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Altersarmut
Wenn die Rente nicht reicht

Mehr als eine Million Senioren in Deutschland sind in Minijobs beschäftigt. Sie verteilen Werbeprospekte, kümmern sich um Kranke oder geben Nachhilfe. Vielen tun das freiwillig. Etwa jeder Dritte muss allerdings arbeiten, weil die Rente nicht reicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Von Theresa Krinninger | 05.12.2017
    Rentner auf Parkbank im Volksgarten. Köln
    Viele Senioren sind noch fit und wollen gerne noch beruflich aktiv sein - andere müssen arbeiten, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen (imago stock&people)
    Hans Werner Löckmann steht vor der Tafel in einem kleinen Unterrichtsraum des Studienkreises in Köln. Vor ihm sitzen vier Jungen und Mädchen im Alter zwischen 13 und 14 Jahren. Zwei Mal die Woche gibt Löckmann hier nachmittags Mathe-Nachhilfe, weil er sich etwas dazuverdienen muss.
    "Ich muss mir immer wieder klar machen, dass ich tatsächlich arm bin. Ich bin arm, aber man muss damit umgehen und ich habe früher doch sehr gut gelebt und von heute aus gesehen luxuriös gelebt. Die Frage ist dann, ob man dem entsprechend nachtrauert."
    Diskontinuierliche Erwerbsverläufe, sinkendes Rentenniveau
    Löckmann ist 77 Jahre alt. der gelernte Maschinenbauer hatte früher sein eigenes international erfolgreiches Ingenieurbüro. Doch die Firma ging pleite, Löckmann verlor all seine Rücklagen.
    Bis er 69 Jahre alt war, arbeitete er für eine andere Firma und zahlte insgesamt elf Jahre in die gesetzliche Rentenkasse ein. Das reicht ihm heute nicht für eine anständige Rente. Ihm bleibt die Grundsicherung.
    Löckmann steht damit beispielhaft für viele andere, erklärt Martin Brussig, Soziologe am Institut für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen. "Altersarmut wird zunehmen, dass ist eine der wenigen Dinge, die man sicher sagen kann. Die Erwerbsverläufe sind diskontinuierlicher geworden. Niedriglohnbezahlung hat sich ausgebreitet, das Rentenniveau wird rückläufig sein. All das sind starke Gründe, warum mehr Menschen in Zukunft von Altersarmut betroffen sein werden als bislang, als es heute der Fall ist."
    Zahl der Personen mit Grundsicherung hat sich verdoppelt
    Die Zahl der Personen, die in Deutschland Grundsicherung bekommt, hat sich seit 2003 verdoppelt. Im Juni 2017 waren es etwa 535.500 Menschen. Die Grundsicherung im Alter und ist eine soziale Leistung, die der Staat aus Steuermitteln finanziert. Anspruch darauf haben Menschen, die das Renteneintrittsalter erreicht haben, in Deutschland wohnen und ein so geringes Einkommen oder Vermögen haben, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht selbst finanzieren können. Wer von der Grundsicherung lebt, ist nicht automatisch arm, lebt allerdings gerade so am Existenzminimum.
    Das liegt laut den statistischen Ämtern bei etwa 917 Euro im Monat. Die Grundsicherung beträgt im Schnitt etwa 700 Euro.
    Besonders betroffen sind Menschen laut Brussig dort, "wo ein niedriger Rentenanspruch nur besteht, das ist ja dort wo die Leute während des Erwerbslebens keinen Rentenanspruch aufgebaut haben, also die während des Erwerbslebens niedrig bezahlt, waren, wenig gearbeitet haben oder oft arbeitslos waren."
    Viele Senioren sind noch fit und wollen gerne noch beruflich aktiv sein
    Das betrifft vor allem alleinstehende Frauen, Niedrigqualifizierte und Langzeitarbeitslose. Aber auch Menschen mit unterbrochener Erwerbsbiographie wie Hans Werner Löckmann, oder Erwerbstätige mit befristeten Verträgen, in Teilzeit oder Leiharbeit müssen mit inakzeptablen Renten rechnen.
    Doch nicht alle jobbenden Rentner arbeiten aus purer Not. Viele Senioren sind noch fit und wollen gerne noch beruflich aktiv sein. Auch das ist für Löckmann eine Motivation.
    "Das macht mir schon erheblichen Spaß teilweise ist es sehr anstrengend, heute sind viereinhalb Stunden am Stück am Start. Da werde ich heute sehr müde sein. Das ist ganz klar. Weil ich natürlich jedem was geben will und wenn man dann merkt dass jemand endlich was verstanden hat oder dann eben von einer Fünf eine drei minus mit nach Hause bringt, dann ist das schon eine schöne Sache, auch der Selbstbefriedigung."
    Vorbild Schweiz
    Trotzdem überwiegen die finanziellen Gründe. In einer Umfrage des Statistischen Bundesamts von 2013 gab mehr als jeder Dritte jobbende Ruheständler an, dass er das Geld "unbedingt" benötigt, um den Lebensunterhalt zu sichern. Keine gute Entwicklung, sagt der Soziologe Martin Brussig. "Die Erwerbstätigkeit im Rentenalter sollte nicht als sozialpolitisches Ventil genutzt werden."
    Er fordert deshalb grundsätzlich einen Schritt: "Was die Alterssicherung angeht, muss das Rentenniveau besser werden. Das wir nur mit höheren Beiträgen gehen."
    Auch Hans Werner Löckmann wünscht sich eine radikale Rentenreform, sein Vorbild ist die Schweiz: "Da gibt es eine ganz klare Regel. Es gibt eine Mindestrente die entspricht etwa 1300 Euro, das ist das was jeder Schweizer Bürger als Rente bekommt. Derjenige, der mehr eingezahlt hat bekommt auch mehr, aber es ist gedeckelt auf genau das Doppelte - 2600 Euro ist das, was ein Schweizer maximal bekommen kann, auch wenn er vorher Millionen eingezahlt hat. Da funktioniert das immer wieder angesprochene Solidaritätsprinzip."
    In der Schweiz zahlen auch Selbstständige in die gesetzliche Rentenkasse ein. In Deutschland kann man bislang freiwillig in die Rentenkasse einzahlen. Im Rückblick sagt Löckmann, wäre das auch für ihn die bessere Option gewesen.