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"Amerika tanzt von einer Krise zur nächsten"

Dass eine Minderheit wie jetzt die Tea-Party-Bewegung der Republikaner in den USA die Macht hat, Gesetze zu torpedieren, sei mehr Theater als ein substanzielles Problem, sagt Andrew Denison, Leiter von "Transatlantic Networks". Deshalb ist er überzeugt: "Man wird sich einigen."

Andrew Denison im Gespräch mit Dirk Müller | 01.10.2013
    Dirk Müller: Jetzt wollen Sie ganz persönlich endlich nach vielen, vielen Jahren der Pläne und der Vorfreude den Grand Canyon besuchen, von der Südseite, um die spektakulären Blicke auf das größte Loch der Erde zu genießen, den Blick auf den mäandernden Colorado, ein unvergleichliches Farbenspiel der Erdschichten, die sich über Jahrmillionen bloß gelegt haben. Jetzt stehen Sie als Urlauber endlich vor dem großen Nationalpark. Dann kommt das große Entsetzen: Geschlossen, weil Hunderttausende Beschäftigte der Bundesbehörden eben nicht arbeiten, in unbezahlte Auszeit geschickt wurden, von der Regierung, vom Kongress höchstpersönlich, weil Präsident und Republikaner sich nach wie vor streiten um den Haushalt.

    Nichts geht mehr in Washington, fast geht nichts mehr in Washington. Geschlossene Türen und Tore jedenfalls vor den Museen, wir haben das eben gehört, vor den Nationalparks, vor den Universitäten beispielsweise. Am Telefon ist nun der amerikanische Politikwissenschaftler Andrew Denison von "Transatlantic Networks". Guten Tag!

    Andrew Denison: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Denison, sind Sie wenigstens froh, schon am Grand Canyon gewesen zu sein?

    Denison: Hey, ich bin sehr dankbar für diese Naturschätze und ich hoffe, dass sie bald wieder geöffnet werden. Die Amerikaner merken jetzt doch, wie wichtig ihre Bundesregierung ist in ihrem tagtäglichen Leben.

    Müller: Warum haben die Republikaner offenbar damit Schwierigkeiten, das zu merken?

    Denison: Ja, es ist eine Minderheit im Kongress, auf jeden Fall in Amerika, aber genug Republikaner sind der Meinung, sie sind nun in einer Verhandlung und mit einer Politik, die hart genug ist, können sie Obama dazu zwingen, seinen größten Erfolg, seine Gesundheitsreform, zu torpedieren oder zu komprimieren. Natürlich diese Republikaner wollen wieder zur Wahl stehen 2014. Jeder im Repräsentantenhaus muss jede zwei Jahre wieder in den Wahlkampf gehen und die haben Angst, dass eine radikale republikanische Basis, nicht unbedingt repräsentativ, die dann rausschmeißen wird und noch radikalere Republikaner in den Wahlkampf schicken. Also ja, es ist ein bisschen ein Strukturproblem.

    Müller: Aber kann es sein, Andrew Denison, dass in dieser Auseinandersetzung letztendlich der Präsident, Barack Obama, und auch dann die Demokraten das Nachsehen haben werden?

    Denison: Jetzt sieht es so aus, als ob die Republikaner hauptverantwortlich sind und dass sie gegen die Interessen der Mehrheit der Amerikaner agieren, wie Ihr Kollege gerade gesagt hat. Aber natürlich, es geht jetzt um den schwarzen Peter: Wer ist dafür verantwortlich? Blame Game sagt man auf Englisch. Und wenn jeden Tag es mehr Wut und Ärger gibt über diese republikanische Blockadeposition, dann, denke ich, werden die den Rückzieher machen. Alle haben auch die Lehre aus dem letzten Mal, als Bill Clinton einem republikanischen Kongress gegenüberstand; da war mehr als drei Wochen die Regierung zu und am Ende mussten die Republikaner zurückziehen und sie haben in den nächsten Wahlen verloren. Also ein riskantes Spiel für diese Republikaner, aber wie gesagt: sie sehen sich in einer Sackgasse, weil wenn sie einlenken, dann ist ihre Basis verärgert.

    Müller: Wenn ich jetzt, Andrew Denison, als Deutscher nicht in den USA bin, dann kann ich ja als Deutscher sagen, na ja, gut, jetzt sind die zahlungsunfähig und es gibt die entsprechenden Konsequenzen, darüber haben wir jetzt geredet, aber ist ja nicht mein Problem, geht mich im Grunde nichts an. Dann gucken aber jetzt viele und sagen, "Achtung: Warnung!" mit Blick auf Mitte des Monats. Da geht es nicht nur um die Handlungsunfähigkeit einiger US-Behörden, da geht es um die Zahlungsunfähigkeit der Vereinigten Staaten. Ist das das wirkliche Problem?

    Denison: Ja das kommt auf uns noch zu, Herr Müller. Ihre Hörer, die passen auf: Amerika tanzt von einer Krise zur nächsten. Grundsätzlich sehen wir ein Problem, das seit 200 Jahren existiert in dieser amerikanischen Staatsform, und das ist, dass eine Minderheit unheimlich viel Macht hat, Gesetze zu torpedieren. Begrenzte Staatsmacht ist gute Staatsmacht, aber manchmal führt das zum Stillstand. Allerdings ich würde da auch dem Churchill trauen, der sagte, man kann sich auf die Amerikaner verlassen, das Richtige zu tun, nachdem sie alles andere versucht haben.

    Am Ende wird der politische Druck, denke ich, wachsen, einen verantwortungsbewussten Weg zu gehen, schon aus der Lehre aus dieser Krise mit der Staatsfinanzierung, sodass, wenn die nächste angekündigte Krise kommt, nämlich die Frage der Schuldengrenzen, die Republikaner einlenken werden und sagen, Nein, das werden wir uns nicht noch mal zumuten. Aber es bleibt spannend, fast so spannend wie die Frage, wer wann in Deutschland regieren wird.

    Müller: Aber wie kann das denn sein, dass die Amerikaner immer wieder an diese Schuldengrenze kommen, dass sie die immer wieder erhöhen müssen, um ihren Verpflichtungen nachzukommen? Heißt das, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik läuft nach wie vor alles schief?

    Denison: Ich meine, wir klagen auf hohem Niveau. Gott sei Dank ist es nicht nur die Bundesregierung, sondern die Bundesstaaten und auch die Großstädte in Amerika haben Verantwortung für Wirtschaftswachstum. Aber ja, es ist ein bisschen ein Drahtseilakt, aber ich denke auch am Ende des Tages – ich bin Amerikaner, blauäugig und optimistisch -, ich sehe dieses Problem als mehr Theater als wirklich ein substanzielles Problem der Nachhaltigkeit dieses Systems. Man wird sich einigen. Es wird peinlich, aber man wurstelt sich durch und dann geht das Wirtschaftswachstum weiter und die Einwanderer kommen und die Wissenschaft forscht und ich denke, als Deutscher soll man nicht zu viel Vertrauen in Amerika als Partner verlieren.

    Müller: Jetzt reden wir aber noch einmal über diese Schuldenobergrenze. In Deutschland gibt es ja bald auch eine Schuldenbremse, daran müssen sich die Kommunen, die Bundesländer wie auch die Bundesregierung, also der Bundeshaushalt orientieren und auch daran halten. Mit entsprechenden Sanktionen soll das Ganze dann belegt werden, das ist noch nicht ganz klar. Aber jetzt übertragen auf die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten: War das jemals klug, diese Obergrenze einzuziehen und aufgrund dessen den politischen Handlungsspielraum der Regierung so einzuschränken?

    Denison: Zu dieser Frage, war es klug, ich meine nein, obwohl man natürlich der Legislative auch ein bisschen Möglichkeit geben will, das zu erhöhen. Wenigstens können die Amerikaner das erhöhen. Die Deutschen können das nicht. In Deutschland ist Austerität und keine Schulden machen Prinzip Nummer eins der Wirtschaftspolitik. In Amerika ist das nicht so ernst angesiedelt, außer bei Teilen der Republikanischen Partei und der Tea Party. Natürlich: Ihre Zuhörer wissen, Amerika ist ein junges Land und hat viele Einwanderer und es wächst, und daher ist es auch einfacher, Schulden zurückzubezahlen. Das ist nicht so schlimm wie in Deutschland, wo die Bevölkerung eigentlich zurückgeht. Dann ist es mit Schulden natürlich viel schwieriger.

    Müller: Wir haben Sie auch heute Vormittag wieder angerufen, gebeten, zu einem Interview zur Verfügung zu stehen. Können wir uns mal darauf einigen, wenn es eine gute Nachricht von Barack Obama gibt, dass Sie uns anrufen?

    Denison: Ja! Wie sagt man? Prognosen sind schwierig, besonders über die Zukunft. Aber wenn es eine gute Nachricht von Obama gibt, dann rufe ich gerne an.

    Müller: Warum tut er sich so schwer? Nur, weil es Minderheiten gibt, die so stark sind, wie Sie sagen?

    Denison: Obama, denke ich, ist auf dem richtigen Kurs. Er soll nicht sein Programm, das schon Gesetz ist, das von dem obersten Verfassungsgericht akzeptiert ist, legitimiert ist, was auch Vorbereitungen von Milliarden Dollar gekostet hat, alle sind darauf, er soll das nicht torpedieren lassen von einer kleinen Minderheit mit einer besonderen Zerstörungsmacht, dank unserer Gründungsväter, sondern er muss da hart bleiben. Und ich denke, die Meinung, die politische Meinung in Amerika, wie die liegt ist oft repräsentativ, wie dann die politischen Entscheidungen folgen, und daher bin ich optimistisch, am Ende wird Obamas Position die sein, die sich durchsetzt.

    Müller: Bei uns in den "Informationen am Mittag" hier im Deutschlandfunk der amerikanische Politikwissenschaftler Andrew Denison. Danke für das Gespräch, noch einen schönen Tag.


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