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Agrarmesse Grüne Woche in Berlin
Das Sterben der Höfe geht weiter

Rund 30 Cent erhalten Landwirte derzeit für einen Liter Milch. Für viele zu wenig, um davon zu leben: 100.000 Milchbauern haben in den vergangenen 20 Jahren aufgegeben, das ist mehr als jeder zweite. Auch wenn das tiefste Tal der Milchpreiskrise durchschritten zu sein scheint, fürchten noch immer viele Bauern den Ruin.

Von Jantje Hannover | 18.01.2017
    Ein Bauer treibt eine Kuh über eine Weide.
    Auch wenn die Preise für einen Liter Milch derzeit wieder steigen: Viele Landwirte kämpfen weiter ums wirtschaftliche Überleben. (dpa / Oliver Berg)
    Das Dörfchen Boddin gehört zur Gemeinde Groß-Pankow in der Brandenburger Prignitz. Hier haben die Geschwister Marlies und Burkhard Schultz seit fast 20 Jahren ihren Hof. Ihr Vater hatte den Betrieb nach der Wende wiederaufgebaut. 150 Milchkühe werden heute in Boddin gemolken, dazu kommt noch die Nachzucht, das sind die Kälber und die Jungkühe.
    Wenn am Freitag in Berlin die Grüne Woche beginnt, wollen sich die Schultzens dort die neuen Zuchtbullen anschauen. Bis dahin gibt es auf ihrem Hof in Boddin wie immer viel zu tun: "So, jetzt stehen wir hier am Melkroboter, der versucht jetzt gerade anzusetzen."
    Marlies Schultz und ihr Bruder stehen in einer tiefer gelegenen Kammer vor dem Melkstand, der voll automatisiert arbeitet. Hinter einem Fenster sehen sie die Kuh, die jetzt gerade gemolken wird. Mit einem metallenen Arm, auf dem ein Melkbecher sitzt, sucht der Roboter die Zitze der Kuh.
    Technisierung spart Arbeitskraft
    "In diesem Kopf ist ein Laser und eine Kamera, und die Kamera erkennt sozusagen die Form und die Position der Zitze, dadurch findet er die zum Ansetzen."
    Der Melkroboter ist eine Anlage mit zwei sensorgesteuerten Türen. Über einen Chip am Ohr erkennt die Maschine, welches Tier gerade Einlass begehrt. Die Anlage arbeitet rund um die Uhr. Deshalb können die Kühe hier selbst entscheiden, wann sie gemolken werden. Marlies Schultz schaut auf einen Computerbildschirm:
    "Jetzt sieht man die Viertel, die einzelnen Euterviertel, da wird der Fluss angezeigt pro Minute, wie viel Gramm pro Minute gerade ermolken werden, und ganz links oben steht die Gesamtmilch, die erwartet wird. Schafft er diese Menge nicht, krieg ich am Rechner einen Alarm. Das heißt: hier, guck dir die Kuh 138 an, links vorne ist nicht so viel Milch gekommen wie erwartet, kann sein sie hat ein Problem."
    100.000 Betriebe haben in den vergangenen 20 Jahren aufgegeben
    Weil die Geschwister Schultz den Melkroboter einsetzen, können sie mit nur zwei zusätzlichen Arbeitskräften alle anfallenden Arbeiten erledigen. Für mehr Beschäftigte würden ihre Einnahmen ohnehin nicht ausreichen. Zwar ist der Preis für einen Liter Rohmilch ab Hof seit ein paar Monaten wieder deutlich gestiegen und rechtzeitig zur Grünen Woche kann man von einer Wende am Milchmarkt sprechen. Trotzdem sind die meisten Milchviehhalter hoch verschuldet.
    Im Bebraer Ortsteil Iba (Kreis Hersfeld-Rotenburg) kommt auf dem landwirtschaftlichen Anwesen der Familie Langhans am 4. November 1998 der erste Melkroboter Hessens zum Einsatz. Gelockt von schmackhaften Kraftfutter gehen die Kühe bis zu viermal am Tag in den Melkautomat. Dabei nehmen sei zuvor sogar Schlangestehen in Kauf. Bei rund 220 Melkungen am Tag kann der Automat bis zu 2400 Liter Milch absaugen. Ein Datenträger am Kuhhalsband sagt dem Computer, wann die Kuh zuletzt da war und wieviel Milch zu erwarten ist. Die Kosten für den Roboter belaufen sich auf 300000 Mark. | Verwendung weltweit
    Ein Melkroboter spart Arbeitskraft, bedeutet für viele Bauern aber auch eine hohe Investition (picture-alliance / dpa)
    Zu lange lagen die Preise weit unter ihren Produktionskosten. Unter dem hohen Effizienzdruck in der Milchviehwirtschaft haben in den vergangenen 20 Jahren mehr als 100.000 Betriebe in Deutschland aufgegeben, deutlich mehr als jeder zweite. Milchbauern müssen viel Geld investieren, um auf dem Stand der Technik zu bleiben. 240.000 Euro hat zum Beispiel der Melkroboter der Geschwister Schultz gekostet. Er ist inzwischen abbezahlt. Nicht aber der Stall, den sie gebaut haben, um mehr Kühe zu melken und damit wirtschaftlicher produzieren zu können:
    "Also das heißt eben viel persönlicher Verzicht auf alles. Der Betrieb deckt unsere Krankenversicherung, Rentenversicherung und wir entnehmen uns pro Person 1.000 Euro zum Leben pro Monat. Also ich hab Vermietung und Verpachtung nebenher, und mit Solaranlage. Und aus diesen Einnahmen finanziere ich zurzeit mein Leben und auch die Wirtschaft. Also ich stecke noch richtig Geld hier rein, um hier arbeiten zu dürfen."
    Tausend Euro Minus am Tag
    Privates Vermögen investieren, damit die Milchwirtschaft weiter läuft. Die Geschwister Schultz sind da kein Einzelfall. Beispiel Baden-Württemberg: Georg Kochendorfers Familie hält schon seit zwei Jahrhunderten Milchkühe auf einem Hof bei Schwäbisch-Hall. Gemeinsam mit seinem Sohn und zwei befreundeten Familienbetrieben hat der heute 58jährige vor sechs Jahren eine GbR gegründet, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
    360 Stellplätze für Milchkühe haben die Geschäftspartner zusammen aufgebaut, man wollte effizienter wirtschaften als zuvor im Familienbetrieb und so die Gewinne trotz schwankender Preise stabilisieren. Zweieinhalb Millionen Euro haben sie gemeinsam investiert:
    "Das war im Sommer natürlich so, wo der Milchpreise bei uns extrem schlecht war, dass wir am Tag ungefähr tausend Euro Minus gemacht haben. Wenn ich berechne, was Futterkosten, Arbeitskosten, Energie und so weiter ist und was auf der anderen Seite wieder durch den Milchverkauf reingekommen ist, dann hat man halt tausend Euro Minus gemacht.
    Und wenn ich das hochrechnet auf anderthalb Jahre, dann kann man sich das ja ausrechnen, was da für ein Betrag zusammenkommt, der dann da gefehlt hat."
    Höhere Milchproduktion gegen schrumpfende Gewinne
    Georg Kochendorfer und seine Geschäftspartner gerieten in Streit, man schob sich gegenseitig die Schuld an der Misere in die Schuhe. Bis Kochendorfer seinen Austritt aus der GbR erklärte. Nun steht er vor den Scherben seines Lebenswerks. Aber schlimmer noch:
    "Die GbR bedeutet halt, man haftet vollumfänglich mit seinem gesamten Vermögen für die gesamten Schulden. Jeder haftet vollumfänglich."
    Im Falle der Insolvenz muss Georg Kochendorfer möglicherweise die Gesamtschuld tragen. Er besitzt Grundstücke, die sich vielleicht als Bauland eignen.
    "Die Bank sagt, bei mir holt sie es am leichtesten. Ich denke halt, das ist halt auch ein bisschen eine Drohung gewesen. Jedenfalls ist die Rechtslage so, dass die Bank die kompletten Schulden, die jetzt noch in der Höhe der Investitionen ist, bei mir holen kann und ich dafür sorgen muss, dass ich das bei meinen Kollegen wiederkriege."
    Eine Milchkuh grast auf einer Weide bei Rosenheim in Oberbayern.
    Mit einer immer höheren Milchproduktion hoffen viele Bauern ihre sinkenden Gewinne zu kompensieren. (AP)
    Wenn die Gewinne schrumpfen, muss man mehr Milch produzieren, um überhaupt etwas zu verdienen, so das Kalkül vieler Bauern. Andere wiederum hatten ihre Betriebe und Bestände erweitert, in der Hoffnung, die Hochpreisphase um das Jahr 2013 würde andauern. Überdies war der Stallausbau politisch erwünscht und wurde großzügig subventioniert.
    Milchpreis von 21 auf 30 Cent pro Liter gesunken
    Die Produktion sollte effizienter werden, alles mit dem Ziel, Milch aus Deutschland und Europa fit für den Weltmarkt zu machen, also vor allem billiger. So ist der Milchüberschuss auf dem Markt überhaupt erst entstanden, die Preise pro Liter stürzten dann weltweit in den Keller. Dabei ist das tiefste Tal am Milchmarkt zurzeit bereits durchschritten:
    "Die Erholung am Milchmarkt, die resultiert aus Effekten, die was mit der Angebotsseite und mit der Nachfrageseite zu tun haben, wie auf allen Märkten."
    Henning Ehlers hat den Milchpreis immer genau im Blick. Er ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbands. Das ist der Dachverband der genossenschaftlich organisierten Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Im Juni vergangenen Jahres haben die Milchbauern in Deutschland rund 21 Cent pro Liter erhalten. Jetzt liegt der Preis bei über 30 Cent, das sind rund fünfzig Prozent mehr.
    Der Leiter der Abteilung Waren- und Futterwirtschaft des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), Henning Ehlers (l-r), der Präsident des DRV, Manfred Nüssel und der Leiter der Abteilung Milchwirtschaft des DRV, Heinrich Schmidt geben am Donnerstag (18.06.2009) in Berlin eine Pressekonferenz. Bei der Pressekonferenz ging es unter anderem um die wirtschaftliche Lage des Raiffeisenverbandes. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert dpa/lbn +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
    Deutscher Raiffeisenverband: Der Leiter der Abteilung Waren- und Futterwirtschaft des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), Henning Ehlers (l-r), der Präsident des DRV, Manfred Nüssel und der Leiter der Abteilung Milchwirtschaft des DRV, Heinrich Schmidt (picture alliance / dpa / Dietmar Gabbert)
    "Wir sehen derzeit, dass die Milcherzeuger in fast allen europäischen Ländern die Produktion gedrosselt haben. Wir haben einen Produktionsrückgang von fünf, sechs Prozent circa gegenüber dem Vorjahr. Das heißt, die Landwirte haben mit Zeitverzug auf die niedrigen Preise reagiert. Zugleich stellen wir fest, dass wir auf der Nachfrageseite, insbesondere auf Drittlandsmärkten erfreuliche Tendenzen sehen, der Absatz in den asiatischen Raum, insbesondere nach China ist stark gestiegen. Wir haben sehr viel mehr Butter und Käse absetzen können auf den Auslandsmärkten. Und das hat zu spürbaren Entlastungen auf den Märkten beigetragen."
    Wenige große Molkereien beherrschen den Markt
    Der Raiffeisenverband vertritt die großen Akteure auf dem Milchmarkt - zwei Drittel der in Deutschland gewonnenen Milch werden von hier organisierten genossenschaftlichen Molkereien verarbeitet. Wenn die Landwirte leiden, weil die Preise im Keller sind, litten die Molkereien mit, sagt Henning Ehlers:
    "Gerade die Molkereigenossenschaften sind im Eigentum der Landwirte, und das Problem der Landwirte ist natürlich auch das Problem der Molkerei. Unsere Molkereien haben versucht, das ist Dauerauftrag, die Risiken zu streuen. Sie versuchen auf möglichst verschiedenen Teilmärkten aktiv zu sein, im Käsebereich, im Butterbereich, im Trinkmilchbereich, bei Spezialitäten, um das Risiko zu streuen."
    Haben die Molkereien aber wirklich alles getan, um den Milchbauern in ihrer misslichen Lage zu helfen? Der Raiffeisenverband residiert in einem schicken Büro am Pariser Platz in Berlin. Die Nähe zum Regierungsviertel ist wichtig für den Verband, aber nur wer gut verdient, kann sich ein solches Büro auch leisten.
    Tatsächlich sind es die Molkereien, die bestimmen, wie viel Geld sie den Bauern für ihre Milch bezahlen. Wenige große Konzerne sind marktbeherrschend, darunter auch genossenschaftlich organisierte wie DMK und Arla. Sie konkurrieren um die Plätze in den Regalen des Lebensmitteleinzelhandels und wollen daher möglichst billig sein.
    Gefährliches Denken: Immer mehr und billiger produzieren
    Arnold Blum, in Brandenburg Landesvorsitzender des Bundesverbands deutscher Milchviehhalter, kurz BDM, macht die Molkereien mitverantwortlich für die Preismisere:
    "Je niedriger ihr Einkaufspreis ist für die Milch, umso mehr Gewinn macht sie. Und der Einzelhandel genau dasselbe. Also den Einkauf möglichst niedrig halten, und den Verkauf möglichst teuer. Und das machen sie bis zum heutigen Tag, erfolgreich. Wenn jeder nur noch darauf schaut, Maximal - Profit zu erwirtschaften, in der Molkerei und auch vom Einzelhandel, dann bleibt für den Milchbauer nichts übrig, und so ist die Realität schon seit mindestens zwanzig Jahren."
    "Wir sehen immer wieder Krokodilstränen, in den Rundschreiben an die Bauern, wird die Schwierigkeit des Marktes beklagt, dass wir zu viel Milch am Markt haben."
    Ergänzt der Vorsitzende des Bundesverbands deutscher Milchviehhalter, Romuald Schaber. Fast ein Drittel der deutschen Milchviehhalter ist im BDM organisiert:
    "Aber dass von Molkerei-Seite dann wirklich Unterstützung käme, um das Problem anzugehen, das ist auf breiter Front nicht zu sehen. Und da drängt sich uns natürlich der Schluss auf, dass die Molkereien letztlich daran kein Interesse haben; sie halten ja auch den Kopf nicht hin.
    Und zum Zweiten stellen wir auch fest, dass man immer wieder Bauern mit großen Betrieben in die führenden Gremien der Molkereien wählt, in der Annahme, das ist ein erfolgreicher Bauer, der wird auch die Molkerei erfolgreich leiten. Aber letztlich ändern diese Leute ja ihr Denken nicht, und ihr Denken ist viel und billig zu produzieren. Vollgas und immer mehr ist die Devise."
    Romuald Schaber, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter.
    Romuald Schaber, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter. (Imago / Belga)
    Export als neue Chance für die Milchbauern
    Henning Ehlers vom deutschen Raiffeisenverband hält diese Devise für alternativlos. Staatliche Regulierungen schafften im Milchmarkt eher Probleme, als dass sie welche lösten. Gestützt wird diese Einschätzung durch wissenschaftliche Studien, darunter eine des Thünen-Instituts, dem Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume.
    Da in Europa die Bevölkerung schrumpft und die Nachfrage nach Milcherzeugnissen eher zurückgeht, sieht Ehlers allein im Export neue Chancen für die Milchbauern. Schon heute wird rund die Hälfte aller deutschen Milcherzeugnisse auf dem Weltmarkt verkauft:
    "Um weiterhin zu wachsen und Wertschöpfung zu generieren ist es wichtig, dass wir uns auf internationalen Märkten engagieren. Das geht aber nur, wenn wir es mit offen Märkten, mit nicht gesteuerten Märkten zu tun haben."
    Milchproduktion und Autobau - gelten die gleichen Regeln?
    Um dabei das Preisrisiko besser abzufedern, empfiehlt der Verbandschef Molkereien und Landwirten, sich stärker auf Warenterminbörsen zu engagieren. Der Zeitschrift "Agrarheute" zufolge lassen sich jetzt Kontrakte für das ganze Jahr 2017 zu 35 Cent pro Kilogramm Milch absichern. Henning Ehlers vertraut auf die Kräfte des Marktes:
    "Der Betrieb, der seine Kosten im Griff hat, ist wettbewerbsfähig und der wird im Markt bleiben. Das ist eine Gesetzmäßigkeit im Markt. Das haben wir bei Tante Emma Läden, das haben wir in der Industrieproduktion…
    Sollen für Milch und Fleisch die gleichen Regeln gelten, wie für Autos und Computer? Immerhin geht es um Tiere. Und ihr Wohl ist gefährdet, wenn die Effizienz stetig steigen soll.
    Auch das deutsche Agrarministerium und die EU-Kommission setzen auf die Exportstrategie. Dabei wird Landwirtschaftsminister Christian Schmidt von der CSU nicht müde zu betonen, wie sehr ihm die Milcherzeuger am Herzen liegen:
    "Unsere Ziele sind der Erhalt vitaler ländlicher Räume. Die Landwirtschaft ist ein wichtiger Schlüssel dafür. Deshalb ist es unser gemeinsames Interesse, die Existenz unserer bäuerlichen Familien zu sichern. Die Bäuerinnen und Bauern können sich auf unsere Hilfe verlassen."
    Mehr Risikenausgleich zwischen Erzeugern, Molkereien und Handel
    Das Agrar-Ministerium legte millionenschwere Programme auf, darunter Liquiditätshilfe und eine Entlastung bei der Unfallversicherung. Die finanzielle Unterstützung kommt zum Teil aus EU-Mitteln.
    Außerdem äußerte Minister Christian Schmidt zuletzt vorsichtige Kritik an den Molkereien und dem Lebensmitteleinzelhandel, als er sagte: "Derzeit tragen die Milcherzeuger alleine das Preisänderungsrisiko in der Wertschöpfungskette." Er forderte die Marktbeteiligten zum Dialog auf:
    "Wir müssen bei den Marktrisiken zwischen Erzeugern, Molkereien, Lebensmitteleinzelhandel und Verbrauchern eine bessere Balance finden. Die notwendigen Strukturanpassungen kann aber nicht nur der Staat regeln. Hier sind die Marktbeteiligten in der Verantwortung."
    Wie genau diese Abstimmung aussehen soll, ließ er allerdings offen. Als der Agrarminister im vergangenen Jahr die Marktbeteiligten mehrfach zu Treffen nach Berlin rief, hat er die Mitglieder des Bundesverbands deutscher Milchviehhalter gar nicht erst eingeladen, schließlich gelten sie als Rebellen unter den Milchbauern. Umso mehr freut sich BDM-Mann Romuald Schaber, dass die EU-Kommission am Ende dennoch eine – sprichwörtlich - heilige Kuh geschlachtet hat und ein Programm zur Mengenreduktion auflegte.
    "Nach langem Hin und Her hat die Europäische Ebene dann doch diese Maßnahmen beschlossen, offensichtlich hatten sie keine besseren, und das macht uns schon ein bisschen Mut."
    Neue Monitoringstelle soll Milchpreis beobachten
    Die Bauern werden belohnt, wenn sie weniger melken: Für jeden Liter Milch, den ein Erzeuger im Vergleich zum Vorjahr weniger an die Molkerei liefert, bekommt er über ein EU-Programm drei Monate lang 14 Cent. Für deutsche Landwirte gibt es in diesem Jahr zusätzliche Unterstützung, wenn sie nachweisen, dass sie ihre Produktion nicht ausgeweitet haben:
    "Wir haben eine Beteiligung von 57.000 Betrieben in ganz Europa, in 27 von 28 Ländern, in Deutschland allein knapp 10.000 Betriebe. Es hat sich gezeigt, dass es auch administrativ vom ganzen Verwaltungsaufwand relativ einfach umzusetzen ist. Das macht uns doch Mut, dass wir das entsprechend unserer Forderung noch vervollständigen und verbessern, um dann in Zukunft handlungsfähig zu sein."
    Der BDM, der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, will jetzt durchsetzen, dass Krisen, wie die gerade erst überwundene, durch gezieltes und rechtzeitiges Eingreifen verhindert werden. Dafür hat die Kommission bereits eine Monitoringstelle in Brüssel eingerichtet, die den Milchpreis permanent beobachtet und Prognosen für die nahe Zukunft trifft. Solche Institutionen müssten mehr Handlungskompetenz bekommen, findet Schaber:
    "Da setzen wir auf drei Stufen. Die erste Stufe wäre eine so genannte Frühwarnung, wo man dann den Bauern sagt: Leute, passt auf, die ganzen Notierungen und die Preise geraten unter Druck, bitte nicht mehr produzieren, nicht jetzt gerade den Betrieb erweitern, nicht jetzt gerade jede Menge Tiere zukaufen, sondern behaltet das Produktionsniveau bei. Das ist natürlich eine sehr freiwillige Geschichte, aber wir müssen die Bauern wirklich für die Marktentwicklung viel besser sensibilisieren, als das in der Vergangenheit der Fall war."
    Aktivisten des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) demonstrieren am Brandenburger Tor für eine geringere Produktionsmenge für Milch.
    Aktivisten des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) demonstrieren am Brandenburger Tor für eine geringere Produktionsmenge für Milch. (dpa-Bildfunk / Maurizio Gambarini)
    Sollte dieser erste Schritt nicht fruchten, fordert der BDM ein staatliches Mengenreduktionsprogramm, ähnlich wie im vergangenen Jahr. Ob sich die Milchrebellen mit diesen Ideen durchsetzen, ist allerdings offen.
    Und für manche Milchbauern kommt die Preiswende am Milchmarkt ohnehin zu spät. Die finanzielle Not der Landwirte weckt Begehrlichkeiten, hat Romuald Schaber beobachtet. Denn gerade die großen Betriebe sind für Investoren interessant:
    "Man muss ja bedenken, dass dieser Investor den Betrieb relativ günstig kriegt, ich sage jetzt mal pauschal zum halben Wert. Die restliche Hälfte an Schuld bleibt beim Alteigentümer hängen. Und der darf dann sein Leben lang zwar auf seinem ehemaligen Betrieb arbeiten, ist aber nicht mehr Herr der Dinge und muss praktisch seine Schulden da abarbeiten. Und er hält auch die Klappe, damit er sich in seinem Umfeld nicht blamiert. Das wird ja oft überhaupt nicht bekannt, dass da jemand eingestiegen ist."
    Der BDM-Chef schätzt, dass es hier eine hohe Dunkelziffer gibt:
    "Die Bank gibt dem Bauer Kredite bis wirklich zum Anschlag, bis jegliche Sicherheit aufgebraucht ist. Und wenn es dann immer noch nicht geht, dann wird ein Investor besorgt, auch durch die Bank."
    Angst vor dem Verlust des Hofes wegen Überschuldung
    "Wo das begonnen hat, dass man halt die Schulden nicht mehr so bedienen konnte, dann ist halt mal ein Vertreter der Bank, der hat dann halt mal so in den Raum geworfen, er könnte ja mal einen Investor mitbringen."
    Berichtet der Milchbauer Georg Kochendorfer aus Schwäbisch-Hall. Die GbR, die er mitgegründet hatte, steht kurz vor der Insolvenz:
    "Wir haben das zu dem Zeitpunkt voll abgeblockt. Das konnten wir uns gar nicht vorstellen. Wenn die Bank dann halt sagt, jetzt gibt es kein Geld mehr, dann muss man sich schon in die Richtung wahrscheinlich was überlegen."
    Eine Milchkuh wird auf einem Hof in Leichlingen gemolken.
    Viele Bauern fürchten sich vor einem Verlust ihres Hofes. (AP)
    Den eigenen Hof zu verlieren, weil die Schulden ins Unermessliche steigen, diese Vision hängt wie ein Damoklesschwert über vielen Milchviehbetrieben in Deutschland. Unter Landwirten wird über das Thema nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen:
    "Das ist natürlich schon so, dass man sich da quasi schämt, wenn man das praktisch zugeben muss: ich habe schlecht gewirtschaftet, das geht jetzt nicht mehr, ich bin jetzt konkurs."
    Nach der Krise ist vor der Krise
    Das habe auch etwas mit dem Berufsethos zu tun, der den Hofnachfolgern auf den Landwirtschaftsschulen beigebracht wird. Als Kochendorfer selbst jung war, war das nicht anders:
    "Dass man halt motiviert aus der Schule gekommen ist, und gesagt hat zu seinem Vater: das geht ja gar nicht, wie du das da machst, mehr Kunstdünger, mehr Pflanzenschutz, mehr Leistung, mehr Schlepper, dann geht das alles viel besser. Und wenn er sich dann eingestehen muss: so, alle vor mir haben das jetzt geschafft, den Betrieb zu erhalten und ich bin jetzt derjenige, der jetzt bankrott ist, oder der jetzt verkaufen muss. Ha, da geht doch keiner an die Öffentlichkeit."
    Die Milchbauern kämpfen weiter ums wirtschaftliche Überleben. Auch wenn die Preise für einen Liter Milch derzeit wieder steigen, für viele Landwirte gilt: Nach der Krise ist vor der Krise.
    Auf der Grünen Woche, die am Freitag in Berlin beginnt, werden die Milchviehhalter einmal mehr diskutieren, wie viel staatliche Regulierung der Markt verträgt und ihnen helfen kann.