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"American Prayer"

In der Kunst bedeutet von anderen nehmen nicht unbedingt gleich stehlen: So würdigt die französische Nationalbibliothek dem Künstler Richard Prince eine Ausstellung, obwohl er manche Bilder zwar signiert, aber nicht selbst gemalt hat.

Von Kathrin Hondl |
    Wer abschreibt, ohne die Quelle zu nennen, produziert ein Plagiat. Und das ist alles andere als in Ordnung. In Wissenschaft, Journalismus und Literatur ist man sich da jedenfalls weitgehend einig. Das hat ja gerade erst der Fall des Copy and Paste-Doktors a.D. Karl-Theodor zu Guttenberg gezeigt. In der Kunst aber bedeutet von anderen nehmen nicht unbedingt gleich stehlen. Schon vor bald 100 Jahren katapultierte Marcel Duchamp Alltagsgegenstände als "Readymades" in Kunstausstellungen. In dieser Tradition steht auch die "Appropriation Art" von Richard Prince, sagt Kurator Robert Rubin, aber:

    "Seine readymades sind keine Objekte sondern Bilder. Und er geht noch weiter, indem er sie mit seinem Namen signiert."

    Zu Musik von Bands wie The Clash, Sonic Youth oder Talking Heads zeigt Richard Prince in der Bibliothèque Nationale zum Beispiel eine Reihe von aufwändig gerahmten Bildern: "Untitled" heißen sie, also "Ohne Titel", dazu in Klammern "Originals" - Originale. Zu sehen sind jeweils ein amerikanisches Taschenbuch aus den 50er- oder 60er-Jahren und daneben das Original-Gemälde oder die Gouache, die für das Buchcover verwendet wurden. Von Richard Prince, der die Bilder signiert hat, stammt da kein einziger Pinselstrich. Die Bilder hängen an den Wänden eines großen Holzhauses in der Mitte der Ausstellung. Dort zeigt Prince auch seine Sammlung englischer und amerikanischer Originalausgaben: Von George Orwells Roman "1984" aus dem Jahr 1949 - dem Jahr, in dem auch Richard Prince geboren wurde - über Thomas Pynchons Romandebüt "V." bis zu Yoko Onos Künstlerbuch "Grapefruit" - 41 Titel, jeweils nebeneinander die amerikanische und die englische Originalausgabe, montiert auf Holzpodesten, die Prince im Raum installiert hat.

    "Das Vorgehen des Sammlers und des Künstlers sind sehr ähnlich und eigentlich nicht zu unterscheiden. Was einen Sammler charakterisiert - Anhäufung, Fortsetzung, Wiederholung, Unterschiede und Variationen aufzeigen - das tut auch der Künstler Richard Prince mit den Bildern unserer Kultur."

    Besonders interessiert sich Richard Prince für die, wie er es nennt, "BeatHippiePunk culture". Entsprechend hat er sich auch in den Beständen der französischen Nationalbibliothek bedient. So zeigt er zum Beispiel Manuskripte von Célines Roman "Reise bis ans Ende der Nacht" und aus Rimbauds Gedichtzyklus "Une semaine en enfer".

    "Der französische Bohémien ist der Prototyp für Beatniks, Hippies und Punks. Das fängt bei François Villon an, und führt über Rimbaud, Verlaine und Céline zu Borroughs, Dylan, Patti Smith oder Jim Morrison - der Prototyp ist französisch."

    Aber Richard Prince hat nicht nur kanonisierte Werke der Hochkultur aus den Magazinen der Bibliothèque Nationale geholt. Er zeigt auch mehr oder minder kuriose Exemplare billiger Pulp- und Trashliteratur, die die Nationalbibliothek archiviert wie alle anderen französischen Druckerzeugnisse auch: Groschenromane, Krimis und Pornos aus den 70er-Jahren. Die schrillen bis obszönen Cover hat Richard Prince mit weißen und farbigen Aufklebern bearbeitet.

    Richard Prince erweist sich mit dieser sehr unterhaltsamen Ausstellung in Paris einmal mehr als echter Punk unter den internationalen Starkünstlern. Ironie des Schicksals, dass er ausgerechnet jetzt, wo ihn die ehrwürdige französische Nationalbibliothek so prominent würdigt, zum ersten Mal wegen Verletzung des Urheberrechts verurteilt wurde. Ein französischer Fotograf hatte geklagt, weil Richard Prince seine Bilder benutzt hat. Wie viel Schadensersatz Prince und sein Galerist Larry Gagosian zahlen müssen, wird im Mai entschieden.