Samstag, 18. Mai 2024

Kommentar zum Ampel-Krach
Zerrüttete Beziehung zwischen Grünen und FDP

Mit ihren anhaltenden Streitigkeiten sorgen Grüne und FDP dafür, dass die Bundesregierung auf vielen Politikfeldern erstarrt oder zumindest gelähmt ist. Hauptprofiteur ist die AfD, kommentiert Peter Stefan Herbst.

Ein Kommentar von Peter Stefan Herbst, Chefredakteur der "Saarbrücker Zeitung" | 18.08.2023
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Buendnis 90/Die Gruenen) sitzen an einem Tisch.
Im Clinch: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) (picture alliance / photothek / Florian Gaertner)
Es wächst nicht zusammen, was nicht zusammengehört. Gegensätzliche Positionen und völlig unterschiedliche Politikansätze von Grünen und FDP spalten einmal mehr die Ampel-Koalition und gefährden die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung.
Der aktuelle Streit um Entlastungen für die Wirtschaft und die Kindergrundsicherung ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass die ideologischen Gräben zwischen Bündnisgrünen und Liberalen tiefer sind als es zum Start der gemeinsamen Zusammenarbeit erschien. Damals wollten die Koalitionäre in Aufbruchsstimmung trotz bekannter und grundsätzlicher Differenzen „Vertrauen bilden“ und „Brücken bauen“. Beides scheint gescheitert.

Erkennbar zerrüttete Beziehungen

Immer häufiger wird sich jetzt wechselseitig „Wortbruch“ oder „Erpressung“ vorgeworfen. Die Beziehungen zwischen Grünen und FDP sind erkennbar zerrüttet, die Fähigkeit zu Kompromissen stark eingeschränkt und die Bundesregierung damit auf vielen Politikfeldern erstarrt oder zumindest gelähmt. Wenn die einen immer mehr und die anderen immer weniger Regulierung wollen, wird es schwierig. Die FDP setzt grundsätzlich auf die Freiheit, den Markt und weniger Staat, die Grünen auf staatliche Steuerung, Förderprogramme und nicht zuletzt Verbote.
Sich aufeinander zuzubewegen und tragfähige Kompromisse zu finden, was bei dieser Ausgangslage ohnehin nicht einfach ist, wird durch jeden weiteren Eklat mit wechselseitigen Verletzungen zusätzlich erschwert.

AfD profitiert vom Versagen der Ampel

Statt Sicherheit, Stabilität und Orientierung zu geben, sorgen sie damit bereits seit längerem für Verunsicherung, Verwirrung und Ratlosigkeit. Die Quittung liefern die Umfragen: Die Ampel ist aktuell weit von einer Mehrheit entfernt. Von ihrem Versagen profitiert vor allem die AfD.
Zuletzt war es Wirtschaftsminister Robert Habeck, der mit seinem schlecht vorbereiteten und schwer vermittelbaren Heizungsgesetz Konflikte in der Koalition befeuert und den Unmut vieler Wählerinnen und Wähler entfacht hat.

Paus‘ Blockade wirkt wie ein Revanchefoul

Dass ein wichtiges Wachstumschancengesetz in der aktuellen Krise jetzt von seiner Parteifreundin Lisa Paus ohne Sachargumente ausgebremst wird, wirkt wie ein Revanchefoul. Liegt die Familienministerin doch seit Monaten mit Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner im Clinch um die Kindergrundsicherung.
Während Habeck und die SPD bei den Entlastungen für die Wirtschaft Zustimmung signalisiert hatten, ist die höhere Kindergrundsicherung nicht unumstritten. Kommt das Geld bei gestiegenen Lebenshaltungskosten ja nicht zwangsläufig armutsgefährdeten Kindern zu Gute.
Wenn der Abstand zwischen denen, die arbeiten, und jenen, die von Sozialleistungen leben, noch kleiner wird, steigt zusätzlich der Anreiz, nicht mehr zu arbeiten. Damit werden Wohltaten in der Zukunft noch schwerer zu finanzieren.

Der Kanzler wirkt oft entrückt und unbeteiligt

Die Ampel sendet problematische und gefährliche Signale. Und wie reagiert Olaf Scholz? Er wirkt bei den eskalierenden Streithemen oft entrückt und unbeteiligt. Es sind aber Mitglieder seiner Regierung, die sich hier ein teils unwürdiges Gemetzel liefern. Die Beschönigungen des Kanzlers, seine Verharmlosung der Konflikte und die immer wieder kehrende Botschaft, dass alles noch gut wird, machen es nicht besser. Im Gegenteil. Viele fühlen sich getäuscht und für dumm verkauft.
Angela Merkel erweckte als Kanzlerin zumindest häufiger den Eindruck, bei gegensätzlichen Interessen besser zu vermitteln, Positionen zusammenzuführen und an Kompromissen zu arbeiten.

Die Geduld der Wähler ist überstrapaziert

Scholz kann sich aus den Konflikten zwischen Grünen und FDP nicht heraushalten. Dass sich sein Parteivorsitzender Lars Klingbeil „fassungslos“ über die Vorgänge zeigt, reicht nicht, um die Streithähne zu disziplinieren. Dass Jürgen Trittin die SPD trotz ihrer Probleme mit der FDP jetzt immer an deren, also an der Seite der Liberalen verortet, sollte wiederum auch die Grünen nachdenklich machen.
Alle Koalitionspartner wären gut beraten, jetzt endlich gemeinsam an tragfähigen und finanzierbaren Kompromissen zu arbeiten und schnell Lösungen zu präsentieren. Die Lage ist ernst und die Geduld vieler Wählerinnen und Wähler ohnehin überstrapaziert.