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Åland setzt auf Erneuerbare Energien
Das Ökostrom-Archipel

Auf Åland wird getestet, wie ein Energiesystem aussehen könnte, das ohne fossile Energieträger auskommt. Die autonome Region in Finnland wurde wegen seiner Größe und den Wetterverhältnissen für das Projekt ausgewählt. Und wegen des politischen Systems.

Von Wolfgang Landmesser | 14.04.2020
Windfarms set on deserted islands are photographed on July 29, 2017 near the Aland Islands, an autonomous archipelago belonging to Finland, half way between Finland and Sweden in the Baltic sea. OLIVIER MORIN / AFP
Modellversuch: In der Energieversorgung kann Åland weitgehend frei entscheiden (OLIVIER MORIN / AFP)
Ein kalter, klarer Morgen im Fischerhafen von Mariehamn. Ich bin unterwegs mit Berndt Schalin, Chef von Flexens. Die Mission der Firma: Die Energieversorgung von Åland vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen. "Smart Energy Åland" heißt das Projekt.
Am Kai wartet das silberne Motorboot des Windparkbetreibers Allwinds. Wir haben Glück, sagt Berndt zum Bootsführer, einem Namensvetter. Gestern war es bedeckt und regnerisch. Da war er schon mit einem Kollegen vom finnischen Fernsehen draußen.
Unser Ziel ist die Insel Båtskär – eine von insgesamt 6.000 im Archipel Åland; nur rund 60 davon sind bewohnt. Wir schippern vorbei an den grauen, flachen, bewaldeten Felseninseln. Überall leuchten kleine Holzhäuser, in Dunkelrot, Lindgrün oder Ockergelb; davor kleine Bootsanleger.
Als wir uns Båtskär nähern, ist Nebel aufgezogen; die Rotorblätter der Windturbinen sind nur schemenhaft zu erkennen. Aber bei der Einfahrt in den kleinen Hafen sind die Windräder ringsum wieder klar zu sehen. Aus sechs Turbinen besteht der Park, jeweils 65 Meter hoch. Seit 2007 ist er in Betrieb. Der bisher letzte auf Åland. Pläne für den weiteren Ausbau der Windkraft lagen lange in der Schublade. Weil in der Schwebe war, ob dafür Zuschüsse vom finnischen Staat fließen würden.
Mine mit neuer Funktion
Schalin: "Der Ausbau wurde gestoppt, man könnte sagen aus politischen Gründen. Jetzt fangen wir wieder an. Der neue Windpark hat eine Kapazität von 40 Megawatt und wird hoffentlich ab der zweiten Jahreshälfte 2021 in Betrieb sein."
Plus 40 Megawatt: Durch den neuen Windpark – finanziert vom selben Konsortium aus privaten Investoren und öffentlicher Hand – würde sich die Kapazität auf Åland verdreifachen.
Wir legen auf der Insel an. Auf einem Hügel steht der Förderturm der alten Eisenerz-Mine, im Schatten eines der Windräder.
Industrie und Klimaschutz - Noch viele Barrieren bei der Energiewende
Der Umstieg auf erneuerbare Energien wird an vielen Stellen gebremst. Dennoch kommt auf die Industrie, die viel bezahlbaren Strom braucht, ein massiver Umbau zu – erste Modelle dafür gibt es in Norddeutschland.
Die Mine soll jetzt eine ganz neue Funktion bekommen – als Pumpspeicherkraftwerk. Wir schauen in den Minenschacht: Nach der Stilllegung Ende der 1950er-Jahren ist er mit Wasser vollgelaufen. Von hier aus geht es 250 Meter in die Tiefe – und dann in einen eineinhalb Kilometer langen Förderschacht unter der Ostsee; sogar die zwei Lokomotiven stehen noch unten, mit den das Eisenerz transportiert wurde. Der Plan ist jetzt, den Schacht leer zu pumpen und eine Turbine zu installieren.
Schalin: "Die Zwei-Megawatt-Turbine produziert die Energie – mit dem Wasser, das in den Schacht strömt. Vier Stunden wird es jeweils dauern, bis er vollgelaufen ist. Das bedeutet, wir können mit einer Füllung acht Megawatt Strom herstellen."
Zum Vergleich: Acht Megawatt reichen, um 13 Minuten des jährlichen Stromverbrauchs auf Åland zu decken.
Der Zweck des Pumpspeicherkraftwerks ist es weniger, den Strom zu verkaufen, erklärt mir Berndt.
Schalin: "Gemessen am Gesamtverbrauch von Åland können wir damit nur wenige Stunden decken. Der Strom aus dem Kraftwerk soll eher als Reserve dienen, um das Netz zu stabilisieren."
Hintergrund: Windparks müssen die Strommenge anmelden, die sie in den nächsten Tagen voraussichtlich produzieren werden. Wenn weniger oder auch mehr Strom anfällt, müssen sie eine Strafe zahlen.
Mit dem Pumpspeicherkraftwerk kann der Windparkbetreiber Allwinds Strom bei viel Wind speichern – und wenn die Rotoren ruhen, die Batterie im Kraftwerk leeren.
Das Pumpspeicherkraftwerk auf Båtskär ist eines der Projekte von "Smart Energy Åland". Ins Leben gerufen wurde das Programm von Clic Innovation, einem finnischen Netzwerk aus Forschungsinstituten und Unternehmen des Energiesektors. Quasi im Labor untersucht Clic, wie ein Energiesystem funktionieren könnte, das ohne fossile Energieträger auskommt – also zu 100 Prozent erneuerbar ist. Was fehlte, war der Sprung in die Praxis.
Pia Saari ist Chefin des Energiebereichs von Clic: "Jetzt war es Zeit, konkrete Tests zu entwickeln. Dafür brauchten wir einen Ort, um ein Energiesystem demonstrieren können, das vollständig auf Erneuerbaren basiert."
Für den Praxistest wurden mehrere Standorte in Finnland untersucht, die Wahl fiel schließlich auf Åland. Nicht nur, weil hier die Windverhältnisse die besten sind, und die Sonne – für skandinavische Verhältnisse – relativ häufig scheint. "Mit seinen 30.000 Einwohnern ist Åland eine relativ kleine Gesellschaft, wo sich zeigen lässt, wie das System insgesamt funktioniert. Weil die Inseln Autonomiestatus haben, sind sie besonders geeignet als regulatorischer Sandkasten."
Vieles muss erst ausprobiert werden
"Regulatorischer Sandkasten" bedeutet: In kleinem Rahmen ausprobieren, wie sich das Stromnetz fit machen lässt für ein erneuerbares Energiesystem.
Das politische System in Åland spielt eine entscheidende Rolle für das Projekt. Die Inselgruppe gehörte über Jahrhunderte zu Schweden; nach dem Ersten Weltkrieg wurde sie dann finnische Provinz. Aber der Provinz Åland wurden weitgehende Kompetenzen eingeräumt. Das 30-köpfige Parlament in der Hauptstadt Mariehamn entscheidet in Fragen des Verkehrs, der inneren Sicherheit, der Wirtschaft. Sogar ein eigenes Radio- und Fernsehprogramm gibt es für die rund 30.000 Einwohner. Amtssprache ist nicht finnisch, sondern schwedisch, die Muttersprache der Einheimischen.
Auch in der Energieversorgung kann Åland weitgehend frei entscheiden: Genau hier lassen sich die großen Fragen über das nachhaltige Energiesystem der Zukunft klären, meint Pia Saari vom Forschungsnetzwerk Clic Innovation. Åland ist groß genug, andererseits halten sich die Kosten für den Umbau des Energiesystems in Grenzen.
Ganz Finnland umzustellen, wäre viel teurer. Aber auch das Åland-Projekt könnte nach Schätzungen der Forscher bis zu einer halben Milliarde Euro kosten. Denn vieles muss erst ausprobiert werden, und lässt sich nicht auf Anhieb wirtschaftlich betreiben.
The Aland Islands, Finland. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY BEW1D661E1A
Die Åland Inseln in Finnland (imago images / BE&W)
Termin beim Umweltminister von Åland. Alfons Röblom ist erst seit Dezember im Amt – ein junger Mann mit freundlichem Lächeln und Fünf-Tage-Bart, unter dem Jacket ein grau-grüner Rollkragenpullover.
Die grüne Partei in Åland wurde erst vor einem Jahr neu gegründet. Aber schon die Vorgängerregierung hat den Weg bereitet für die Energiewende der Inselrepublik. "In Åland haben wir schon viel getan in Richtung einer Gesellschaft, die nach erneuerbaren Prinzipien funktioniert. Auch meine Vorgängerin hat diesen Übergang gestaltet. Mit großer Freude habe ich den Staffelstab übernommen, um daran weiterzuarbeiten."
In der Vierparteienkoalition sind die Grünen mit zwei Abgeordneten Juniorpartner. Das Åland-Energie-Projekt verfolgt die neue Regierung weiter. Denn auch hier im Norden sind die Folgen des Klimawandels deutlich zu spüren. "Letztes Jahr hatten wir den seit langem heftigsten Sturm. Das hat riesige Schäden in den Wäldern und im Elektrizitätssystem angerichtet. Und diesen Winter hatten wir quasi keinen Schnee. Die Igel kommen aus ihren Winternestern, weil sie glauben, dass schon Frühling ist." Es sei typisch für die Menschen auf Åland, dass sie den Klimaveränderungen nicht tatenlos zuschauen – sondern handeln.
Zum Åland way of life gehöre es auch, eigene Energie zu produzieren. Selbstversorger zu sein – das ist Ziel für die Inselgruppe als Ganzes, aber auch für jeden einzelnen, erzählt Alfons Röblom. "Wenn die Leute kleine Solarpanels auf ihren Häusern installieren, passiert etwas mit ihnen. Ich kenne das auch von meinem Vater: Mein Gott, schau Dir das an, hat er zu mir gesagt, ich habe jetzt meine eigene Energie."
Nach dem Gespräch mit dem Minister leihe ich mir im Hotel ein Fahrrad. Etwa zehn Kilometer sind es von Mariehamn bis Knutsboda. Dort stehen vier der ersten Windräder, gebaut Ende der 1990er-Jahre.
Windturbinen haben auf Åland Namen: Frans, Frederika, Freja und Fortuna ragen aus dem Wald hervor. Rings um den Hügel stehen vereinzelte Häuser. Aus ihren Fenstern haben die Bewohner die Windräder immer im Blick. An einer Abzweigung steht eine Reihe von Briefkästen, ich biege ein und fahre weiter, bis die Straße an einem kleinen Hof endet.
Zahlreiche kleine Produzenten
Ich treffe Mikael und Friderika Husell. 2004 sind sie hierhin gezogen; das Haus haben sie von Mikaels Mutter gekauft. Sie mochte die Windräder nicht. Weil sie gut für die Umwelt sind, ist er ein Fan des Windparks vor seiner Haustür. Ob sie die Geräusche der Turbinen nicht störten, frage ich.
Mikael: "Are you not disturbed by the sound?" – "No."
Mikael hat schon darüber nachgedacht, sich ein eigenes kleines Windrad auf den Hof zu stellen. In Schweden sei das möglich, in Finnland gebe es für den privaten Gebrauch Höhenbegrenzungen.
Stattdessen will er jetzt ein Solarpanel installieren. Wenn er dann von seinem Strom anderen etwas abgeben könnte: umso besser. Die vielen kleinen Produzenten von Solarstrom auf Åland auch zu Verkäufern zu machen, ist auch ein Ziel des Smart-Energy-Projekts. Eine wichtige Regulierungsfrage, sagt Pia Saari vom Forschungsnetzwerk Clic. "Können die Leute ihren Strom mit den Nachbarn teilen? Zu welchen Bedingungen? Und welchen Anreiz bekommen sie dafür? Es ist wichtig, diesen Strommarkt erst zu ermöglichen."
Über einer Photovoltaikanlage in Taizhou, China, schwebt eine Drohne. Mit ihr werden die Panele kontrolliert. 
Interkontinentale Stromleitungen - Neue Wege für die globale Energiewende
Bisher ist es nur eine Vision: Europa könnte morgens Solarstrom aus Fernost, mittags aus Afrika und abends aus Amerika beziehen. Voraussetzung wäre ein globales Energienetz. Doch Europa zeigt sich bisher verhalten.
Dazu braucht es ein Vergütungssystem für die selbst produzierte Energie und ein intelligentes Stromnetz. Dann könnten private Haushalte auch als kleine Ökostromspeicher dienen.
Das ist Kern des Projekts: Speicherkapazitäten zu schaffen, damit die in Spitzenzeiten produzierte Energie aus Windparks und Solaranlagen nicht verpufft. Und dann zur Verfügung steht, wenn absolute Flaute herrscht. Berndt Schalin von der Projektgesellschaft Flexens: "In unserem Worst-Case-Szenario rechnen wir mit sechs Tagen hintereinander ohne Wind und Sonne. Das heißt, wir brauchen ein Backup – entweder aus fossilen Energieträgern oder aus Biomasse."
Erster Schritt: Das Stromnetz auf Åland so aufzurüsten, dass es auch kleinste Strommengen steuern kann; "demand response" heißt der Fachbegriff dafür.
Zweiter Schritt: Speichermedien zu finden, die nicht teuer sind. Das Pumpspeicherkraftwerk auf Båtskär ist ein Beispiel dafür. Auch ins Heizkraftwerk in Mariehamn könnte die überschüssige Energie fließen.
Schalin: "Das Kraftwerk läuft aktuell mit Holzpellets und leichtem Heizöl. Das Heizöl ließe sich ersetzen, die Produktion wäre dann zu 100 Prozent erneuerbar.
Umstellung der Fähren wäre Riesensprung
Die Akkus von Elektroautos könnten ebenfalls ein Speichermedium sein – wenn die Flotte erst mal größer ist. Auf 30.000 Ålander kommen ungefähr genauso viele Autos; nur wenige davon sind bisher E-Mobile.
Viel größeres Potential bietet eine ganz neue Technologie: Power to X. Die Projektgesellschaft Flexens plant, den überschüssigen Ökostrom in Wasserstoff umzuwandeln und in einem zweiten Schritt in synthetische Kraftstoffe, erzählt Berndt auf dem Weg nach Båtskär. "Unser Ziel ist es, die Fähren zwischen den Inseln des Archipels auf Wasserstoffbasis zu betreiben. Dieses Boot wäre ideal für einen solchen Antrieb. Aber wie Sie sehen, fahren wir mit Diesel."
Aber auch die großen Fähren ließen sich in Zukunft mit synthetischen Kraftstoffen betreiben. Die Fähren umzustellen, wäre ein Riesensprung für die CO2-Bilanz der Inseln. Denn auf Inseln ist die Schifffahrt oft der größte Verursacher von CO2.
Blick aus der Luft über die Kathedrale auf Fähren an der Schiffsanlegestelle der Viking Line in Katajanokka im Zentrum von Helsinki.
Finnland: Fähranleger in Helsinki (picture alliance / dpa / Lehtikuva Wennström)
Im Parlament von Åland gibt es eine breite Mehrheit für das Projekt, die Energieversorgung zu 100 Prozent auf Erneuerbare umzustellen. Nur einer ist dagegen. Oder will es zumindest anders machen.
Ich bin mit Stephan Toivonen zum Skype-Interview verabredet, einziger Abgeordneter der rechtskonservativen Partei "Åländsk Demokrati", Åländische Demokraten. Die Sitzungspausen des Parlaments verbringt er in seinem Apartment in Portugal.
An der Wand im Hintergrund hat der ältere Herr die Flagge von Åland aufgehängt – gelb-rotes Kreuz auf blauem Grund.
Stephan Toivonen argumentiert mit ökonomischen Argumenten: die Förderung der Windenergie sei zu teuer; mit einem zweistelligen Millionenbetrag wolle die Regierung das Windpark-Konsortium unterstützen. Und das obwohl Åland beim Klimaschutz voll im Plan liege.
Toivonen: "Vorgabe der EU war ein 20-Prozent-Anteil bei erneuerbarer Energie. Das haben wir schon 2015 erreicht. Deswegen: Warum 17 Millionen Euro Steuergelder für einen neuen Windpark ausgeben?"
Er und seine Partei glauben nicht, dass der Klimawandel durch CO2 verursacht wird. Andererseits: Im Prinzip habe er nichts dagegen, die CO2-Emissionen zu senken. Schon deshalb, um nicht mehr so abhängig von den arabischen Ölproduzenten zu sein.
Ziel: Energieversorgung nachhaltig und neu denken
Besonders aufgeschlossen gegenüber der Kritik von rechts ist Alfons Röblom aber nicht. Den Vorwurf, für den neuen Windpark würden Steuergelder verschwendet, weist der Grüne zurück.
Die Zuschüsse – maximal 17 Millionen Euro – fließen nur dann, wenn der Strompreis bei besonders starkem Wind unter eine bestimmte Grenze fällt. Als eine Art Sicherheitsnetz, damit sich der Betrieb lohne. "Diese Summe werden wir niemals vollständig brauchen, nur in der Theorie. Es lässt sich immer etwas finden, um diesen Prozess zu kritisieren. Gerade, wenn die Kritik von einem Abgeordneten kommt, der skeptisch ist, ob wir überhaupt ein Problem mit dem Klimawandel haben."
Auch in der Bevölkerung findet die Position der Åländischen Demokraten offenbar wenig Anklang.
Bärkraft – zu Deutsch etwa "Schwung" oder "Antrieb" – heißt das Netzwerk für alle Bürgerinnen und Bürger, die Åland nachhaltiger machen wollen. Karin Rosenberg-Brunilla ist die Koordinatorin des Netzwerks. Speziell im Bereich Energie gebe es auf Åland jede Menge Expertise. In Energiefragen sei Åland weltweit vernetzt. Auf der Insel selbst schätzt die junge Frau die kurzen Wege zu den politisch Verantwortlichen. "Ich glaube, als Regierungsmitglied musst Du wirklich ehrlich sein. Wenn Du beim Einkaufen in der Schlange stehst, kann es sein, dass die Leute Dir Fragen stellen. Die kurzen Kommunikationswege hier sind ein großes Plus."
Bleibt die Frage: Warum hunderte Millionen investieren, um ausgerechnet die Energieversorgung auf Åland zu 100 Prozent erneuerbar zu machen? Schließlich ist das Archipel von außen gut mit Strom versorgt – über ein Kabel aus Schweden. Vor ein paar Jahren ist eine Leitung aus Finnland dazu gekommen. Vor allem als Backup, falls die Verbindung nach Schweden unterbrochen wird – etwa durch einen Kabelbruch.
Entwicklungsländer könnten vom Modell Åland profitieren
Dennoch: Das Geld könnte kaum besser investiert sein als in das Åland-Projekt, meint Pia Saari, Energiechefin des Forschungsnetzwerks Clic. Die Lösungen für den Testfall Åland ließen sich auf andere Inseln oder Regionen übertragen – ob in Europa, China oder den Vereinigten Staaten. "Das schafft Exportmöglichkeiten. Flexens arbeitet an einem vollständigen Konzept. Dieses Know how können wir dann auf andere Umgebungen anpassen." Quasi als schlüsselfertiges nachhaltiges Energiesystem. Interessant sein könnte das auch für Inseln, die nicht an das nationale Stromnetz angeschlossen sind.
Ebenso könnten Entwicklungsländer vom Modell Åland profitieren, meint Flexens-Chef Bernd Schalin. "Nehmen wir ein Dorf in einem afrikanischen Land, das noch nicht elektrifiziert ist. Dort würde es ökonomisch Sinn machen, die Versorgung zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien sicher zu stellen. Denn alternativ müssten ja teure Leitungen gelegt werden."
Die Idee vom Test-Modell Åland leuchtet vielen Menschen hier ein.
"Indigo" heißt die Kneipe im Zentrum von Mariehamn – der Treffpunkt am Wochenende. Tobias Appergren ist in großer Runde hier, mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Supermarkt der Inselhauptstadt. Er betreut dort den Internetshop, arbeitet aber auch als Koch und Barrista. Der junge Finne mit dem blonden Wikingerzopf verfolgt das Projekt mit Interesse. "Wenn sie nachweisen können, dass es in einer kleinen Gesellschaft funktioniert, dann funktioniert es auch in größeren Gesellschaften. Wenn die grundsätzliche Arbeit erledigt ist, lässt es sich woanders anwenden."
Vor zweieinhalb Jahren ist Tobias nach Åland gekommen; weitere zweieinhalb Jahre, dann bekommt er das sogenannte Heimrecht – und kann hier wählen, Land kaufen oder eine Firma gründen. Bleiben will er auf jeden Fall. Er liebt die Insel, weil sie besonders ist, aber auch international. "Normalerweise ist es schwierig, auf einer Insel Kontakte aufzubauen. Aber Åland ist ein bisschen anders."
Anders und bereit, die Energieversorgung nachhaltig und neu zu denken. Auch, wenn es noch ein weiter Weg ist.