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Ambos: Rassismusvorwurf afrikanischer Staaten ist doppelzüngig

Weil dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag über 30 afrikanische Staaten angehören, werden auch viele afrikanische Fälle verhandelt, sagt Kai Ambos, Experte für internationales Strafrecht der Uni Göttingen. Der Vorwurf rassistischer Tendenz sei daher absurd, betont Amobs.

Kai Ambos im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 12.10.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, international wurde er gefeiert, als er im Jahr 2002 seine Arbeit aufnahm. Bevor es ihn nämlich gab, hatte die Weltgemeinschaft kein Mittel, die Drahtzieher von Völkermorden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen. Allerdings, Kritiker werfen dem Gerichtshof rassistische Tendenzen vor! Denn bisher waren es ausschließlich Afrikaner, die vor das Gericht gestellt wurden. Die Afrikanische Union denkt deshalb derzeit in Addis Abeba über die weitere Zusammenarbeit mit Den Haag nach. Ein Austritt aller afrikanischen Unterzeichnerländer aus dem Abkommen ist nicht ausgeschlossen.
    Streit um Internat. Strafgerichtshof - Gipfeltreffen der Afrikanischen Union
    (MP3-Audio) Antje Dieckhans über den Streit um den Strafgerichtshof in Den Haag.

    Und über das Thema möchten wir sprechen mit Professor Kai Ambos. Er ist Leiter der Abteilung für ausländisches und internationales Strafrecht am Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Göttingen. Er ist zugleich Richter am Landgericht Göttingen. Schönen guten Morgen, Herr Professor Ambos!

    Kai Ambos: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Ambos, hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag rassistische Tendenzen?

    Ambos: Ich halte den Vorwurf für absurd. Es sind ja selbst einige Afrikaner beim IStGH tätig, unter anderem ist die Chefanklägerin aus Gambia. Also, das ist für mich ein Vorwurf, der nicht verständlich ist.

    Heckmann: Aber woran liegt das denn, dass bisher ausschließlich Afrikaner zur Rechenschaft gezogen wurden? Auch in anderen Ländern gibt es ja bekanntlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit beispielsweise!

    Ambos: Man muss sich vor Augen führen, dass zunächst einmal über 30 afrikanische, schwarzafrikanische Staaten, also südlich der Sahara, Mitgliedsstaaten des IStGH [Anm. der Redaktion. Internationaler Strafgerichtshof Den Haag] sind und die meisten Verfahren, die vor dem IStGH laufen gegen afrikanische Staaten oder gegen Staatsangehörige dieser Staaten, von diesen Staaten selbst überwiesen wurden. Also, das beste Beispiel ist der Fall Uganda. Der Präsident wurde ja in Ihrem Beitrag eben zitiert, der ugandische Präsident hat selbst das Verfahren an den IStGH überwiesen, damit der IStGH dort gegen Rebellengruppen vorgeht. Also, das ist eine sehr doppelzüngige Kritik, die da jetzt kommt. Gerade Uganda hat den IStGH damals benutzt, kann man sagen, das wurde eben auch kritisiert von Mitgliedern von Nichtregierungsorganisationen, dass der ugandische Präsident den IStGH kritisiert, um gegen Rebellengruppen, die gegen ihn kämpfen, ermitteln zu lassen.

    Heckmann: Die meisten Verdächtigen und dann auch Angeklagten wurden von den Ländern selbst überstellt, sagen Sie zu Recht, aber es sind halt auch nur die meisten. Im Fall Kenia beispielsweise, Kenyatta, ist das nicht der Fall und in diesem Fall sagt beispielsweise Südafrikas Expräsident Mbeki, Kenia habe selbst die Mittel als auch die juristischen Institutionen, diesen Fall aufzuarbeiten. Der äthiopische Außenminister sagte deshalb, das Gericht diene kaum der Gerechtigkeit und der Versöhnung, sondern habe sich zum politischen Instrument gegen Afrikaner und gegen Afrika gewandelt.

    Ambos: Auch bei Kenia war es so, da muss man die Geschichte dieses Verfahrens sehen. Da war es so, dass ursprünglich die kenianische Regierung, die ja natürlich nicht die Regierung ist, die jetzt an der Macht ist, in Verhandlungen mit dem Strafgerichtshof, mit dem damaligen Chefankläger Mureno Ocampo darüber gesprochen hat, dass die Verfahren in Den Haag geführt werden, und damals auch einverstanden war. Auch da haben Sie in Ihrem Beitrag zu Recht ja den jetzigen Oppositionskandidaten zitiert. Der Kenyatta hat ja im Wahlkampf gesagt, er wird sich der Gerechtigkeit stellen.

    Also, die sind sehenden Auges in diese Situation gegangen, und als Kenyatta dann gewählt wurde und sein Vizepräsident, jetziger Vizepräsident Ruto Vizepräsident wurde, haben sich plötzlich die Dinge geändert, und Kenia, die jetzige Regierung ist jetzt dagegen. Aber man muss eben auch andere Stimmen hören, in Kenia selbst oder in Afrika. Über 130 Nichtregierungsorganisationen haben eine Erklärung abgegeben und gefordert, dass die Regierungen dieser Länder weiter den IStGH unterstützen. Also, was da derzeit läuft auf Ebene der Afrikanischen Union, jetzt in diesen Tagen, ist eine politische Tendenz gegen den IStGH, aber die ganz klar ausgeht von betroffenen Regierungen. Das ist ja nicht nur Kenia, auch Sudan, Al Bashir, weil sie eben vom IStGH verfolgt werden.

    Heckmann: Das heißt, die Kritiker des Strafgerichtshofs sind die, die ihre schützenden Hände über diese Diktatoren halten?

    Ambos: Die Regierungen, die jetzt den IStGH kritisieren, sind Regierungen, Kenia und Sudan, deren Chefs selbst verfolgt werden vom IStGH, das ist die Tatsache. Und eine andere Frage ist, dass es natürlich für den IStGH schwierig ist, dass die tatsächlichen Verfahren, die laufen, jetzt auf dem afrikanischen Kontinent sich abspielen. Das ist ein politisches Problem, das muss man anerkennen und das weiß der IStGH selbst.

    Wir hatten die letzten Tage, gerade gestern, Entscheidungen des IStGH, wo sich das auch ausdrückt. Zum Beispiel hat man im Fall gegen den Al Senussi, gegen den ehemaligen libyschen Geheimdienstchef von Gaddafi, gesagt, Libyen kann das Verfahren selbst führen. Also, es gibt diese Sensibilität selbst in Den Haag und man überlässt den afrikanischen Staaten durchaus auch Verfahren. Das auch so vorgesehen im System des Rom-Statuts. Die Kenianer haben einen solchen Antrag nie gestellt. Also, in diesem laufenden Verfahren gegen Kenia wurde nie ein Antrag gestellt der kenianischen Vertreter im Verfahren selbst, dass die Kenia selbst dieses Verfahren führen sollen. Das ist vorgesehen im Statut und das müssen sie dann haltmachen. Wenn sie das können, wenn sie willens sind und fähig, dieses Verfahren zu führen, da kann der IStGH denen das auch überlassen.

    Heckmann: Die Afrikanische Union, die will jetzt bei der UNO einen Antrag stellen, um die Prozesse gegen Kenyatta und seinen Vize Ruto zu verschieben, auch das Verfahren gegen den schon erwähnten sudanesischen Staatschef Al Bashir solle hinausgeschoben werden. Das erklärte gestern Abend der äthiopische Außenminister. Begründung: Amtierende Staats- und Regierungschefs dürften während ihrer Tätigkeit nicht verfolgt werden. Was sagen Sie zu dieser Begründung?

    Ambos: Die Begründung ist völkerrechtlich nicht haltbar, denn nach dem IStGH-Statut gibt es eben keine Immunität auch von amtierenden Staatschefs. Und das haben auch die Vertragsstaaten des IStGH akzeptiert, wenn sie dem Statut beitreten. Die kenianische Verfassung selbst sieht vor, dass bei einer Verfolgung durch ein internationales Strafgericht der Präsident keine Immunität genießt. Immunität ist also ausgeschlossen.

    Auch in diesem Fall ist das richtige Verfahren nicht eine politische Erklärung der Afrikanischen Union, sondern es muss im Rahmen des konkreten Verfahrens ein Antrag gestellt werden auf Übernahme durch die nationale Strafjustiz. Die einzige Möglichkeit, dass ein laufendes Verfahren vor dem IStGH suspendiert wird für ein Jahr, ist ein Beschluss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Das sind die richtigen Verfahrenswege. Und dass die Afrikanische Union diese Verfahrenswege nicht beschreitet, zeigt schon, dass es hier um ein rein politisches Manöver gegen den IStGH geht.

    Heckmann: Herr Ambos, seit 2002 ist das Statut des Gerichtshofs in Kraft. Die USA, Russland, China haben nicht ratifiziert. Kann man sagen, ein Armutszeugnis vor allem für die USA. Und können Sie verstehen, dass es dann viele Stimmen gibt, die sagen, hier wird mit zweierlei Maß gemessen?

    Ambos: Natürlich kann ich das verstehen. Wir müssen uns aber immer vor Augen halten, was war vor 2002? Vor 2002 gab es keinen Strafgerichtshof, da gab es überhaupt keine Instanz, die solche Verbrechen verfolgt hat. Jetzt haben wir 120 Staaten in diesem System, und dass einige Großmächte – die USA haben Sie genannt, auch China, Russland, das soll man immer wieder betonen, es ist eben nicht nur die USA, auch Indien – da nicht dabei sind, ist deren politische Entscheidung. Auch das zeigt übrigens, dass diese Staaten, die jetzt den IStGH kritisieren, die afrikanischen Staaten, ja damals die Entscheidung getroffen haben, mit zu verhandeln, auch mitzumachen bei diesem System. Also, das ist eine freie Entscheidung der Staaten, so ist das eben im Völkerrecht. Und da haben diese Staaten die Entscheidung getroffen. Und wenn es dann gegen die Staaten selbst geht, na ja, dann ist es vielleicht unangenehm für die jetzigen Regierungen, aber dann kann man sich von dieser Entscheidung nicht einfach abwenden.

    Heckmann: Syriens Präsident Assad, Herr Ambos, der sitzt ja weiter fest im Sattel, obwohl er nach Überzeugung vieler nach Den Haag gehört, nach dem Chemiewaffeneinsatz dort. Wie wahrscheinlich – abschließend gefragt, Herr Ambos – ist es, dass es dazu kommt?

    Ambos: Na ja, Syrien ist eben keine Vertragspartei. Und in diesem Fall kann nur der UN-Sicherheitsrat eine Situation an den IStGH überweisen, wie wir das im Fall Sudan und Libyen hatten. Und das liegt eben in den Händen des Sicherheitsrats. Auch dafür darf man nicht den IStGH verantwortlich machen. Und da wissen Sie selbst, das weiß jeder, der den Deutschlandfunk hört oder andere seriöse Sender, wie die Lage ist. Da ist derzeit nicht zu erwarten, dass der Sicherheitsrat eine solche einstimmige Entscheidung fällt.

    Heckmann: Professor Kai Ambos war das, Experte für internationales Strafrecht an der Universität Göttingen und Richter am am dortigen Landgericht. Herr Ambos, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Ambos: Sehr gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.