Donnerstag, 09. Mai 2024

Knatsch-Koalition
Warum die Ampel so oft streitet

Haushalt, Heizungen, Wachstumschancengesetz: Die Ampel befindet sich im Dauerstreit, so scheint es. Das macht sich in der Wählergunst bemerkbar: Die Ampel ist laut Umfragen unbeliebt. Woran es bei der Koalition hakt.

18.08.2023
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, r) nimmt im Bundestag an der Befragung der Bundesregierung neben Christian Lindner (FDP, l), Bundesminister der Finanzen, und Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen, M), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, teil.
    In den Umfragen hat die Ampel derzeit keine Mehrheit: Finanzminister Lindner, Wirtschaftsminister Habeck und Bundeskanzler Scholz (v.l.n.r.) (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Streit gehört zu einer lebendigen Demokratie. Bürgerinnen und Bürger, Politikerinnen und Politiker, Parteien und Regierungen ringen um den richtigen Kurs. Doch das Auftreten der seit Ende 2021 regierenden Ampelkoalition wird von Beobachtern und Bevölkerung zunehmend kritisch gesehen. Dies legt zum Beispiel eine Umfrage des ZDF-Politbarometers aus dem Juli 2023 nahe: Das Verhältnis zwischen den Koalitionspartnern SPD, Grünen und FDP wurde demnach von 74 Prozent als eher schlecht wahrgenommen. Sogar SPD-Chef Lars Klingbeil zeigte sich im August 2023 fassungslos über neuen Streit in der Koalition.

    Inhaltsverzeichnis

    Über welche Themen streitet die Ampelkoalition?

    Nach einem harmonischen Start mit den berühmt gewordenen Social-Media-Selfies der beteiligten Politikerinnen und Politiker von FDP und Grünen hat bei der Ampelkoalition relativ schnell der Zwist Einzug in den Regierungsalltag gehalten. Auch wenn der russische Angriff auf die Ukraine und die Energiekrise zwischenzeitlich für relative Ruhe sorgten, wird seit Monaten wieder heftig gerangelt. Vier aktuelle Beispiele:

    Wachstumschancengesetz

    Anders als geplant billigte das Bundeskabinett am 16. August nicht das sogenannte Wachstumschancengesetz von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Dabei handelt es sich um ein Gesetzespaket mit steuerpolitischen Maßnahmen, die die Wirtschaft um jährlich rund 6,5 Milliarden Euro entlasten sollen. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) blockierte das Vorhaben.

    Kindergrundsicherung

    Der Konflikt um die Kindergrundsicherung schwelt in der Koalition schon lange. Die Kindergrundsicherung soll verschiedene Leistungen wie Kindergeld und Kinderzuschlag ersetzen und leichter zugänglich sein. Mehr Anspruchsberechtigte sollen tatsächlich Geld erhalten. Ministerin Paus forderte zunächst zwölf Milliarden Euro, mittlerweile hat sie die Forderungen gesenkt. Eine Einigung der Koalition dazu steht aus.

    Haushalt

    Nach langem Hickhack zwischen Finanzminister Lindner und seinen Kollegen ist der Etat für 2024 im Kabinett beschlossen. Doch zufrieden mit dem Etatentwurf sind die wenigsten. Aus der SPD und den Grünen werden Forderungen erhoben, für mehr Haushaltsspielraum entweder Steuern für Reiche zu erhöhen oder den wegen der hohen Energiepreise eingeführten Abwehrschirm anzuzapfen. Beides schließt Lindner aus. Der Etatentwurf liegt nun im Bundestag, wo üblicherweise noch einiges geändert wird.

    Heizungsgesetz

    Über dieses Gesetz stritt die Koalition wochenlang. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) brachte seine Pläne nur in einer deutlich überarbeiteten Version nach öffentlicher Kritik durchs Kabinett.

    Wie reagiert die Opposition auf den Ampelstreit?

    Die Opposition nutzt den Dauerstreit für Attacken. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warf der Koalition Mitte August 2023 Unfähigkeit vor. Die Ampel lasse Wirtschaft und Wohlstand schrumpfen, sagte er der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“.
    CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann nahm Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in die Pflicht: „Deutschland ist nicht mehr nur der kranke Mann Europas, sondern der Welt. Die Bürger und Unternehmen erwarten völlig zu Recht vom Bundeskanzler, dass er endlich die Führung übernimmt, die er versprochen hat, und unser Land nach vorne bringt“, sagte Linnemann der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Auch von AfD und Linken kam – wenn auch mit unterschiedlicher Stoßrichtung - scharfe Kritik an der Koalition.

    Warum gibt es so oft Streit in der Koalition?

    Der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier sieht einen grundlegenden Konflikt zwischen Grünen und FDP als Ursache: „Das sind zwei Parteien, die in ihrem Politikverständnis und in ihren Politikinhalten recht weit auseinander sind“, so Jun. Deswegen sei es manchmal „sogar fast unmöglich“, zu einem Kompromiss zu kommen.
    Der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun
    Machtworte seien nicht so die Sache von Olaf Scholz, sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun. (picture alliance / dpa / Harald Tittel)
    Als Beispiel führte Jun das Heizungsgesetz an. Bundeskanzler Scholz könne in die Streitigkeiten zwischen Grüne und FDP nur „dosiert“ eingreifen, zumal er die grundlegenden Kontroversen zwischen beiden Parteien nicht auflösen könne. Es sei in dieser Konstellation nicht einfach, zu vermitteln und zu moderieren. Auch sei „nicht unbedingt das Lieblingsthema“ von Scholz, „ein Machtwort zu sprechen“.
    Den Streit um das Wachstumschancengesetz könne man auch als Konflikt zwischen dem linken und dem Realo-Flügel der Grünen deuten, so Jun. Ersterer fühle sich schon seit längerer Zeit von der Regierungspolitik verprellt. Ministerin Paus habe diese Unzufriedenheit nun zum Ausdruck gebracht.
    Der Publizist Albrecht von Lucke sprach im Juli 2023 von „grotesken Zuständen“ in der Koalition. Das Regierungsbündnis habe bisher keinen Modus gefunden, einvernehmlich Pläne vorzulegen. "Kardinalfrage" sei ein ungelöster inhaltlicher Konflikt: Angesichts der Folgen des russischen Angriffskriegs brauche es eine Politik, die auch die FDP-Klientel der Besserverdienenden stärker belaste.
    Dieser Frage werde sich die Koalition stellen müssen, sonst bleibe die Disharmonie der Ampel. Die würde der AfD weiter Wähler zutreiben, so von Lucke.

    Was will die Ampel tun, um den Streit hinter sich zu lassen?

    Mehrere Koalitionsvertreter äußerten die Erwartung, dass die aktuellen Konfliktthemen bei der Kabinettsklausur Ende August im brandenburgischen Meseberg geklärt werden. Inszenierungen von Ampel-Einigkeit hatte es indes schon öfter gegeben, danach wurde wieder gestritten. Außerdem stehen im Oktober Landtagswahlen an, vor denen sich die Parteien profilieren wollen.
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kritisierte zuletzt im ZDF-Sommerinterview den Tonfall in der Koalition: „Ich wünschte mir, dass das im Ton manchmal anders stattfindet, als es in der Vergangenheit war." Er habe den Eindruck, "dass über den Sommer sich viele vorgenommen haben, das genau zu ändern". Das war vor dem jüngsten Streit um das Wachstumschancengesetz.
    „Man hätte eigentlich meinen müssen, dass der in den Umfragen zu konstatierende Aufschwung der AfD für die Ampelparteien schon Mahnung genug gewesen sein müsste“, sagte der Politikwissenschaftler Uwe Jun. Teile der Wählerschaft sagten, die Ampel scheine „inhaltlich so zerrüttet, dass sie kaum noch in der Lage ist, das Land gut zu regieren“.
    Aber trotz Verabredungen der Koalition, künftig stärker intern zu diskutieren, gebe es offenbar keine gemeinsame Basis zwischen FDP und Grünen. Jun sprach von „starken Vertrauensverlusten“ zwischen den beiden Parteien.

    Wie zerstritten waren frühere Bundesregierungen?

    Wie bereits erwähnt: Streit gehört zum politischen Geschäft. Auch andere Bundesregierungen haben teils erbitterte Streitigkeiten ausgetragen. In der schwarz-gelben Koalition, die von 2009 bis 2013 mit Angela Merkel (CDU) als Kanzlerin an der Spitze regierte, titulierten sich die Partner gegenseitig als „Wildsau“ (FDP über CSU) und Gurkentruppe“ (CSU-Mann Dobrindt über die FDP).
    Nach vier Jahren Regierungszeit scheiterte die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde. In der vorangegangenen Koalition zwischen Union und SPD krachte es ebenfalls mehrfach – mit teils deftiger Wortwahl der Kanzlerin. Auch zu Zeiten von Adenauer, Brandt, Schmidt und Kohl wurde innerhalb von Koalitionen heftig gestritten.
    Das bekannteste Beispiel, bei dem eine Bundesregierung nach einem Dauerstreit scheiterte, war wohl die sozialliberale Koalition Anfang der 1980er-Jahre. SPD und FDP rangen immer stärker um die grundsätzliche Ausrichtung der Wirtschafts- und Sozialpolitik – hinzu kamen Debatten um die atomare Nachrüstung.
    1982 war die Koalition am Ende. Die Mehrheit der Abgeordneten der FDP stürzte gemeinsam mit der Union im Bundestag Kanzler Helmut Schmidt (SPD) per konstruktivem Misstrauensvotum und wählte Helmut Kohl (CDU) zum neuen Regierungschef.

    tei, dpa, AFP, Reuters