Archiv

Angriff auf türkischen Modeschöpfer Sansal
"Da steckt schon Absicht dahinter"

Die Angriffe auf den türkischen Modeschöpfer Barbaros Sansal in Istanbul hätten gezeigt, dass sich Kritiker der Regierung inzwischen auf vieles gefasst machen müssten, sagte "taz"-Korrespondent Jürgen Gottschlich im DLF. Als Sansals Ankunft am Flughafen in den Medien verbreitet wurde, sei die Gewalt gegen ihn billigend in Kauf genommen worden.

Jürgen Gottschlich im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der Journalist und Autor Jürgen Gottschlich im Porträtfoto.
    Der Journalist und Autor Jürgen Gottschlich. (picture alliance / dpa / Jürgen Gottschlich)
    Dirk-Oliver Heckmann: Wir wollen jetzt auf einen Fall eingehen, der fast ein wenig unterzugehen drohte: Es geht um den Fall des türkischen Modedesigners Barbaros Sansal, einen exponierten Erdogan-Kritiker. Er hatte aus seinem Urlaub in Nordzypern heraus ein Video von sich gepostet, in dem er heftige Kritik an den Verhältnissen in der Türkei übte. Daraufhin wurde er in Nordzypern festgenommen und nach Istanbul gebracht. Die türkische Nachrichtenagentur, die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete die Abflugzeit des Flugzeugs, daraufhin fand sich dort in Istanbul auf dem Flughafen ein wütender Mob ein, der Sansal bei Ankunft in Istanbul heftig attackierte.
    Die Männer versuchten ihn zu schlagen, haben ihn geschlagen, er lag anschließend auch auf dem Boden, wurde notdürftig beschützt von begleitenden Polizisten. Ein Vorgang, der doch für ziemliche Aufregung auch gesorgt hat, und darüber möchten wir sprechen mit Jürgen Gottschlich, Türkeikorrespondent der Tageszeitung "taz". Schönen guten Tag, Herr Gottschlich!
    Jürgen Gottschlich: Ja, guten Tag!
    Heckmann: Was war denn eigentlich genau der Stein des Anstoßes, was genau hat Sansal denn eigentlich gesagt?
    "Das war ein wirrer und betrunkener Auftritt"
    Gottschlich: Ja, das war ein ziemlich wirrer Auftritt von ihm in seinem Video, offensichtlich auch betrunken, wo er sich einfach über die Entwicklung in der Türkei lustig gemacht hat, Leute als spießig verunglimpft hat und so weiter, also eigentlich nicht wirklich ernst zu nehmen.
    Heckmann: Nicht wirklich ernst zu nehmen, aber wirr und ein betrunkener Auftritt, wie Sie sagten. Was genau hat er kritisiert? Kann man das wiederholen, einordnen?
    Gottschlich: Ja, er hat sich über die Islamisten lustig gemacht, er hat zu homosexuellem Sex aufgefordert – er ist ja schwul –, und der Sinn der Sache war also, noch mal zu zeigen, wie homophob die Türkei mittlerweile geworden ist.
    Heckmann: Aber er hat auch insgesamt Kritik an der türkischen Regierung, an der Regierung Erdogan geübt, im Zuge dieses gesamten Konflikts rund um den gescheiterten Putsch beispielsweise.
    Aufrufe der AKP-Internettrolle haben "schon eine sehr gefährliche Dimension"
    Gottschlich: Ja, er gehört zu den bekannten säkularen Kritikern der Erdogan-Regierung, hat sich schon profiliert während der Gezi-Proteste 2013, als ausgehend von der Besetzung eines Parks in Istanbul dann so eine landesweite Protestbewegung gegen Erdogan in Gang kam und ist seitdem bei den AKP-Leuten ziemlich verhasst.
    Heckmann: Ziemlich verhasst – Sie sprachen von einem wirren Auftritt, der nicht wirklich ernst zunehmen ist, aber weshalb trifft das auf eine derartige Wut in der Türkei derzeit?
    Gottschlich: Wenn hier die sogenannten Internettrolls der AKP jemanden als Vaterlandsverräter denunzieren und dazu aufrufen, gegen den vorzugehen, dann hat es jetzt mittlerweile schon eine sehr gefährliche Dimension, die auch zu entsprechenden Reaktionen führt, und das hat sich dann bei Barbaros Sansal auch gezeigt.
    Heckmann: Das heißt, man kann sich seines Lebens nicht mehr sicher sein, wenn man öffentlich Kritik an der Regierung Erdogan äußert.
    "Das schwankt zwischen totaler Verängstigung und völliger Depression"
    Gottschlich: Ja, vielleicht in der Pauschalität so nicht, aber man muss sich auf viele Sachen gefasst machen, was auch dazu führt, dass Leute ihre Twitter-Konten schließen und sich fast jeder öffentlichen Äußerung enthalten mittlerweile.
    Heckmann: Und wenn das so ist, wie würden Sie das Klima in der Türkei derzeit beschreiben?
    Gottschlich: Ja, das schwankt zwischen totaler Verängstigung und völliger Depression angesichts der Entwicklung hier beziehungsweise man muss immer unterscheiden: Die Leute, von denen ich rede, das ist sozusagen der säkulare, moderne Teil der Türkei. Die Anhänger Erdogans sind nach wie vor von ihrem Präsidenten begeistert. Er soll ja jetzt demnächst per Verfassungsreferendum dann auch zum exekutiven Präsidenten werden, wobei, wenn man sich Meinungsumfragen anguckt, gibt es auch erste Risse in der Anhängerschaft der AKP, weil eben mittlerweile auch die Wirtschaft hier im Abstieg begriffen ist und viele Leute mittlerweile merken, dass alles in die falsche Richtung geht.
    Heckmann: Ich habe es gerade schon in meiner Anmoderation gesagt, Herr Sansal wurde ja verhaftet. Er sitzt auch derzeit in Haft.
    "Die Leute, die ihn angegriffen haben, waren Angestellte des Flughafens"
    Gottschlich: Ja.
    Heckmann: Wie schwer ist er eigentlich verletzt worden durch diese Aktion, und was ist mit den Leuten, die ihn angegriffen haben? Gab es da Festnahmen?
    Gottschlich: Also seine Verletzungen sind wohl jetzt nicht so, dass er ins Krankenhaus musste. Sein Gesicht war blutig, er hat schwere Schläge in den Rücken bekommen, die laut seinem Anwalt sehr schmerzhaft sind nach wie vor. Die Leute, die ihn angegriffen haben, haben sich mittlerweile weitgehend als Angestellte des Flughafens geoutet, die bei der Vernehmung dann gesagt haben, sie hätten sich ihrer nationalistischen Gefühle nicht beherrschen können und diese schweren Beleidigungen des Landes nicht ertragen können und sind daraufhin gegangen, freigelassen worden.
    Heckmann: Freigelassen worden im Unterschied zu vielen anderen, die sich als Kritiker der Regierungslinie definiert und hervorgetan haben. Herr Gottschlich, wie bewerten Sie denn, dass eine staatliche Nachrichtenagentur praktisch die Ankunftszeit dieses Flugzeugs ankündigte? Ist das irgendwo ein Versehen gewesen aus Ihrer Sicht oder steckt da möglicherweise Absicht dahinter?
    Gottschlich: Da steckt schon Absicht dahinter, weil Anadolu ist quasi das Sprachrohr der Regierung. Der Sansal ist denen missliebig aufgefallen, und sie wollten schon ihren Anhängern mitteilen, dass der jetzt verhaftet worden ist und in die Türkei zurückgebracht wird.
    Heckmann: Und wie passt da ins Bild, dass … ja?
    "Das ist eine gezielte Strategie, um weiter Stimmung zu machen"
    Gottschlich: Also ob man das jetzt direkt zur Aufforderung zur Lynchjustiz beurteilen kann, weiß ich nicht, würde ich nicht unbedingt sagen, dass das direkt die Absicht war, aber es wurde zumindest billigend in kauf genommen.
    Heckmann: Wurde billigend in kauf genommen. Der Bürgermeister von Ankara, der der AKP angehört, der hat ein Foto, ein Video von Sansal gepostet und in seinem Post Gewalt abgelehnt, aber er hat auch gesagt, wer sich so äußere, der dürfe sich nicht wundern. Bekommen die Anhänger von Lynchjustiz in der Türkei derzeit Applaus von Seiten der AKP, von Offiziellen?
    Gottschlich: Ja, das ist so … Man kennt das ja in Deutschland von der AfD. Da wird irgendwas gesagt, und danach sagt man dann, ja, war aber nicht so gemeint. Und das ist zum Beispiel Melih Gökcek ist einer der bekanntesten Vertreter dieser Position, einer der Scharfmacher der AKP, der sich dann im Nachgang immer wieder behauptet, ja, er wollte ja den Rahmen des Rechts nicht übertreten, aber das ist natürlich eine gezielte Strategie, um weiter Stimmung zu machen.
    Heckmann: Jürgen Gottschlich war das aus Istanbul. Er ist der Türkeikorrespondent der Tageszeitung "taz". Ich danke Ihnen für Ihre Zeit und für das Gespräch heute hier im Deutschlandfunk!
    Gottschlich: Ja, ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.