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Altmaiers Öffnungspläne
Fuest: Öffnungen nur dort, wo Testinfrastruktur vorhanden ist

Wirtschaftsminister Peter Altmaier will weitere Öffnungsschritte aus dem Corona-Lockdown. Dies sei nur mit einer veränderten Teststrategie zu verantworten, mahnte ifo-Präsident Clemens Fuest im Dlf. Sinnvoll sei ein regional differenziertes Vorgehen: "Wer die Tests auf die Straße bringt, der kann öffnen."

Clemens Fuest im Gespräch mit Sina Fröhndrich |
ifo-Präsident Prof. Dr. Dr. H.C. Clemens Fuest
Für ifo-Präsident Clemens Fuest sind weitere Öffungsschritte nur verantwortbar, wenn sie von einer veränderten Teststrategie flankiert werden (imago/Sven Simon)
Vor den nächsten Bund-Länder-Beratungen zur Coronakrise an diesem Mittwoch werden die Stimmen lauter, die schnelle Öffnungsschritte aus dem Lockdown fordern – trotz erneut steigender Corona-Neuinfektionen. So dringen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und die Wirtschaftsminister der Länder auf branchenübergreifende Öffnungen bereits im März.
Laut Medienberichten ist das Öffnungskonzept mit den Wirtschaftsverbänden abgestimmt und rückt von der "ausschließlichen Orientierung" an bundesweiten Inzidenzwerten ab. Auch der Einzelhandel forderte dringend eine Öffnung der Geschäfte bereits ab der zweiten März-Woche.
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Der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, warnte im Gespräch mit dem Deutschlandfunk vor Öffnungen ohne weitere Maßnahmen. Notwendig sei eine veränderte Teststrategie mit Schnelltest Vorort, etwa am Eingang von Einkaufszentren. Da eine bundeseinheitliche Umsetzung wahrscheinlich nicht zu schaffen sei, müsse auf regional differenzierte Regelungen gesetzt werden. Dort wo es Testkonzepte und die nötige Infrastruktur bereits gebe, könne geöffnet werden. Ganz ohne solche Tests drohe Deutschland jedoch direkt wieder in einen Lockdown zu laufen, denn die Gefahr einer dritten Welle sei sehr groß.
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Das Interview in voller Länge:
Sina Fröhndrich: Sind Öffnungen im März, wie sie Wirtschaftsminister Peter Altmaier vorschlägt und der Handel fordert, verantwortbar?
Clemens Fuest: Das wäre nicht verantwortbar, wenn das alles wäre. Also wir sehen, dass die Infektionen wieder ansteigen, und dann einfach nur zu öffnen, das wäre falsch, weil wir ohne weitere Maßnahmen direkt in den Lockdown laufen würden. Jetzt hat Herr Altmaier ja nicht vorgeschlagen, einfach zu öffnen, sondern diese Öffnung zu kombinieren, sie zu binden an eine veränderte Teststrategie.
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Das ist für mich die zentrale Botschaft seines Papiers, dass wir das Ganze mit Tests verbinden müssen - mit besserer Nachverfolgung, die dann dazu führt, wenn das richtig gemacht wird, dass die Inzidenzen durch die Öffnung eben nicht ansteigen. Das ist ein entscheidender Unterschied zu dem, was lange diskutiert wurde, einfach öffnen. Jetzt eben Bindung an Tests, und nur dann ist das meines Erachtens verantwortbar.

"Die große Herausforderung ist die Umsetzung vor Ort"

Fröhndrich: Und wie kann diese Teststrategie aussehen? Die Drogeriekette dm beispielsweise hat schon angekündigt, ab nächster Woche soll es Selbsttests dann zum Kaufen geben. Supermärkte, andere Discounter prüfen auch, wann sie Selbsttests verkaufen. Ja, wie soll eine umfassende Teststrategie aussehen, die so eine Öffnungsperspektive begleitet?
Fuest: Es muss sichergestellt werden, dass diese Tests durchgeführt werden, dass die Daten erfasst werden und dass das Ganze auch dokumentiert wird, dass man das selbst macht – das ist nicht so einfach. Das ist zwar ein Teil der Strategie, aber wichtiger wäre es, dass man viel mehr Teststationen aufbaut, also zum Beispiel beim Eingang eines Einkaufszentrums. Wer da rein will, wer da einkaufen will, der muss sich eben testen lassen. Da gibt es dann Techniken, dass man ein QR-Code auf sein Handy bekommt, der hat eine gewisse Laufzeit, zum Beispiel 24 Stunden, und die positiven Fälle, die werden dann gemeldet ans Gesundheitsamt, inklusive Adressen, anonymisiert.
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Das hat zwei Vorteile: Man kann einmal in der Tat viele Dinge öffnen und wieder ermöglichen, insbesondere auch Schulen, aber auch Teile des Einzelhandels. Und: Man findet viel mehr und viel früher Infektionen und kann sie dann aus dem Verkehr ziehen. Das heißt, man ermöglicht es, dass die Inzidenzzahlen weiter runtergehen, obwohl diese britische ansteckendere Mutante sich verbreitet.
Fröhndrich: Das klingt jetzt sehr schlüssig, nur sind wir denn so weit, QR-Codes, App-Übermittlung ans Gesundheitsamt, dass wir tatsächlich jetzt im März – der Handel fordert ja sogar schon kommende Woche wieder öffnen zu können –, sind wir so weit schon, dass wir da im März Öffnungen sehen können?
Fuest: Das ist genau die Herausforderung. Es ist eins, das mal aufzuschreiben, und das zu erkennen, das ist ein wichtiger Fortschritt. Das ist ja eine zentrale Forderung auch der No-COVID-Strategie, die ich mit vorgeschlagen habe, die sagt: Wir können Öffnungen nur durchführen, wenn wir sie an mehr Tests binden. Das ist jetzt aufgenommen worden, das ist positiv, aber die große Herausforderung ist die Umsetzung vor Ort, in der Tat. Man muss das Ganze hinkriegen.
Die Techniken sind dafür da, viele Unternehmen sind ja auch bereit oder Wirtschaftsorganisationen sind bereit, das bereitzustellen, aber das muss auf die Straße gebracht werden. Dass das alles noch nicht fertig ist, ist nicht schlimm, Herr Altmaier schreibt ja auch – auch eine Forderung der No-COVID-Strategie –, dass wir regional differenziert vorgehen. Das heißt, nur dort, wo die Testinfrastruktur vorhanden ist, kann man öffnen. Das ist aus meiner Sicht ganz wichtig, und wir können da nicht bundesweit einheitlich vorgehen, sondern wir müssen es regional differenziert machen. Wer die Tests auf die Straße bringt, der kann öffnen.

"Die Wirtschaft braucht eine klare Ansage"

Fröhndrich: Und wenn ich jetzt noch mal nach so einem Zieldatum frage, ist ein 8. März nächste Woche für Sie da realistisch für den Einzelhandel?
Fuest: Eben nicht flächendeckend, aber dort, wo Tests dann funktionieren, ist das selbstverständlich realistisch. Da braucht eben auch die Wirtschaft eine klare Ansage der Politik, ihr könnt öffnen, aber nur, wenn das Testkonzept steht.
Fröhndrich: Und wie sehen Sie da vielleicht auch noch die Politik in der Pflicht, die Einzelhändler beispielsweise auch dabei zu unterstützen, so eine Infrastruktur aufzubauen, oder wenn wir auch auf die Unternehmen insgesamt gucken. Finanzminister Olaf Scholz hat am Wochenende auch gefordert, Schnelltests sollen auch verstärkt in Unternehmen stattfinden und durchgeführt werden. Sehen Sie da allein die Unternehmen in der Verantwortung, oder braucht es da flankierende Maßnahmen politisch?
Fuest: Wenn das nur die Unternehmen machen sollen, dann reicht das wohl nicht, obwohl die sich eben als sehr, sehr flexibel schon gezeigt haben und sehr fähig, solche Dinge zu organisieren. Aber es ist klar, der Staat muss daran mitwirken. Es braucht ja einen gesetzlichen Rahmen oder zumindest einen Rahmen in Form von Verordnungen, und der Staat muss das natürlich unterstützen. Es sind ja zwischendurch auch etwa kostenlose Schnelltests, also vom Staat bereitgestellte und finanzierte Schnelltests, gefordert worden, das sollte man auf jeden Fall ausbauen. Also Staat und Wirtschaft müssen hier sehr eng zusammenarbeiten, sonst klappt das nicht.

"Gefahr einer dritten Welle ist sehr groß"

Fröhndrich: Und wenn wir darauf schauen, im Moment sind ja eigentlich erst drei Selbsttests zugelassen, da wird sicherlich noch einiges nachkommen. Aber wenn es um die Kapazitäten geht, um die Produktion – Sie hatten ja auch beim Thema Impfstoff staatliche Anreize gefordert –, wie sehen Sie das im Bereich der Schnelltest-Selbsttests?
Fuest: Bei den Schnelltests sind genug Produktionskapazitäten vorhanden, es braucht aber ein klares Signal der Politik: Wir verändern unsere Teststrategie endlich, wir brauchen deutlich mehr Schnelltests und wir nehmen die auch ab. Wenn diese Abnahmegarantie besteht, dann wird die Industrie auch sehr, sehr schnell die nötigen Tests liefern, aber in der Tat muss da die Politik die Richtung vorgeben.
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Fröhndrich: Unter dem Strich, glauben Sie, dass wir eine dritte Welle verhindern können?
Fuest: Ich hoffe es sehr. Die Gefahr, dass wir eine dritte Welle kriegen, ist sehr, sehr groß, die Frage ist, wie weit schreitet die eben voran, wie sehr verbreiten sich die Infektionen. Ich hab immer noch die Hoffnung, dass man jetzt wirklich vernünftig ist und Öffnungen eben stärker als bisher geplant an Tests bindet. Dann kann man zumindest verhindern, dass aus dem Ganzen eine Katastrophe wird und die Krankenhäuser überfüllt werden. Dass die Infektionen jetzt ansteigen werden, ich glaube, das kann man nicht mehr verhindern.
Fröhndrich: Können Sie sich denn trotzdem noch mal vorstellen, angenommen, diese Teststrategie wird jetzt noch ein bisschen dauern, mit der eine Öffnungsperspektive flankiert werden kann, dass wir gegebenenfalls auch noch mal zurückgehen müssen? Wir haben ja jetzt schon zwei Öffnungen hinter uns – erst die Schulen, diese Woche Friseure, zum Teil Blumenläden.
Fuest: Das kann niemand ausschließen. Auch da gilt wieder, regional differenziert handeln, besser messen übrigens auch als bisher die Infektionen, aber wenn in einzelnen Regionen die Inzidenzen sehr stark hochgehen, dann muss man natürlich auch wieder schließen können. Auch das steht übrigens in dem Papier von Herrn Altmaier.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.