Dienstag, 19. März 2024

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Alina Bronsky: "Barbara stirbt nicht"
Die Menschwerdung eines Mannes

Nachdem er seine Frau, offenbar halbseitig gelähmt, im Badezimmer findet, entwickelt ein Durchschnittsrentner ungeahnte Fähigkeiten in Sachen Haushaltsführung und Empathie. Alina Bronskys „Barbara stirbt nicht“ ist ein kompromisslos auf Rührung zielender Unterhaltungsroman.

Von Günter Kaindlstorfer | 23.09.2021
Die Schriftstellerin Alina Bronsky und ihr neuer Roman „Barbara stirbt nicht“
Gute-Laune-Literatur mit humanistischem Anspruch - Alina Bronskys neuer Roman „Barbara stirbt nicht“ (Foto: Lilith Sandratski, Buchover: Kiepenheuer & Witsch Verlag)
Mein Gott, Walter: Alina Bronsky hat den pensionierten Elektrofachverkäufer Walter Schmidt, ihren Protagonisten, mit allen Attributen des deutschen Ruhestandsspießers ausgestattet. Herr Schmidt, seit 52 Jahren mit Gattin Barbara verheiratet, ist ein etwas zwanghafter, Filzpantoffel tragender Durchschnittslangweiler. Ganz nett, aber auch ein bisschen verschroben – und nach den Maßstäben politischer Korrektheit auch ein durchaus problematischer Charakter, ist er doch seiner Gattin bei der Hausarbeit ein Leben lang nicht ein einziges Mal zur Hand gegangen. Infolgedessen ist Herr Schmidt auch mit Ende siebzig weder in der Lage, eine Tütensuppe zuzubereiten, noch vermag er Kaffee zu kochen oder einen Staubsauger zu bedienen. Da trifft es den Rentner natürlich hart, dass er seine Frau eines Morgens, offenbar halbseitig gelähmt, auf dem Badezimmerfußboden findet:
",Walter‘, sagte sie. ,Gib mir mal die Hand.‘ Herr Schmidt beugte sich über seine Frau und versuchte, sie hochzuziehen. Barbara stöhnte und wehrte ihn ab... Sie drehte sich auf die Seite, stützte sich mit den Händen ab und kämpfte verzweifelt gegen die Schwerkraft. Herr Schmidt griff ihr unter die Achseln und zog sie hoch. Er warf ihren Arm um seinen Hals, brachte sie Schritt für Schritt zurück ins Bett und hob ihre überraschend schweren Beine auf die Matratze...
,Der Kaffee‘, flüsterte Barbara.
,Schon gut‘, sagte Herr Schmidt. ,Ich brauch grad keinen.‘
,Aber ich‘, sagte Barbara."

Coffee-to-go und Fleischklößchensuppe

Statt den Notarzt zu rufen, begibt sich Alina Bronskys Protagonist zunächst einmal in die Küche, um sich mit der ihm völlig unbekannten Kaffeemaschine auseinanderzusetzen. Nach seinem vorhersehbaren Scheitern macht er sich auf den Weg zum Bäcker, um einen Coffee-to-go für seine Frau zu besorgen. Ist das glaubwürdig, was sich Alina Bronsky da ausgedacht hat? Eigentlich nicht. Jeder vernünftige Mensch würde an Schmidts Stelle unverzüglich einen Krankenwagen rufen. Die Autorin mag ihre Gründe gehabt haben, ihren Helden so handeln zu lassen, dem Leser, der Leserin erschließen sie sich nicht so ganz. Später darf der hilflose Helfer Schmidt auch noch eine Fertigsuppe für den Abend zubereiten:
"Herr Schmidt ließ heißes Wasser ins Spülbecken laufen und versenkte den Behälter mit der eingefrorenen Fleischklößchensuppe darin. Helmut, der Hund, setzte sich vor seinen Napf und schaute Herrn Schmidt an. Herr Schmidt schaute zurück. Helmut winselte und bedeckte die Schnauze mit den Pfoten."

Das Wetter, der Garten, pünktliches Essen

Putzige Szenen wie diese, man merkt es schon auf den ersten Seiten, sind ohne Kompromiss auf Rührung hin geschrieben. Worunter genau Frau Schmidt eigentlich leidet, lässt die Autorin ungeklärt. Bronskys Interesse scheint in erster Linie der Transformation des Kleinbürgermachos Walter Schmidt zu gelten. In seiner Eigenschaft als pflegender Angehöriger wandelt er sich mehr und mehr zu einem in Maßen empathiefähigen Menschen.

"Es war nicht zu fassen, wie viel Barbara neuerdings schlafen konnte... Seit Herr Schmidt in Rente war, war Barbara sein Taktgeber. Natürlich war sie niemals so präzise wie eine richtige Uhr. Herr Schmidt hatte die Zeit immer genau im Blick: halb sechs Aufwachen, vor sieben den ersten Kaffee, um zehn der erste Spaziergang mit Helmut. Doch erst Barbara füllte die Tage mit Geräuschen und Bewegung, mit Tellern und Tassen, mit der Frage, ob er zum Einkaufen mitkomme, sie wolle nicht schwer tragen. Er murrte, kam aber natürlich mit. Sie aßen pünktlich um halb eins zu Mittag und besprachen das Wetter, den Garten und die Auswirkungen des Wetters auf den Garten... Nun war alles anders. Er musste sich permanent einen Ruck geben. Der Blick auf die Uhr brachte ihn nicht weiter, solang Barbara im Schlafzimmer lag. Er musste jetzt Barbara sein, für sich selbst und für Barbara."

Nervenzerfetzend wie die Lindenstraße

Alina Bronskys charmanter Unterhaltungsroman wird sein Publikum finden, gerade, weil er seinen Leserinnen und Lesern so unglaublich wenig abverlangt. Gute-Laune-Literatur mit humanistischem Anspruch. Wobei es durchaus ein gewisses Vergnügen bereitet, Herrn Schmidt bei seiner allmählichen Menschwerdung zuzusehen.
Gegen Ende des Romans hin tun sich dann doch noch, na, sagen wir, Abgründe auf. Aber auch die werden von Bronsky auf bittersüße Weise zugekleistert. Das alles ist von vollendeter Harmlosigkeit, nett, professionell gemacht und nervenzerfetzend wie die 978. Folge der Lindenstraße. Aber warum auch nicht? Die Konsumption ernstzunehmender Literatur ist eine anstrengende Sache – und warum muss eigentlich alles immer so schrecklich anstrengend sein?
Alina Bronsky: "Barbara stirbt nicht"
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 256 Seiten, 22 Euro.