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"Als internationale Gemeinschaft auch noch stärker positionieren"

Angeblich hat Diktator Muammar al-Gaddafi einen Friedensplan des venezuelanischen Präsidenten Hugo Chávez akzeptiert. "Wir brauchen natürlich auch Akteure, die an Gaddafi überhaupt herankommen", sagt Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er fordert ein stärkeres Engagement der internationalen Gemeinschaft.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Christoph Heinemann | 04.03.2011
    Christoph Heinemann: Das Folgende muss man vielleicht mit Vorsicht genießen: Aus Venezuela stammt die Meldung, Libyen, das heißt Diktator Gaddafi, habe den Friedensplan von Präsident Hugo Chávez akzeptiert. Der Plan sehe eine internationale Kommission vor, die sich um eine Verhandlungslösung bemühen solle. Was von dieser jüngsten Volte zu halten ist, das möchten wir Rolf Mützenich fragen, den außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Mützenich, wie deuten Sie diese Meldung aus Venezuela?

    Mützenich: Das ist natürlich wahrscheinlich noch zu früh gesagt, auf der anderen Seite habe ich schon den Eindruck, dass wir internationale Vermittlung brauchen. Und wir brauchen natürlich auch Akteure, die an Gaddafi überhaupt herankommen. Das scheint Chávez zu sein, es sind möglicherweise auch noch andere Regierungschefs oder auch Staatschefs im arabischen Raum. Aber Voraussetzung dafür ist natürlich, dass Gaddafi auf alle Angriffe verzichtet. Und das sind natürlich die Punkte, die jetzt noch mal besprochen werden müssen. Und auf der anderen Seite bin ich mir unsicher, ob die Rebellen zum Beispiel hier diese Vermittlungsrolle anerkennen würden. Auf der anderen Seite, wir brauchen Gespräche.

    Heinemann: Kommission klingt ja besser als Invasion oder Intervention. Könnten Sie sich denn überhaupt eine Lösung vorstellen, bei der Gaddafi oder seine Familie noch eine politische Rolle spielen?

    Mützenich: Also, ich nicht, ich kann mir das nicht vorstellen. Er hat sich an seinem Volk schuldig gemacht, er hat Waffen gegen sie eingesetzt, er hat mit Mord gedroht. Alles das sind natürlich Dinge, die einen überhaupt nicht mehr legitimiert. Ich glaube, auf der anderen Seite müssen wir eben schauen, welche anderen Gruppen innerhalb dieses Regimes noch tätig sind. Und ich glaube, wir sollten uns als internationale Gemeinschaft auch noch stärker positionieren. Das muss innerhalb des Sicherheitsrates erfolgen. Ich finde es gut, dass zum Beispiel die Arabische Liga die Mitgliedschaft Libyens suspendiert hat. Hier sind Möglichkeiten, auf internationaler Ebene noch stärker zusammenzuarbeiten.

    Heinemann: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Sie trauen ihm nicht zu, dass er sich geschlagen gibt, aber hoffen darauf, dass er vielleicht von noch Getreuen Richtung Ausgang geschoben wird?

    Mützenich: Das wäre zumindest eine Möglichkeit, eine Hoffnung. Wichtig ist natürlich, dass sofort die Gewalt eingestellt wird. Ich fände es gut, wenn unter Vermittlungsbemühungen eine Art Waffenstillstand überhaupt erst mal herbeigeführt wird. Ich bin aber zum jetzigen Zeitpunkt sehr skeptisch, weil ich auch überhaupt nicht weiß, ob er die Realität um sich herum noch genau einzuschätzen weiß.

    Heinemann: Herr Mützenich, wie sollte denn die internationale Gemeinschaft reagieren, wenn dem Widerstand gegen Gaddafi die Luft ausgeht, entweder militärisch oder eben von der Motivation her, wenn der Widerstand implodiert quasi?

    Mützenich: Also wir müssen auf jeden Fall als internationale Gemeinschaft agieren, das scheint mir doch sehr wichtig zu sein. Das sind auch die Schlussfolgerungen aus den letzten Jahren. Und es gibt hier auch Chancen. Ich glaube, dass zum Beispiel die Umwälzungsprozesse im Nahen und Mittleren Osten auch die Regierungen jetzt, die doch noch an der Macht sind, auch haben klug handeln lassen. Ich habe eben auf die Arabische Liga angesprochen. Die heutigen Evakuierungsmaßnahmen auch mithilfe deutscher Marineeinheiten sind wichtig auch zum Beispiel unsere Möglichkeiten zu zeigen. Ich würde auch als internationale Gemeinschaft überlegen, ob man denjenigen, die überlaufen, desertieren von Gaddafi aus, eben auch möglicherweise Asylaufenthalt anbieten könnte. Alles das sind Maßnahmen, die unterhalb einer militärischen Schwelle möglich sind, das Einfrieren… Reiseverbote sind ja auch schon beschlossen worden.

    Heinemann: Das sind begleitende Maßnahmen. Konkret: Wie sollten wir uns verhalten, wenn sich Gaddafi militärisch durchsetzen sollte mehr und mehr?

    Mützenich: Auf jeden Fall müssen wir ihn dann isolieren, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir müssen auch auf seine wirtschaftlichen Möglichkeiten dann Einfluss nehmen. Wir müssen auch eben überlegen, wie man weiterhin diese Isolation steigern kann, das sind glaube ich Dinge, die sowohl von der Europäischen Union, aber auch von den Vereinten Nationen dann diskutiert und auch beschlossen werden müssen.

    Heinemann: Was spricht dagegen, jetzt zügig Flüge über Libyen zu verbieten, damit Gaddafi seine Landsleute nicht weiter bombardieren kann? Al-Arabiya meldet gerade eben, dass Brega wieder unter Beschuss genommen wurde.

    Mützenich: Das ist richtig und das sind ja auch die schrecklichen Dinge, auf die ich eben hingewiesen habe. Aber wir haben auf der anderen Seite auch keine Handhabe, wir brauchen einen Beschluss des Sicherheitsrates. Wir können dies nicht alleine tun. Ich glaube, das wäre genau die falsche Konsequenz, das würde auch glaube ich Gaddafi in die Hände spielen zum jetzigen Zeitpunkt. So hilflos ich mich dann auch persönlich in dieser Situation natürlich sehe. Aber ich glaube, es wäre klüger, zu versuchen, eben innerhalb der internationalen Gemeinschaft gemeinsame Handlungen dann zu erreichen, und das werden die nächsten Tage auch zeigen, ob möglicherweise zum Beispiel die Türkei hier Möglichkeiten hat, auch noch mal stärker auf Gaddafi einzuwirken oder eben auch andere arabische Regierungen.

    Heinemann: Das sind alles Ersatzhandlungen. – Wir schauen zu, wie die Leute massakriert werden?

    Mützenich: Das ist das Schlimme. Und da habe ich ja eben gesagt, das ist genau der Punkt, der mir auch natürlich überhaupt nicht behagt. Aber auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch die Konsequenzen bedenken, wenn es zu einer möglicherweise militärischen Intervention kommen würde, welche Reaktionen sowohl in der arabischen Welt passieren, ob wir möglicherweise auch die Aufstandsbewegung, die es in Tunesien und Ägypten gegeben hat, diskreditieren, das ist alles ein Pulverfass, das dürfen wir doch nicht unterschätzen an dieser Stelle!

    Heinemann: Andererseits ist Angst ein schlechter Ratgeber.

    Mützenich: Natürlich ist Angst ein schlechter Ratgeber, deswegen habe ich ja eben versucht auf Rationalität, auch auf Völkerrecht, auf internationale Institutionen Bezug zu nehmen. Aber der Punkt ist natürlich einfach, natürlich zeigt man in solchen Situationen manchmal Hilflosigkeit, das hat in den letzten Jahren auch bei anderen Ländern gegolten. Deswegen glaube ich müssen wir die Möglichkeiten, die wir zum jetzigen Zeitpunkt haben – Sie haben auch auf die Vermittlungsinitiative hingewiesen, Sie haben auf Gespräche hingewiesen –, und ich glaube eben auch diese humanitären Maßnahmen zurzeit in den Vordergrund bringen.

    Heinemann: Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Mützenich: Danke, Herr Heinemann, auf Wiederhören!