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Analyse zur Thüringenwahl
CDU verliert viele Wähler an die Linkspartei

CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring stand bei der Wahl in Thüringen klar im Popularitätsschatten von Ministerpräsident Bodo Ramelow. Laut Wahlanalytiker Roberto Heinrich vom Umfrageinstitut infratest dimap ist das einer der Gründe, warum die CDU dort so viele Wähler an die Linkspartei verlor.

Von Dirk-Oliver Heckmann | 28.10.2019
Mike Mohring, Spitzenkandidat der CDU reagiert auf der CDU-Wahlparty nach Bekanntgabe der ersten Prognosen zur Landtagswahl in Thüringen
Mike Mohring und die CDU mussten bei der Landtagswahl in Thüringen viele Stimmenverluste hinnehmen (dpa / Michael Reichel)
Einmal mehr ist nach einer Landtagswahl eine deutliche Verschiebung im Parteiensystem zu konstatieren. Rekord-Ergebnisse in positiver und negativer Hinsicht in Reihe. Das betrifft zunächst Die Linke. 31 Prozent laut vorläufigem amtlichen Endergebnis. Niemals zuvor hat die Partei ein so starkes Ergebnis bei einer Wahl in Deutschland eingefahren. Erstmals ist sie stärkste Kraft in einem Bundesland. Wichtigster Faktor hier: Ministerpräsident Bodo Ramelow. Demoskop Roberto Heinrich von infratest dimap:
"Er hatte sehr hohe Popularitätswerte, er strahlte weit über das eigene Wählermilieu hinaus aus. Also, es gab viele Wähler von SPD, von Grünen, aber auch von der CDU, die sich positiv zu seiner Arbeit geäußert haben. Beispielsweise ist auch ein erheblicher Teil von CDU-Wählern zur Linkspartei gewandert."
CDU - sachpolitisch und personell an Boden verloren
Die CDU erlebte hingegen ein Debakel. In ihrem einstigen Stammland Thüringen kommt sie mit 21,8 Prozent nur noch auf Platz drei – das bedeutet ein Minus von zwölf Prozentpunkten. Die CDU hat in der Zeit der Opposition sachpolitisch an Boden verloren – und auch personell.
"Mike Mohring war weit weniger populär als Frau Lieberknecht vor fünf Jahren. Das heißt auch der Abstand zur Linkspartei ist auf personeller Ebene größer geworden. Mohring stand im Popularitäts-Schatten des Amtsinhabers. Aber es kommen natürlich auch bundespolitische Faktoren dazu. Die Bundesregierung steht insgesamt schlecht da im Urteil der Wahlberechtigten, bundesweit, aber auch in Thüringen. Auch die Kanzlerin hat deutlich geringere Popularitätswerte als vor fünf Jahren. Also in Summe haben sich sowohl landes- als auch bundespolitische Faktoren negativ ausgewirkt."
Der nächste Wahlverlierer: Die Sozialdemokraten. Zum ersten mal in der Geschichte des Bundeslands wird die SPD mit 8,2 Prozent nur einstellig. Daran konnte auch ein vergleichsweise beliebter Spitzenkandidat, Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee, nichts ändern.
"Auch ihre Kompetenzwerte sind rückläufig gewesen. Und auch hier in Thüringen kommen natürlich negative Faktoren aus der Bundespolitik hinzu. Die Bundesregierung hat ein schlechtes Ansehen aktuell bei den Wahlberechtigten; die Spitzenfrage im Bund ist weiterhin ungeklärt, ist offen, und natürlich auch inhaltliche Fragestellungen, die damit verbunden sind: In welche Richtung wird sich die SPD künftig entwickeln und aufstellen?"
AfD holt Stimmen von der CDU und den Linken
Die rechtspopulistische AfD kann ihren Stimmenanteil hingegen mehr als verdoppeln und wird mit 23,4 Prozent sogar zweitstärkste Kraft in Thüringen. Sie konnte erhebliche Stimmen von der CDU und von der Linken abziehen. Vor allem aber mobilisierte sie die meisten vormaligen Nicht-Wähler, nämlich fast 80.000.
"Wir stellen bei der AfD wiederum fest, dass ein erheblicher Teil sagt: Er wählt aus Enttäuschung gegenüber der Politik der anderen Parteien; diese Partei am rechten Rand. Es gibt aber dennoch einen beträchtlichen Anteil von AfD-Wählern – nämlich 40 Prozent circa – die sagen: Ich habe die Partei aus Überzeugung gewählt. Also da gibt es also nicht nur Protest-Wähler, sondern mittlerweile doch einen sichtbaren Teil von Wählern, die sagen: Ich wähle die Partei, weil ich mit ihrer politischen Ausrichtung übereinstimme."
Die Grünen mussten am späteren Abend noch zittern. Am Ende erzielte sie aber 5,2 Prozent und zieht ebenso in den Landtag ein wie die FDP – ebenfalls knapp mit 5,0 Prozent. Die Bündnisgrünen haben strukturelle Probleme in Thüringen, erklärt Wahlforscher Roberto Heinrich von infratest dimap: Nicht viele große Städte, schrumpfende Wahlkreise. Dazu kämen weitere Faktoren:
"Gerade im Umwelt- und Klimaschutzbereich hat sie an Sachvertrauen verloren; das ist etwas, was wir bei den vorangehenden Landtagswahlen so nicht gesehen haben. Die Spitzenkandidatin war vergleichsweise bekannt, aber zog auch mehrheitlich kritische Urteile auf sich. Das heißt: Auch in der landespolitischen Aufstellung der Grünen gab es hier offensichtlich Probleme."
Was heißt das ganze für mögliche Koalitionen?
70 Prozent würden Bündnis CDU/Linke in Erwägung ziehen
Rechnerisch möglich wäre eine Koalition aus Linken und der CDU. Und – mit zwei Stimmen über dem Durst – ein Bündnis aus Rot-rot-grün und FDP.
CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring hatte ein Bündnis sowohl mit der Linkenals auch mit der AfD ausgeschlossen. Wenn es nach den Wahlberechtigten geht, sollte er sich das aber noch einmal überlegen. 70 Prozent waren der Meinung, die CDU solle ein Bündnis mit der Linke doch noch einmal in Erwägung ziehen – auch fast 70 Prozent der CDU-Wähler sind übrigens dieser Ansicht.