Donnerstag, 18. April 2024

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Politologe Jäger zur Entlassung Boltons
"Bolton wollte seine Ziele umsetzen, nicht die von Trump"

Mit John Bolton wurde schon der dritte Sicherheitsberater unter US-Präsident Trump entlassen. "Dass er draußen ist, ist eine gute Nachricht", sagte der Politikwissenschaftler Thomas Jäger im Dlf. "Jemand, der auf jede Frage Krieg antwortet, ist nicht mehr am Ohr des Präsidenten."

Thomas Jäger im Gespräch mit Philipp May | 11.09.2019
John R. Bolton am Weißen Haus in Washington, Juli 2019
Der Nationale Sicherheitsberater John R. Bolton (picture alliance / CNP / AdMedia / Ron Sachs)
Philipp May: Am Telefon ist jetzt Thomas Jäger, Professor für internationale und Außenpolitik an der Uni Köln. Schönen guten Tag!
Thomas Jäger: Schönen guten Tag, Herr May.
May: John Bolton galt immer als Kriegstreiber im Weißen Haus. Wird Trump jetzt zum Friedensengel?
Jäger: Nein. Trump hat vorher ja schon die Ansicht vertreten, dass Krieg schlecht fürs Geschäft ist, und Bolton war immer jemand, der quer zu allem lag, aber der Trump nicht daran gehindert hat, etwa die Treffen mit dem iranischen Präsidenten schon lange Zeit ins Auge zu fassen. Bolton – dass er draußen ist, das ist eine gute Nachricht, wenn man das von Europa aus betrachtet, weil jemand, der auf jede Frage Krieg antwortet, nicht mehr am Ohr des Präsidenten ist. Aber so nah war er in der letzten Zeit auch nicht mehr dran.
"Pompeo ist da viel geschickter"
May: Wer darf denn jetzt aufatmen außer Europa, die Taliban zum Beispiel, Iran?
Jäger: Na ja, auch die freuen sich, dass er raus ist, wobei es in der Administration ja nicht so ist, dass mit dem Abgang von Bolton jetzt lauter Falken hier vertreten sind. Mike Pompeo, der Außenminister, gehört wie Bolton zu denjenigen, die eine scharfe Außenpolitik betreiben. Der Unterschied zwischen beiden war, dass Bolton versucht hat, in den letzten Wochen und Monaten über den Kongress die Politik des Präsidenten zu beeinflussen. Er hat seine Agenda verfolgt. Er wollte seine Ziele umsetzen und nicht die von Trump. Pompeo ist da viel geschickter. Er ist derjenige, der Trump die Welt erklärt, und er nimmt dann auf, was der Präsident möchte, und setzt das um.
Figur des Advocatus Diaboli
May: Sie haben es gesagt: In Europa atmet man auf, weil insbesondere hier auch die Figur Bolton sehr kritisch gesehen wird, als einer, der bis heute auch die militärischen Abenteuer der Bush-Regierung, in der er ja auch saß, verteidigt. Aber andererseits, Herr Jäger, galt Bolton doch als einer der wenigen im Trump-Kabinett, der es noch wagte, offen zu widersprechen. Ist das wirklich gut, wenn der jetzt weg ist?
Jäger: Nein! Aber das ist klar: Was bei Trump die Figur des Advocatus Diaboli, des Anwalts des Teufels, den man immer drin hat, wenn man klug überlegen will, in welche Richtung man geht, keine Rolle spielt, das ist logisch.
Bolton hatte Interna an die Presse weitergeben
May: Da spielen immer nur die Engel die Rolle.
Jäger: Nicht die Engel! Es gibt ja auch die Engel, die widersprechen. Das war bei Obama der Fall, der etwa Joe Biden genau so eingesetzt hat, dass er in der Afghanistan-Politik ihm gesagt hat, ich brauche einen, der wirklich von oben hin immer wieder die Fragen stellt, machen wir das richtig, machen wir das richtig. Trump kann so jemanden nicht brauchen. Er hat auch gesagt bekommen, dass Bolton der ist, der an die Presse durchgestochen hat, dass es im Weißen Haus zu Meinungsverschiedenheiten gekommen ist – auch etwas, was Trump nicht will, was Obama förmlich gefordert hat, dass man unterschiedlicher Meinung ist. Das sind die unterschiedlichen Regierungsstile dieser beiden Präsidenten, die sich hier niederschlagen.
Boltons jahrzehntelange Erfahrung
May: Wie passte Bolton, von dem man ja wusste, wofür er steht, und Trump, der auf der anderen Seite immer gesagt hat, ich will Kriege beenden, ich will Soldaten nachhause holen, wie passte der überhaupt da rein?
Jäger: Überhaupt nicht. Bolton war ja ganz am Anfang, als Trump seine Präsidentschaft begonnen hat, schon mit im Kreis derer, die zu Interviews eingeladen wurden, und dann hieß es, nee, Trump kann mit dem nicht und mag ihn nicht. Aber Bolton hat eine Eigenschaft gehabt, die Trump dann nach dem Abgang von McMaster wohl schätzen wusste. Er ist jahrzehntelang erfahren. Er kennt sich aus. Er hat einen klaren Standpunkt. Er hat eine klare Ideologie und wusste, Trump, der ja mit den Komplexitäten internationaler Politik so gut nicht umgehen kann, immer wieder eine klare Antwort zu geben. Das war nicht die, die der Präsident hören wollte, aber daran konnte er sich abarbeiten. Das ist irgendwann mal eingeschliffen worden und hat sich jetzt ausberaten.
Strategischer Außenpolitiker versus präsidentielles Bauchgefühl
May: Was will der Präsident denn noch hören? Beziehungsweise anders gefragt: Auf wen hört Trump überhaupt noch, abgesehen von all den Fox-News-Moderatoren vielleicht?
Jäger: Er hört vor allem auf seinen Bauch und er hört möglicherweise auf seinen Schwiegersohn.
May: Der Bauch wird jetzt der neue US-Berater?
Jäger: Das wäre natürlich ein Bild! Vielleicht wird das demnächst in Karikaturen auftauchen. Aber das ist er bisher ja schon. Trump rühmt sich ja selbst, dass er derjenige ist, der aus dem Gefühl heraus agiert, der sich keine großen Argumente überlegt, der sich nicht überlegt, wie das strategisch einzuordnen ist, sondern der aus der Situation heraus agiert. Deswegen kann er ja Nordkorea in einem Moment drohen, es mit Raketen zu überziehen, und sagt vier Wochen später, das ist mein guter Freund Kim. Das kann man nicht, wenn man strategisch über Außenpolitik nachdenkt, und da gibt es einen Knackpunkt zwischen all denjenigen, die das tun, zu denen auch Bolton gehört, und denjenigen, die das nicht tun. Diejenigen, die jetzt im Weißen Haus sind, die können sich auf dieses Flip-Floppen des Präsidenten weit besser einstellen als die, die draußen sind.
Kushner war "ein weit wichtigerer Berater"
May: Sie haben ihn gerade schon angesprochen; da habe ich Sie blöderweise unterbrochen. Ich habe es aber noch gehört. Jared Kushner, der Schwiegersohn, auf den hört er auch. Welche Rolle spielt er?
Jäger: Der spielt eine ganz wichtige Rolle im Hintergrund. Er äußert sich ja ganz selten öffentlich, aber er ist wohl derjenige, der, was die Iran-Politik angeht, was die Israel- und Nahost-Politik angeht, ein weit wichtigerer Berater gewesen ist, als das John Bolton war. Bolton ist eigentlich in allen Konflikten, in denen er dem Präsidenten widersprochen hat, relativ schnell draußen gewesen. Das ist bei Nordkorea der Fall gewesen. Trump hat ihn nicht mal mehr mitgenommen. Das ist bei Afghanistan gewesen, wo er an den Gesprächen nicht mehr teilnahm. Und ich glaube, man hat seine Rolle, was die Mittelost-Politik angeht, auch weit überschätzt.
Netanjahu und der angekündigte US-Friedensvertrag für Nahost
May: Dann bleiben wir mal bei Nahost, Mittelost beziehungsweise Israel. Premierminister Netanjahu will im Falle eines Wahlsiegs, hat er gerade angekündigt, das Jordantal im besetzten Westjordanland annektieren. Das könnte er kaum ohne die Rückendeckung der USA. Zeigt das alles, dass ist Amerikas endgültiger Rückzug als Weltpolizist?
Jäger: Solche Ankündigungen gab es in Israel schon häufiger. Insofern muss man vorsichtig sein, ob das jetzt der anstehenden Wahl geschuldet ist, oder ob das dann wirklich umgesetzt wird. Was sollte ihn hindern, das relativ frühzeitig zu machen? – Gleichzeitig hat Netanjahu das ja verbunden mit dem Hinweis, er wolle dem amerikanischen Präsidenten nicht vorgreifen, der ja von Tag eins seiner Präsidentschaft an den großen Friedensvertrag angekündigt hat, der kommen soll, um den Konflikt zu lösen. Der ist noch lange nicht da und Netanjahu hat jetzt erst mal die Koalition, die Trumps Leute im Nahen Osten zusammenbringen wollten, mit Saudi-Arabien und anderen mit dieser Ankündigung schon ein wenig gesprengt.
Spekulationen über "Land gegen Geld"
May: Was ist denn von diesem großen Friedensvertrag zu erwarten, der ja auch von Jared Kushner, den wir jetzt schon mehrfach angesprochen haben, ausgearbeitet werden soll?
Jäger: Das ist es ja: Das weiß keiner. Niemand weiß, was da wirklich drinsteht. Es wird spekuliert und das seit Jahren, ob es etwa eine Möglichkeit gibt, nicht Land gegen Frieden hier zu tauschen, sondern Land gegen Geld zu tauschen, ob Saudi-Arabien bereit ist, mit ganz hohen Zahlungen hier einzusteigen, um möglicherweise diesen Konflikt ruhigzustellen. Aber was wirklich Kushner hier vorhat, das weiß niemand.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.