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Altersheim der Milchstraße

Astronomie. - Wenn ein Stern entsteht, gibt es eine magische Grenze: Ist seine Masse groß genug, zündet der Stern das nukleare Feuer im Innern. Ist die Masse zu klein, zündet das Feuer nicht - der vermeintliche Stern endet als Brauner Zwerg. Bisher hatten die Astronomen nur theoretische Hinweise, wie groß die Minimalmasse für einen Stern ist. Gestern haben Astronomen auf dem Weltkongress der IAU in Prag ihre Beobachtungen vorgestellt.

Von Dirk Lorenzen |
    Die meisten Astronomen dürfen das Hubble-Weltraumteleskop - wenn überhaupt - nur ein paar Stunden benutzen. Doch Harvey Richer und Gregory Fahlman haben damit fünf Tage am Stück beobachtet - und dann ausgerechnet etwas so vermeintlich Langweiliges wie alte Sterne in unserer Milchstraße.

    "It is not so boring, people are very interested to see what is out there in the universe and the only way to do that is stare at it for a very long period of time."

    Von wegen langweilig, widerspricht Gregory Fahlman vom Herzberg-Institut für Astrophysik in Victoria, British Columbia. Wenn man wissen wolle, was es im Kosmos so gebe, müsse man eben sehr lange hinsehen. So haben die beiden einen Kugelsternhaufen genauestens beobachtet, eine große dichte Ansammlung von Zigtausenden von Sternen, die einst gemeinsam aus einer großen Gas- und Staubwolke entstanden sind, erklärt Harvey Richer von der Universität von British Columbia in Vancouver:

    "Dieser Haufen ist der uns zweitnächste, er ist 8500 Lichtjahre entfernt. Dort können wir auch noch viele sehr schwache Sterne beobachten. Die schwachen Sterne verraten viel über grundlegende Astrophysik, nämlich wie sich Sterne entwickeln. Was ist die Mindestmasse, die eine Gaswolke haben muss, um zu einem Stern zu werden? Jetzt haben wir eine Antwort: Es sind gut acht Prozent der Masse der Sonne."

    Während der längsten Zeit ihres Lebens verschmelzen Sterne in ihrem Innern unter hohem Druck Wasserstoff zu Helium. In dieser Phase gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen Oberflächentemperatur, Helligkeit und Masse. Je massereicher ein Stern ist, desto blauer und heller ist er - aber er brennt auch umso schneller aus. Die beiden Forscher haben Sterne nur bis hinunter zu einer bestimmten Helligkeit, sprich Masse, gefunden. Schwächere, also leichtere Sterne gibt es dort nicht. Diese zu leichten Objekte wurden nur Braune Zwerge und sind längst erkaltet. Damit haben die Astronomen erstmals die leichtesten und leuchtschwächsten Sterne im Weltall beobachtet.

    In dem Haufen gibt es zudem etliche Weiße Zwerge, ausgebrannte Sternleichen, etwa so schwer wie die Sonne, aber nur so groß wie die Erde. Sie strahlen nur noch ihre Restwärme ab.

    "Welches ist der kühlste Weiße Zwerg in diesem Haufen? Für uns sind Weiße Zwerge wie Zeitmesser. Je älter sie sind, desto kühler sind sie auch. Mit den Weißen Zwergen bestimmen wir dann das Alter des Sternhaufens. Dieser Haufen ist etwa zwölf Milliarden Jahre alt."

    So wie ein Gerichtsmediziner aus der Temperatur einer Leiche auf den Todeszeitpunkt schließen kann, folgern Astronomen aus der Temperatur des Weißen Zwergs, wann sein Vorgängerstern ausgebrannt ist. Bedenkt man, dass der Kosmos knapp 14 Milliarden Jahre alt ist, ist dieser Sternhaufen im nicht einmal zwei Milliarden Jahre alten Kosmos entstanden. Er gehört zu den ältesten Objekten in unserer Milchstraße, freut sich Gregory Fahlman:

    "Wir verstehen jetzt allmählich, dass uns die Kugelsternhaufen etwas über die Bedingungen bei der Entstehung unserer Milchstraße verraten. Untersuchen wir bei diesen extrem alten Objekten die Zusammensetzung der Sterne und ihre Bewegung in der Milchstraße, so bekommen wir Hinweise, was damals wann passiert ist."

    Richer und Fahlman, seit fast drei Jahrzehnten in der Sternforschung vereint, haben mit den ältesten, leichtesten und schwächsten Sternen der Milchstraße eine "kosmische Chronik" entdeckt. Die Astronomen verstehen noch längst nicht alle Daten - aber dank des Hubble-Teleskops konnten sie nun erstmals ein paar Seiten dieses himmlischen Geschichtsbuchs entziffern.

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