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"Am Montag wird Herr de Maizière Antworten liefern müssen"

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles geht davon aus, dass Verteidigungsminister Thomas de Maizière vor dem Verteidigungsausschuss nicht die Wahrheit gesagt hat. Nun müsse er den Vorwurf ausräumen, Tage früher um die Probleme beim Euro Hawk gewusst zu haben, "oder er kann sich als Minister nicht mehr halten".

Andrea Nahles im Gespräch mit Bettina Klein | 07.06.2013
    Bettina Klein: Es sollte wohl eigentlich ein Befreiungsschlag werden am Mittwoch mit diversen Auftritten des Bundesverteidigungsministers vor dem Parlament beziehungsweise in den Medien. Doch von Befreiungsschlag selbst wollte Thomas de Maizière dann am nächsten Tag bei uns im Deutschlandfunk nicht mehr sprechen.
    Mit der Zurückhaltung auf Seiten der SPD könnte es eventuell vorbei sein. Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels bezichtigt heute Morgen den Bundesverteidigungsminister der Lüge. Hintergrund ist ein Bericht des "Donau-Kuriers", nach dem der Minister ein scheiterndes Drohnenprojekt Euro-Hawk früher erahnt haben soll als bisher angenommen. Das Ministerium hat die Vorwürfe offenbar bereits zurückgewiesen. – Ich habe vor gut einer Stunde mit der SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles gesprochen und sie zunächst gefragt, ob sie die Bewertung "Lüge" teilt.

    Andrea Nahles: Auch nach den Auskünften, die Verteidigungsminister de Maizière in den letzten Tagen gegeben hat, waren wir der Auffassung, dass wir ihm das nicht glauben können, dass er 15 Monate erst nicht informiert worden ist über die ganzen Probleme, die es gab, zumal der Staatssekretär, der das auch mit zu verantworten hat, sein engster Vertrauter Beemelmans ist. Und diese Unglaubwürdigkeit war dann ja auch der Grund, warum es weitere Befragungen von Verteidigungsminister de Maizière auch im Verteidigungsausschuss geben wird.

    Klein: Es wird die erst geben. Aber Herr Bartels spricht heute schon von "Lüge". Ist das gerechtfertigt?

    Nahles: Ja. Aber das, was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wussten, es aber schon für unglaubwürdig erachteten, wurde dann gestern auch durch Recherchen von Kollegen von Ihnen noch mal bestätigt, und ich finde deswegen die Auskunftsbedarfe größer und ich teile die Auffassung, dass wir hier wahrscheinlich einer Lüge tatsächlich begegnet sind. Das heißt mit anderen Worten: Ich glaube, mein Kollege Bartels hat recht.

    Klein: Das heißt, eine Lüge wäre es auch schon, wenn Herr de Maizière nicht erst am 13. Mai, sondern schon am 8. Mai, also wenige Tage vorher, unterrichtet gewesen wäre?

    Nahles: Ja entschuldigen Sie mal! Der hat jetzt drei Wochen nichts gesagt, um sich dann präzise vorzubereiten, und hat sogar die Auskunftspflicht gegenüber dem Parlament verletzt. Und wenn er dann in den Ausschuss kommt und Auskunft gibt, dann erwarte ich aber auch Präzision, Wahrheit und Transparenz. Und da sind auch fünf Tage oder drei Wochen sehr wohl relevant, weil dann muss ich ehrlich gesagt an einem bestimmten Punkt sagen, dann glaube ich ihm gar nichts mehr, wenn er an den Punkten dann nicht präzise antworten kann. Und genau vor dieser Situation stehen wir jetzt. Es ist eine sehr kritische Situation für Verteidigungsminister de Maizière jetzt eingetreten.

    Klein: Wenn er sozusagen eher Tage vorher Bescheid gewusst hätte, wäre das für Sie ein ganz klarer Fall, ganz ausdrücklich vonseiten der SPD den Rücktritt zu fordern?

    Nahles: Ich glaube, wenn er das nicht ausräumen kann, was jetzt im Raum steht, dann muss er dafür ganz klar die persönliche Verantwortung übernehmen und zurücktreten. Er versucht, die Verantwortung gerade seinem Ministerium in die Schuhe zu schieben, seinen Staatssekretären. Er hat immer, gerade Thomas de Maizière, einen guten Eindruck gemacht, weil er aus meiner Sicht ein Mensch war, der Verantwortungsbewusstsein immer hat erkennen lassen. Jetzt kommt es aber darauf an. Und an der Stelle jetzt anderen Leuten die Schuld in die Schuhe zu schieben und Fehler zwar einzugestehen, aber im Grunde die Verantwortung nicht zu übernehmen, das wird nicht reichen.

    Klein: De Maizière sagt wortwörtlich, Verantwortung übernehmen heißt für ihn, Fehler abzustellen und nicht einfach Menschen auszutauschen. Weshalb hat er damit nicht recht?

    Nahles: Wissen Sie, wenn er wirklich früher davon gewusst hat, dann hat er ja nicht nur Hunderte Millionen in den Sand gesetzt. Er hat auch seine eigene Bundesregierung falsch informiert, das Parlament überhaupt nicht informiert und er hat auch noch die Anschaffung von Drohnen – "Global Hawk" nennen die sich -, die ein ähnliches System haben, veranlasst und mit befördert, die aber dieselben Probleme wahrscheinlich haben, weil sie auf demselben technischen Grundgerüst stehen. Das ist alles zusammengenommen äußerst problematisch. Und wenn man dann den Eindruck haben muss, er ist immerhin mit Verlaub der Träger der militärischen Befehls- und Kommandogewalt in unserem Land – es geht hierbei, in diesen Fragen im Verteidigungsministerium, ja auch um Leben und Tod im Zweifel -, dass er das ganze Haus nicht im Griff hat, die Informationsflüsse nicht fließen, dann allerdings ergibt sich daraus ein Gesamtbild, von dem ich nicht denke, dass man das mit so einem Satz abarbeiten kann.

    Klein: Frau Nahles, schauen wir noch mal auf die Strategie Ihrer Partei, der SPD an dieser Stelle. Wir haben uns auch gefragt: Wir haben eine ziemlich klare Rücktrittsforderung vom Verteidigungspolitiker Rainer Arnold bereits gehört, der sehr klar damit auch an die Öffentlichkeit gegangen ist. Er war eigentlich der einzige aus Ihrer Partei, der sich, auch bevor jetzt diese neuen tatsächlichen oder angeblichen Ungereimtheiten veröffentlicht wurden, sehr klar mit Rücktrittsforderungen gegenüber dem Minister geäußert hat. Ist er eigentlich damit von Anfang an auf SPD-Linie gewesen, oder vertrat er eine Einzelmeinung damit?

    Nahles: Nein, das ist absolut die Linie der gesamten Verteidigungspolitik der Fraktionsspitze gewesen. Das ist auch mit der Parteispitze rückgekoppelt worden. Wir haben eben keine schnelle Bewertung gemacht, sondern unsere Verteidigungspolitiker haben sich auch nach der Befragung von Herrn de Maizière zusammengesetzt, haben das, was er gesagt hat, ausgewertet, sind zu dem Ergebnis gekommen, das reicht nicht, das ist unglaubwürdig, das ist, wenn er die Wahrheit sagt, ein Zeichen von Inkompetenz, wenn er allerdings nicht die Wahrheit sagt, dann ist es eine Lüge. Wir haben daraufhin das auch miteinander beraten. Übrigens ist dann auch Gernot Erler mit derselben Linie – der ist immerhin stellvertretender Fraktionsvorsitzender – rausgegangen. Und nachdem wir uns da verständigt haben, haben wir gesagt: Okay, er hat jetzt noch eine Chance, das ist am Montag. Das war, bevor wir jetzt wussten, was jetzt nachgewiesen wurde von Ihren Kollegen. Das heißt aber, das ist klar keine Einzelmeinung, sondern wir haben nur versucht, eins zu vermeiden: voreilig zu agieren, ungerecht zu sein. Aber an dem Punkt sind wir jetzt nicht mehr, sondern wir müssen davon ausgehen, dass er nicht die Wahrheit gesagt hat.

    Klein: Und zwar unabhängig von dem, was die Sondersitzung des Ausschusses am Montag noch bringen wird, fordert die SPD den Rücktritt des Ministers. Habe ich das richtig verstanden?

    Nahles: Ich kann nur sagen, das ist richtig. Wir haben aus meiner Wahrnehmung heraus uns bisher sehr fair da verhalten. Aber es kommen hier zu viele Ungereimtheiten auf den Tisch und ich finde es vor allem schwach und unzureichend, wenn ein Minister sich hinstellt und einem anderen versucht, die Verantwortung hinzuschieben, sich selbst aber nicht.

    Klein: Frau Nahles, in der allgemeinen Wahrnehmung war es ja eigentlich so, dass die SPD sich doch – und Sie haben es gerade auch angedeutet und beschrieben – vergleichsweise zurückgehalten hat an dieser Stelle, jetzt auch im Wahlkampf gerade, da sehr streng voranzugehen mit zum Beispiel Rücktrittsforderungen. Hängt das auch ein bisschen damit zusammen, dass auch SPD-Minister, Politiker aus Ihrer Partei nicht ganz unbeteiligt waren, was das Projekt im ganzen angeht, und man auch wird erst noch aufklären müssen, wie viel Verantwortung da auch von Ihrer Partei getragen wurde?

    Nahles: Nun, da hat ja der Verteidigungsminister de Maizière selber festgestellt, dass es den eigentlichen Geburtsfehler gegeben hat unter seinem Amtsvorgänger Franz-Josef Jung 2007. Überlegungen für die Anschaffung von Aufklärungsdrohnen hat es allerdings auch schon unter Scharping und Struck gegeben. Nur wir glauben ja auch, dass man Aufklärungsdrohnen, die übrigens auch in Afghanistan schon im Einsatz sind, braucht. Das ist ja gar nicht der Punkt. Wir setzen da momentan eine Aufklärungsdrohne Heron, die wohl aus Israel stammt, ein. Aber es ist aus unserer Sicht eine ganz andere Sache, ob man prinzipiell – und das war unter Scharping und Struck d’accord – eine braucht, und eine andere Sache, eine zu beschaffen, die gar nicht funktioniert und wo es erhebliche Probleme gibt über Jahre, und dann nichts zu tun. Diese Verantwortung wurde ja sogar von Herrn de Maizière präzise in die Verantwortung des Jahres 2007 gelegt.

    Klein: Wie viel Druck, Frau Nahles, wird Ihre Partei jetzt noch ausüben beim Thema Untersuchungsausschuss für diesen Fall?

    Nahles: Ja hören Sie mal, das ist ja jetzt alles wieder offen! Jetzt muss ja im Grunde genommen noch mal alles präzise aufgerollt werden. Am Montag wird Herr de Maizière Antworten liefern müssen, oder er kann sich als Minister nicht mehr halten. Das ist die zugespitzte Situation. Völlig unabhängig davon, was die SPD jetzt im einzelnen macht, ist das die objektive Lage. Und wir werden natürlich Druck machen.

    Klein: Abschließend, Frau Nahles: Wir haben in den vergangenen Jahren eine Reihe von Politikerrücktritten erlebt und manche davon waren eigentlich eher – so war eine verbreitete Wahrnehmung – der Eitelkeit, der Arroganz, der Selbstgerechtigkeit teilweise auch einiger Politiker geschuldet, mehr als den wirklichen Fehlern, die sie vielleicht im Amt begangen haben. Thomas de Maizière hat sich ja in verschiedenen Fernsehinterview und auch bei uns im Programm im Interviews als fehlbarer Mensch präsentiert, jemand, der auch Schwächen hat und Fehler begeht und sie am Ende auch einräumt. Das ist für Sie nicht überzeugend gewesen?

    Nahles: Herr de Maizière hat sehr viel Respekt und auch durchaus Anerkennung auch in meiner Partei erworben, über die verschiedenen Tätigkeiten, als Kanzleramtsminister, auch als Minister, und das ist absolut unstrittig. Wir haben auch mit ihm gut zusammengearbeitet in Zeiten der Großen Koalition. Insoweit ist das, was wir hier gerade feststellen und warum wir der Auffassung sind, dass er sich nicht halten kann, keine persönliche Geringschätzung. Aber das, was er jetzt hier versucht, die Verantwortung abzudrücken auf alle anderen, aber vor allem das Ministerium, dem er ja vorsteht – er ist Träger auch militärischer höchster Funktionen und Verantwortungen -, das können wir ihm nicht durchgehen lassen. Das hat nichts mit einer persönlichen Einschätzung zu tun. Aber Fehler einzugestehen, reicht momentan nicht mehr.

    Klein: Frau Nahles, haben Sie vielen Dank für das Gespräch. – Andrea Nahles war das, die Generalsekretärin der SPD, heute Morgen hier im Deutschlandfunk.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.