Donnerstag, 18. April 2024

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Angela Steidele: "Poetik der Biographie"
Kunst oder Wissenschaft?

Das Publikum liebt sie, die Wissenschaften wiederum hadern mit ihr: Die Biographie ist als Gattung umstritten. Sie zeigt sich in unterschiedlicher Form, teils historische Königsdisziplin, teils Roman mit Fußnoten. Angela Steidele hat nun eine "Poetik der Biographie" aus feministischer Sicht vorgelegt.

Angela Steidele im Gespräch mit Angela Gutzeit | 25.11.2019
Die Schriftstellerin Angela Steidele und ihr Buch „Poetik der Biografie“
Die Schriftstellerin Angela Steidele (Buchcover Matthes & Seitz Verlag / Portrait (c) Ben Chislett)
Seit der Antike sind Biographien beliebt. Doch was sie sind und was sie leisten, ist umstritten, denn auf eine verbindliche Poetik der Gattung konnte man sich nie einigen. Die Kölner Autorin Angela Steidele hat bereits mehrere Biographien vorgelegt, jeweils zu Frauen und immer explizit aus feministischer Sicht. Ihre erfolgreichsten Bücher galten der englischen Tagebuchautorin und Weltreisenden Anne Lister ("Eine erotische Biographie") und deren Frauenliebe. Kurz darauf erschien Steideles biographische Arbeit "Zeitreisen. Vier Frauen. Zwei Jahrhunderte, ein Weg". In diesem Buch beschreibt Steidele den Nachvollzug einer Reise durch Russland und den Kaukasus zusammen mit ihrer Frau auf den Spuren von Anne Lister und deren Lebensgefährtin. Mit der nun erschienenen Publikation "Poetik der Biographie" fügt sich das gesamte Projekt zu einer Trilogie der Biographik.
Zurück zum Individuum
Im Gespräch mit Angela Gutzeit erklärt Angela Steidele ihr Interesse an dieser Kunstform. Sie sei als Gattung ein interessanter Kreuzungspunkt verschiedener Arten zu denken. Die Biografie gehöre sowohl der Wissenschaft wie der Literatur an. "Ich liebe Biographien", meinte Steidele, "und habe nie verstanden, warum an den deutschen und französischen Universitäten die Biographie-Kritik so ein existenzielles Eigenleben führt." Nach dem Zweiten Weltkrieg wären in den Sozial- wie auch Literaturwissenschaften nur strukturelle Prozesse von Interesse gewesen. Man wollte, beeinflusst vom Poststrukturalismus Roland Barthes und Michel Foucaults, weg vom Individuum. "Und das führte dazu", so Steidele, "dass Biographien als Gattung als verwerflich galten." Das hat sich zwar geändert, eine Poetik der Biographie aber gebe es nach wie vor nicht.
Vorbild Virgina Woolf
In Steideles nun vorgelegtem Band zeigt sie sich insbesondere beeinflusst von Virginia Woolfs Roman "Orlando". "Es gibt kein klügeres Buch, das je über die Gattung Biographie geschrieben wurde", meinte Steidele. Maßgeblich sei dabei die zweite Hauptfigur, ein Biograph, der im Erzählverlauf sein eigenes Tun und Wissen kritisch reflektieren würde. Mit ihren Biografien über Frauen vergangener Jahrhunderte verfolge sie das Ziel, Klischees über das Leben und Lieben dieser Frauen "zu zertrümmern". Mit ihrer Poetik wolle sie nun ergänzend deutlich machen, dass in einer Biographie alle ästhetischen Mittel erlaubt sein sollten, vorausgesetzt, die historischen Quellen würden berücksichtigt. Vor allen Dingen aber sollte das eigene Erkenntnisinteresse immer deutlich hervortreten. Ein Unterscheidungsmerkmal, das bis heute die weibliche von der männlichen Biographik trennen würde.
Angela Steidele: "Poetik der Biographie"
Matthes & Seitz, Berlin, 106 Seiten, 12 Euro