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Alltag in Damaskus
Leben und überleben im Krieg

Seit fünf Jahren tobt der Krieg in Syrien. Weite Teile des Landes sind unter der Kontrolle der radikalislamischen Miliz IS oder anderer Rebellengruppen. In Damaskus aber hält sich Präsident Baschar al-Assad und inmitten des Kriegs gibt es eine scheinbare Normalität. Bis die nächste Rakete einschlägt.

Von Martin Durm | 07.10.2015
    Porträts des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad an einem Gebäude in Damaskus
    Porträts des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad an einem Gebäude in Damaskus (dpa / picture alliance / Youssef Badawi)
    Mit allem hatten wir in Damaskus gerechnet, mit Krieg, Angst, Granaten - aber nicht damit, unter den Arkaden der Altstadt einen richtig romantischen Abend zu verbringen. Jeder Tisch im Restaurant ist besetzt. Die Kellner bringen Lammfleisch und Arak und nun kommt auch noch der Lautenspieler richtig in Fahrt: "20 Jahre habe ich nichts von Dir gehört", klagt er. "Warum willst Du mich mit einem Mal sehen?"
    Wir sind in Bab Tuma, dem Christenviertel der Altstadt. Die nächste Frontlinie liegt eineinhalb Kilometer östlich von hier im Stadtteil Jawbar. Dort, heißt es, haben sich eher gemäßigte Rebellenmilizen verschanzt. Drei Kilometer weiter südlich, hinter dem ausgebombten palästinensische Flüchtlingslager Yarmouk steht angeblich der IS. Zweimal war draußen der Abschuss einer Granate zu hören. Aber das hat hier keinen weiter gestört.
    Ein junger Mann springt vom Tisch und baut sich vor uns auf: "Das ist unser Land. Ich bin Christ, der neben mir ist Muslim, der andre Kurde. Wir lassen uns nicht auseinanderreißen. Das ist doch alles ein politisches Problem."
    Damaskus im fünften Kriegsjahr. Noch gibt es Nischen, in die man sich zurückziehen kann, kleine Räume mitten im Krieg, wo man sich mit Arak und Illusionen volllaufen lässt. Am nächsten Morgen folgt das Erwachen im syrischem Albtraum: Eine Viertel Million Syrer sind tot, vier Millionen ins Ausland geflohen. Die Regierungsarmee hat so hohe Verluste hinnehmen müssen, dass sie ohne die vom Iran gesteuerte Hisbollah und ohne Putin kaum noch kampffähig wäre. Während russische Flugzeuge nun auch IS-Positionen in Palmyra und Raqqa beschießen, kämpft die vom Iran abhängige Hisbollah für Assad am Boden. Syrien ist der Inbegriff von Gewalt. Aber manchmal hat es den Anschein, als weigere man sich in Damaskus, den Zustand des Landes zur Kenntnis zu nehmen.
    Der Rumpfstaat funktioniert noch
    Vor einigen Tagen zum Beispiel. Der Großmufti Syriens, Ahmed Hassoun, hält vor geladenen Gästen eine Ansprache an die syrische Jugend. Er sagt: "Eure größte Zierde ist euer Führer. Baschar hat sein Leben Gott und dem Land gewidmet. Manch arabischer Führer ist nach fünf Tagen Aufstand geflüchtet. Wir haben seit fünf Jahren Krieg und Baschar ist immer noch bei uns."
    Zumindest für die Gäste ist das Trost: "Das Leben geht weiter, sagt die Parlamentsabgeordnete Maria Saade. Wir leben und überleben. Wir kapitulieren nicht vor den Terroristen. Wir sind eine widerstandsfähige Gesellschaft."
    Ist das tatsächlich Widerstandskraft, die es den Damaszenern ermöglicht, im Krieg so etwas wie einen geregelten Alltag zu organisieren? Die Behörden von Assads Rumpfstaat funktionieren, die Schulen und Universitäten sind offen, die Märkte und Straßenkaffees voller Menschen.
    Manchmal aber schauen sie angespannt hoch in den Himmel, weil da oben plötzlich etwas geschieht, das sie nicht beeinflussen können: "Nichts ist hier normal, alles ist bizarr, vorgetäuscht, sagt ein Syrer, der anonym bleiben muss. Innen drin kocht es bei den Leuten. Die Spannung ist enorm."
    "Überall ist Militär, Geheimdienst, Straßensperren"
    Die meisten Damaszener wissen, wie es um Syrien steht, dass die staatliche Propaganda nichts zu tun hat mit der militärischen Lage. Der IS kontrolliert weite Teile im Norden und Osten des Landes und hat seinen eigentlichen Rückzugsraum im Irak. Er wird sich von russischen Luftangriffen genauso wenig wie von amerikanischen auslöschen lassen. Mag sein, dass die massive russische Intervention dem bedrängten Regime nun Entlastung verschafft. Den Krieg beendet sie nicht. Sie heizt ihn an: "Keiner weiß, was passiert. Du läufst auf der Straße rum und kannst jederzeit von einer Granate getroffen werden. Wenn Du nach Hause kommst, sagst du: Gott sei Dank, ich bin in Sicherheit. Überall ist Militär, Geheimdienst, Straßensperren… Vielleicht tun einige Leute so, als seien sie unbesorgt. Aber sie haben Angst, große Angst."
    Wir haben sie dann noch am eigenen Leib zu spüren bekommen, die Angst. Sie überfiel uns urplötzlich. Von einem Moment auf den anderen: Es war eine Katjuscha, die am Nachmittag unser Hotel traf. Die Rakete schlug zwei Stockwerke unter uns in einen Treppenschacht ein. Niemand wurde verletzt. Aber 15 Minuten später stand Syriens Tourismusminister Baschir Yazji in unserem Zimmer und meinte, er sei gekommen, um uns zu beruhigen: "Gut Sie zu sehen. sowas passiert hier nun mal, Das ist nicht das erste und wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Das ist ganz normal."