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Andrea Röpke "2017 Jahrbuch rechte Gewalt"
Was bleibt, ist allenfalls Erschrecken

Die Journalistin Andrea Röpke hat sich einen Namen gemacht als Expertin für Rechtsextremismus. Seit vielen Jahren recherchiert sie in der rechten Szene, lässt sich weder von Bedrohungen noch von tätlichen Angriffen abschrecken. Doch ihr neues Buch "2017 Jahrbuch rechte Gewalt" zählt nicht zu ihren stärksten Werken.

Von Claudia van Laak | 09.01.2017
    Teilnehmer einer rechtsextremen Demonstration ziehen am 28.03.2015 durch Dortmund (Nordrhein-Westfalen).
    "Kapitalismus zerschlagen!", fordern Neonazi-Demonstranten in Dortmund. (picture alliance / dpa / Caroline Seidel)
    Der Verlag greift ganz tief in die PR-Kiste: "Das neue Standardwerk" jubeln die Werbetexter. Und weiter: "Das Jahrbuch wird ab jetzt die Debatte in Deutschland prägen", es sei - Zitat - "umfassend, informativ und erschütternd." Soviel vorab: Zuviel Wind wird da gemacht um ein allenfalls mittelmäßiges Buch.
    Schon der Aufbau ist wenig stringent: Einer Einleitung folgt die Chronik der Gewalttaten von rechts aus dem Monat Oktober 2015. Oktober 2015? Auf dem Buchdeckel ist von den Ereignissen 2016 die Rede. Danach ein Artikel über die Rolle von Facebook in der rechtsextremen Szene. Danach wieder die Chronik eines Monats, und so weiter, immer im Wechsel. Am Ende plötzlich zwei Monatschroniken hintereinander. Fehlte hier der Stoff für eine weitere Fallstudie?
    Die Chroniken folgen einem bestimmten Aufbau: Datum, Ort, Beschreibung der Tat.
    "4.10., Berlin-Mitte: Ein 44-Jähriger beleidigt einen 41-jährigen Mann rassistisch.
    4.10., Kassel: Ein Unbekannter droht einer 17-Jährigen mit einem messerähnlichen Gegenstand, beleidigt sie rassistisch und droht damit, sie umzubringen.
    5.10., Dresden: Rund 60 Personen, darunter teils stark alkoholisiert, wird der Zutritt zu einer Informationsveranstaltung über eine geplante Asylunterkunft verwehrt. Polizeibeamte werden daraufhin aus der aggressiven Menge mit Flaschen beworfen.
    6.10., Berlin-Weißensee: ein unbekannter Mann beleidigt an einer Haltestelle einen 26-Jährigen rassistisch und hetzt seinen Hund auf ihn."
    Die Datensammlung: intransparent
    Welchen Erkenntnisgewinn bietet solch eine Aufzählung über Seiten hinweg? Was bleibt, ist allenfalls Erschrecken: Was, so viele rechtsextremistische Taten gab es? Und auch in meinem Heimatort? Doch wer genau diese Taten protokolliert hat, ob die Details wirklich stimmen, möglicherweise von unabhängiger Stelle überprüft wurden, bleibt unklar. Die Datensammlung: intransparent. Andrea Röpke schreibt dazu in ihrer Einleitung:
    "Als Journalisten greifen wir auf die Meldungen, Zählungen, Sammlungen von Präventions- und Betreuungsexperten zurück, die Taten rechter Gewalt in ihrer Region aus dem täglichen Geschehen herausfiltern konnten. […] Wir benutzen ihre Termini bei der Beschreibung der jeweiligen Vorfälle, da wir bei der Masse der Straftaten nicht jede einzelne überprüfen können, das übersteigt unsere Kapazität. Wir haben Vertrauen in die mit uns kooperierenden Stellen."
    Die Skepsis gegenüber Polizeiberichten in allen Ehren - zu oft werden rassistische Taten in offiziellen Berichten nicht als solche benannt. Blindes Vertrauen in die andere, möglicherweise auch politisch gefärbte Seite zu haben, zeugt allerdings nicht von Professionalität. Die Aufzählung dürfte zudem regional unausgewogen sein - in bestimmten Städten oder Bundesländern existieren gut finanzierte Initiativen mit engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die akribisch genau rechtsextreme Vorkommnisse dokumentieren. In anderen Regionen - der Verlag nennt als Beispiel das Saarland - eben nicht.
    Gewichtung wäre nötig
    Einzelne Tiefenbohrungen statt einer seitenweisen Aufzählung wären erkenntnisreicher gewesen, zum Beispiel der Vergleich zwischen den offiziellen Polizeiberichten und der Realität. Lassen sich bestimmten Polizeipräsidien systematische Verharmlosungen von rechtsextremen Gewalttaten nachweisen? Dies wäre eine spannende Fragestellung gewesen. Auf jeden Fall ist eine Gewichtung nötig - in welchen Regionen häufen sich Gewalttaten von Rechts - und warum ist das so? Gelang es möglicherweise in bestimmten Städten oder Landkreisen, die Zahl der rassistischen Straftaten zu senken - und wie sieht diese Erfolgsstrategie aus?
    Die Analysekapitel zwischen den einzelnen Monatschroniken sind qualitativ höchst unterschiedlich. Erhellend und gleichzeitig erschreckend sind die präzisen Beschreibungen örtlicher Neonazi-Gruppierungen in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Niedersachsen, die rechtsextremen Alltagsterror verbreiten. Beispiel: die brandenburgische Kleinstadt Nauen. Hier wird klar, dass die Formel "Wehret den Anfängen" keine wohlfeile Rhetorik in Reden zum Holocaust-Gedenktag ist, sondern ein Appell an uns alle sein sollte.
    Einige erhellende Analysen
    Im August 2015 brannte in Nauen eine Sporthalle komplett nieder, die für die Unterbringung von Flüchtlingen vorgesehen war. Zuvor hatte eine als Bürgerinitiative getarnte "Nein zum Heim"-Gruppe, hinter der sich Aktive der NPD sowie Mitglieder einer Neonazi-Kameradschaft verbargen, die Bewohner gegen das Flüchtlingsheim aufgehetzt. Sie störten die Stadtverordnetenversammlungen, verbreiteten Falschmeldungen in sozialen Netzwerken. Der Rädelsführer, ein NPD-Mann, sowie weitere fünf Angeklagte stehen derzeit vor Gericht.
    Das Beispiel Nauen zeigt: Wo sich einmal rechtsextreme Gruppierungen etabliert haben, ist es äußerst schwer, deren Umtriebe zu stoppen. Stand doch bereits vor zwölf Jahren eine Neonazi-Kameradschaft aus dieser brandenburgischen Kleinstadt wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung vor Gericht.
    "Die kleine Neonazi-Truppe "Freicorps" war den Ermittlern ins Netz gegangen. Die zuständige Staatsanwaltschaft warf den 12- bis 16-Jährigen und ihrem älteren Rädelsführer vor, gewaltsam eine "national befreite Zone" errichten zu wollen. Die Existenzgrundlagen von ausländischen Mitbürgern sollten durch die Anschläge vernichtet werden. [...] Zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde nur der Anführer Christopher H. […] Heute ist H. wieder in der Neonazi-Szene im östlichen Havelland unterwegs."
    Rechts sein sei kein Stigma mehr
    Die Autorin des "Jahrbuchs Rechte Gewalt" Andrea Röpke ist eine mehrfach ausgezeichnete Journalistin und eine mutige Frau. Seit Jahren recherchiert sie in der rechtsextremen Szene. Zuletzt erhielt sie den vom Zentralrat der Juden vergebenen "Paul-Spiegel-Preis" für Zivilcourage, weil sie sich trotz persönlicher Bedrohungen durch Neonazis weiterhin diesem Thema widmet. In ihrem aktuellen Buch zeigt sich Andrea Röpke allerdings weniger kämpferisch als frustriert, ihr Resümee wirkt pessimistisch:
    "Der Ausspruch 'Ich bin rechts' ist kein Stigma mehr. Geradezu stolz bekennen sich viele dazu. Selbstbewusst sind jetzt die anderen. […] Um uns Gutmenschen ist es zu still geworden."
    Andrea Röpke hat wichtige Bücher geschrieben, zum Beispiel über die Rolle von Frauen in Neonazi-Kameradschaften. Das jetzt veröffentlichte "Jahrbuch rechte Gewalt" gehört leider zu ihren schwächeren Veröffentlichungen - ein Standardwerk, wie es der Verlag behauptet, wird es mit Sicherheit nicht.
    Andrea Röpke: 2017 Jahrbuch rechte Gewalt
    Knaur, 304 Seiten, 12,99 Euro.