Donnerstag, 18. April 2024

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Angriff auf saudische Öl-Raffinerien
Röttgen: "Die Situation ist ganz kurz vor Krieg"

Die verhaltene Reaktion aus Washington nach dem Angriff auf die Öl-Raffinerien in Saudi-Arabien zeigten, dass US-Präsident Donald Trump eigentlich keinen Krieg will, sagte Norbert Röttgen (CDU) im Dlf. Wegen des Drucks auf den Iran, den Trump aufgebaut habe, könne die Region dennoch in einen Krieg stolpern.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Mario Dobovisek | 17.09.2019
Sitzung des deutschen Bundestags Deutschland, Berlin - 28.06.2019: Im Bild ist Norbert Röttgen (CDU ) im detuschen Bundestag zu sehen. Berlin Bundestag Berlin Deutschland *** Session of the German Bundestag Germany, Berlin 28 06 2019 The picture shows Norbert Röttgen CDU in the German Bundestag Berlin Bundestag Berlin Germany
Norbert Röttgen spricht sich gegen die Wiederaufnahme von Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien aus (www.imago-images.de)
Mario Dobovisek: Der Angriff auf zwei Ölanlagen in Saudi-Arabien zeigt, wie verwundbar das Land ist. Um 50 Prozent ist die Ölproduktion nach den gezielten Schlägen eingebrochen. Der weltweite Ölpreis steigt so stark, wie zuletzt in den 90er-Jahren. Das allein ist noch gar nicht so besorgniserregend; vielmehr die politische Begleitmusik, die die Angriffe mit sich bringen und nach sich ziehen.
Die Saudis beschuldigen die Huthi-Rebellen aus dem Jemen, wo seit Jahren ein erbitterter Bürgerkrieg tobt, und die bekennen sich sogar dazu. Allerdings zeigen die USA mit ihrem Finger gleichzeitig auf den Iran. Nur Teheran könne mit seiner Technologie hinter einem solchen Angriff stecken, heißt es dort. Das gießt buchstäblich Öl ins ohnehin schon immer wieder aufflackernde Feuer in der Region – Stichwort Atomabkommen und festgesetzte Öltanker.
Am Telefon begrüße ich den CDU-Politiker Norbert Röttgen. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Röttgen!
Norbert Röttgen: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Wir hören, es wird viel spekuliert. Aber klingt es für Sie plausibel, wenn Washington sagt, die Huthis im Jemen wären nur mit Unterstützung aus dem Iran in der Lage, einen solchen weit entfernten Angriff so präzise zu fliegen?
Röttgen: Es verbietet sich natürlich zu spekulieren. Ich glaube auch, dass man das untersuchen wird und auch herausbekommen wird, woher die Raketen und die Drohnen gestartet waren und wer dafür Verantwortung trägt. Ich habe auch meine persönlichen Spekulationen, aber ich will mich, offen gestanden, nicht daran beteiligen. Es ist ja auch ernst genug.
"Trump ist jetzt ein schwankender Präsident"
Dobovisek: Ihr Fraktionskollege Jürgen Hardt geht da offensichtlich einen Schritt weiter. Für ihn liegt es auf der Hand, dass es eine enge Kollaboration der jemenitischen Huthis mit dem Iran gäbe.
Röttgen: Die gibt es, ja, in der Kriegsführung im Jemen selber. Das ist klar. Natürlich gibt es Plausibilitäten und Indizien. Pompeo, der amerikanische Außenminister, hat das gesagt und so weiter. Aber ich für meinen Teil finde, es führt nicht weiter, zu spekulieren in einer wirklich ernsten, ich glaube, auch jetzt der ernstesten Krise in der Region und auch für die amerikanische Außenpolitik, damit aber auch für die Europäer, denn wir sind die Nachbarn dieser Region.
Dobovisek: Jetzt hat US-Präsident Donald Trump ja ziemlich schnell reagiert, mit Vergeltungsschlägen gedroht. Das klingt inzwischen, ich würde nicht sagen, versöhnlicher, aber doch ein bisschen beruhigter. Wie sehr beruhigt Sie das wiederum?
Röttgen: Ja, nicht wirklich beruhigter. Donald Trump ist ganz sicher, nach meiner Einschätzung jetzt, ein schwankender Präsident. Der Rauswurf von John Bolton, seinem falkenhaften Sicherheitsberater, der gerade immer ein Falke und aggressiv kriegerisch gesonnen war, gerade was Iran anbelangt, der hatte ja genau in diesem Dissens seinen Grund, dass Trump keinen Krieg will. Ich glaube, das kann man so sagen.
Trump denkt ja vor allen Dingen an sich und seine Wiederwahl und seine Überzeugung ist, sein Versprechen an die Bevölkerung ist, ich mache keine Kriege, ich mache keine Intervention, sondern ich ziehe die Soldaten ab, ich bringe die Jungs nachhause. Und jetzt ist er genau in einer Situation, die er immer vermeiden wollte. Er hat maximalen Druck, rhetorischen Druck auf Iran ausgelöst. Nun ist die Region an die Grenze des Krieges gegangen und in Wahrheit zuckt er jetzt zurück und will diesen Krieg nicht, hat aber diesen Druck maximal ausgeübt, und darum ist er, glaube ich, innerlich in einer sehr schwankenden Verfassung.
US-Präsident Donald Trump spricht am 21. August mit Reportern.
Nach Angriff auf saudische Raffinerien - Trump will Krieg lieber vermeiden
Für die US-Regierung deute alles darauf hin, dass der Iran für die Angriffe auf die saudischen Ölanlagen verantwortlich ist. Mit Säbelrassseln hält sich Präsident Donald Trump indes noch zurück. Saudi-Arabien sagte er dennoch seine uneingeschränkte Unterstützung zu – und genau das stößt in den USA auf Kritik.
Dobovisek: Aber wie gefährlich ist eine solche Situation, in der man durchaus über eine solche Grenze hinwegstolpern und in einen Krieg hineinstolpern kann?
Röttgen: Die Situation ist genau an diesem Punkt. Das, glaube ich, kann man ganz nüchtern und muss man ganz nüchtern sagen. Sie ist vor einer groß angelegten militärischen Eskalation. Man kann auch sagen, sie ist ganz kurz vor Krieg. Jetzt ist bemerkenswert, dass einerseits die Finger auf Iran gezeigt werden, auch durch den amerikanischen Präsidenten, und andererseits es keine explizite klare Vergeltungsdrohung gibt, weder aus Washington, noch ganz bezeichnender Weise aus Riad, von Saudi-Arabien. Auch dort kam nicht der Ruf, wir müssen nun gemeinsam massiv vergelten. Das ist hoch interessant und es spricht eindeutig dafür, dass keine der Beteiligten, weder Iran, noch USA, noch Saudi-Arabien ein Interesse an Krieg hat. Aber sie haben es trotzdem bis an diesem Punkt kurz davor getrieben.
"Keine deutsche Aufklärung der Verantwortung notwendig"
Dobovisek: Das heißt, es kommt jetzt alles darauf an, wie die Aufklärung verlaufen kann. Könnte sich auch Deutschland daran beteiligen?
Röttgen: Ich glaube, dass an der Stelle keine deutsche Aufklärung der Verantwortung notwendig ist. Ja, zum einen ist das ein ganz wichtiger Punkt, dass zu Tage kommen wird, aus welcher Richtung zum Beispiel, kommen sie aus iranischer Richtung oder vom Süden aus Jemen. Das wird man, glaube ich, ermitteln können. Und was ist eingesetzt worden, nicht nur Drohnen, sondern auch Raketen und so weiter. Das ist der objektive Befund und dann ist immer noch die Frage, wie geht man am Ende tatsächlich mit dem objektiven Befund um. Zum Beispiel wenn herauskommt, dass es aus Iran ist, ist es dann zwingend, weil man sich rhetorisch so festgelegt hat, auch innenpolitisch die Erwartungshaltung so groß geworden ist, …
Dobovisek: Das wäre genau das Reinstolpern in den Krieg.
Röttgen: So ist es! Das muss nicht sein, weil alle wissen, worum es geht: Eine Eskalation, die dann auch große Weiterungen haben wird. Das ist dann nicht mehr lokal, sondern das ist dann die gesamte Region mit allen Implikationen strategischer, politischer, ökonomischer, wirtschaftlicher Dimensionen, Ölproduktion und so weiter.
Dieses von Planet Labs Inc. am 15.09.2019 zur Verfügung gestellte Satellitenbild zeigt schwarzen Rauch, der aus einer Raffinerie aufsteigt. Die Drohnenangriffe auf die größte Ölraffinerie in Saudi-Arabien verschärfen die Spannungen zwischen den USA und dem Iran. 
Drohnenangriff auf Öl-Anlagen - Trumps Krieg
Der Wirtschaftskrieg zwischen Iran und den USA ist in vollem Gange, meint Christian Buttkereit nach den Drohnenangriffen in Saudi-Arabien. Es sei das Ergebnis von Donald Trumps Nahost-Politik. Nach wie vor habe die US-Administration keine vernünftige und erfolgversprechende Iran-Strategie.
Dobovisek: Liegt da der Schlüssel für alle Lösungen in Washington?
Röttgen: An dieser Stelle sehr, sehr stark. Ja, ganz, ganz stark in Washington; auch in Riad sicherlich. Es kommt hier auch auf die Einschätzung der Verwundbarkeit, der Verletzbarkeit durch Saudi-Arabien selbst an. Es ist ja bemerkenswert, dass erstens Saudi-Arabien, wie soll ich sagen, diese Herzkammer seiner ökonomischen und politischen Existenz, die Ölproduktion, erstens nicht wirklich geschützt hat und zweitens noch nicht einmal über den Luftraum wirklich Bescheid weiß. Das sagt ja etwas über Verwundbarkeit aus. Darauf kommt es an und es kommt dann auf die Situation und die Entscheidung in Washington an, dass man erkennt, dass Rhetorik und maximaler Druck, dass wirtschaftlicher Druck auf Iran das eine ist, aber die militärische Konsequenz das andere.
Dobovisek: Glauben Sie tatsächlich, dass ein Land wie Saudi-Arabien nicht in der Lage ist, den eigenen Luftraum zu überwachen?
Röttgen: Das ist eine gute Frage. Wenn sie in der Lage sind und es wissen und es aber dann nicht genau mitteilen, dann kann man darüber auch spekulieren. Das ist richtig. Aber ich würde eher sagen, dass keine wirkliche genaue Kenntnis, wirklich gewissermaßen gerichtsfeste Kenntnis besteht, woher die Angriffe waren. Davon würde ich eher ausgehen, aber auch das ist jetzt nicht völlig sicher.
"Ich bin für die Verlängerung dieses Exportstopps"
Dobovisek: Weiter Teil der Spekulation. – Kommen wir zu dem zurück, was Sie gerade kurz angesprochen haben: die wirtschaftliche Dimension. Die Händler an den Börsen dieser Welt sprechen vom Ölpreis-Schock, und in der Tat ist der Ölpreis so steil wie zuletzt Anfang der 90er-Jahre angestiegen. Das zeige, dass der Selbstschutz Saudi-Arabiens auch in unserem eigenen Stabilitätsinteresse liege, sagte wiederum Ihr Fraktionskollege Jürgen Hardt, den ich vorhin schon mal zitiert habe, und forderte eine Wiederaufnahme von Rüstungsexporten an Saudi-Arabien. Und trotzdem - so haben wir es gestern aus Berlin gehört - soll der, Ende des Monats auslaufende Rüstungsexportstopp verlängert werden. Wie passt das zusammen?
Röttgen: Vielleicht ein Punkt, weil Sie das Wort "Ölpreis-Stock" oder "Ölschock" verwendet haben. Das ist ja ein Ereignis der 70er-Jahre. Man kann festhalten, dass die Abhängigkeit von saudischem und Öl vom Golf auch des Westens und der Welt nicht mehr diejenige ist, die es in den 70er-Jahren war. Trotzdem ist sie natürlich von weltwirtschaftlicher Bedeutung, aber nicht mehr diese totale Abhängigkeit. Das ist noch ein Drittel desjenigen, was die USA heute von Öl beziehen.
Separatisten vom sogenannten südlichen Übergangsrat STC posieren in der Stadt Aden.
Jemen-Konflikt - Saudi-Arabien entgleitet die Kontrolle
Seit dem jüngsten Vorstoß der südjemenitischen Separatisten auf Aden werden die Machtkämpfe nicht nur immer verzwickter, sondern auch zum Desaster für Saudi-Arabien. Eine besonders brisante Rolle spielen die Vereinigten Arabischen Emirate.
Dobovisek: Wie wichtig wäre es, Saudi-Arabien jetzt auch unter die Arme zu greifen, zum Beispiel mit Rüstungsexporten?
Röttgen: Ich glaube, dass es in Saudi-Arabien keinen Mangel an Waffen gibt. Saudi-Arabien ist hoch gerüstet und bezieht in größtem Maße Waffen von überall her – natürlich von den USA, aber nicht nur von den USA. Darum, glaube ich, sind jetzt nicht ein paar zusätzliche Waffen für Saudi-Arabien von irgendeiner Bedeutung für die Stabilität. Das ist ganz sicherlich nicht das, was fehlt, und es ist auch nicht das militärische Defizit, was Saudi-Arabien relativ fragil macht, sondern es ist die innere Verfassung dieses Landes, das ein konservatives Land ist, das unter der Führung des Kronprinzen Mohammed Bin Salman in außenpolitische Abenteuer gestürzt wurde, die dieser Kronprinz selber nicht beherrscht, wie zum Beispiel …
Dobovisek: Aber, Herr Röttgen, nur um es noch mal klar zu sagen, zusammenzufassen: Der Rüstungsexportstopp nach Saudi-Arabien soll weiter verlängert werden?
Röttgen: Ich bin für die Verlängerung dieses Exportstopps. Erstens, weil die Gründe noch fortbestehen, und zweitens, weil in dieser Lage, wo wir eben gesagt haben, wir sind in der Gefahr vor einem Krieg, jetzt deutsche Waffenlieferungen ja nicht richtig sind und nicht zu rechtfertigen wären und, ich glaube, auch nicht kommen werden.
"Was die Europäer einbringen müssen, ist Politik"
Dobovisek: Noch eine ganz kurze Frage, weil wir gleich auch zum Ende des Gesprächs kommen müssen. Deutschland wird ja auch immer wieder vorgeworfen, zu passiv in der Region zu sein. Was muss Deutschland, die deutsche Außenpolitik jetzt tun?
Röttgen: Das wollte ich ganz genau sagen. Das was die Europäer einbringen müssen, ist Politik. Und diese Kritik stimmt! Es sind nicht die mangelnden Waffenlieferungen, die zu kritisieren sind, sondern wir haben es bei dem Konflikt in der Straße von Hormus gesehen. Überhaupt: Es ist unsere Nachbarschaft. Das was wir uns richtigerweise vorwerfen lassen müssen, was wir ändern müssen, ist: Wir Europäer müssen uns politisch um diese Region kümmern. Es ist unsere Nachbarschaftsregion. Wenn es dort knallt, sind wir am unmittelbarsten betroffen.
Wenn ich jetzt zum Ende des Gesprächs etwas Visionäres sagen möchte, was aber, glaube ich, notwendig ist? – Ich glaube, wir bräuchten eine europäische Initiative für so etwas wie eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren Osten. Wir brauchen diesen gesamten regionalen Sicherheitsansatz. Ansonsten wird es immer wieder dazu kommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.