabei helfen.“ 

Sonderausstellung für Olympia

Das Migrationsmuseum ist im Südosten der Hauptstadt im Palais de la Porte Dorée untergebracht. In diesem eindrucksvollen Bauwerk fand 1931 die Pariser Kolonialausstellung statt, eine Romantisierung von Ausbeutung und Rassismus zu jener Zeit. Fast einhundert Jahre später wirft nun die neue Dauerausstellung einen differenzierten Blick auf die Migrationsgeschichte Frankreichs. Auch auf die Fußballverbindungen nach Afrika. Und zu den Olympischen Spielen in Paris im Sommer eröffnet bald eine Sonderausstellung. Über die Bedeutung der Migration, die weit über den Sport hinausreicht.