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Angst vor der Parallelgesellschaft
Vorurteile gegen Neukölln in Dresden

"Neukölln ist überall" – mit diesem Buch hat der frühere Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky Furore gemacht. Der Berliner Migranten-Stadtteil gilt seitdem bei vielen in Deutschland als Symbol für misslungene Integration – auch und gerade in Dresden bei den Anhängern von Pegida.

Von Claudia van Laak und Bastian Brandau | 10.12.2015
    Pegida-Anhänger halten Fahnen und Plakate hoch.
    Pegidist in Dresden: "Hier sind wir in Dresden, nicht in Neukölln. Und die Verhältnisse wollen wir gerade hier in Dresden nicht. Punkt." (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    "Wenn ich sehe, was in Berlin-Neukölln passiert, dort ist es weit fortgeschritten. Wir Dresdner sind nicht mehr im Tal der Ahnungslosen und wollen vorher etwas bewegen, bevor es zu solchen Zuständen kommt."
    So klingt er, der selbst ernannte Pegida-Anführer Lutz Bachmann. Er braucht Montagsabends vor der Semper-Oper nur "Neukölln" zu rufen, dann wird sofort und anhaltend gebuht. Viele Demonstranten auf dem Theaterplatz waren noch nie im 200 Kilometer entfernten Neukölln, doch eine Meinung über diesen Berliner Stadtteil haben eigentlich alle.
    "Dort sind viele Ausländer, manch Ältere trauen sich da nicht mehr auf die Straße."
    "Dass dort ein Parallelstaat ist, was anderes gibt´s dort nicht. Und gegen sowas sind wir hier, deshalb stehen wir hier."
    "Wir wollen hier kein Neukölln. Und die libanesischen sogenannten Flüchtlinge, die hier vor 30 Jahren hergekommen sind, sind jetzt die größten Banden in Berlin, und solche Leute die schmeiß ich alle raus."
    Eine klare Ansage. Gegen das "Neukölln ist überall" setzen die Pegida-Anhänger ein trotziges "Aber nicht bei uns". Sie sehen ein multikulturelles Deutschland als gescheitert an, wehren sich gegen Verhältnisse wie in einem ihrer Meinung nach "überfremdeten" Neukölln. Menschen auf der Straße, die anders aussehen und sich anders verhalten, sie machen diesem Dresdner Ehepaar regelrecht Angst.
    "Ich möchte nicht nach Neukölln, so wie ich es hier gesehen hab." - "Wir sagen schon hier auf der Prager Straße, ich möchte nicht, dass da so viele Ausländer sind, dass ich mich fremd fühle in der Stadt, wie man das dort sieht, dass man dort weniger Deutsche sieht als Ausländer. Das macht mir Angst, fühl ich mich beklemmt, nicht wohl."
    Neuköllner aus Leidenschaft
    Ortswechsel. Im Büro des Online-Magazins "neukoellner.net" im Berliner Schiller-Kiez lauscht man ungläubig den Worten dieses Dresdner Ehepaares, das seinen Namen leider nicht nennen will. Besorgte Bürger eben. Wovor haben die bloß Angst, fragen sich Sabrina Markutzyk und Torben Lehning – beide Neuköllner aus Leidenschaft und Überzeugung.
    "Wir fühlen uns hier ganz sicher. Ich weiß nicht, ob eine Frau mit Kopftuch sich so sicher fühlt auf einer Pegida-Demo. Oder ein Mensch mit dunkler Hautfarbe oder jemand, der groß 'Presse' vorne stehen hat. Da ist die Angst eher berechtigt."
    "Was ist denn besorgt: Bin ich besorgt, weil da ein Mensch ist, der anders aussieht und den ich aus diesem Grund nicht einschätzen kann, weil ich zuvor noch nie mit einem Araber, einem Türken, einem Moslem zu tun hatte oder liegt das an etwas anderem?"
    Gewaltige Vorbehalte
    Die Vorbehalte sind gegenseitig und ziemlich gewaltig. In Neukölln ist es dreckig, auf den Straßen wird nur noch Arabisch und Türkisch gesprochen, Deutsche haben dort nichts mehr zu melden – sagen die einen. In Dresden können sich Ausländer nicht mehr auf die Straße trauen – sagen die anderen. Wie wäre es denn zum Beispiel mit einem Besuch? Der Deutschlandfunk hat Pegida-Anhänger gefragt. Sachsen-Korrespondent Bastian Brandau:
    "Mich würde man interessieren – würden Sie nach Neukölln fahren?" - "Nee, nee, warum soll ich dahinfahren." - "Das würde mich mal interessieren?" - "Dann fahr doch hin nach Neukölln, guck es dir doch an." - "Ich war ja schon mal da." - "Und, nix aufgefallen? Das hat mit Deutschland nix mehr zu tun. Das ist eine Parallelgesellschaft. Und das wollen wir verhindern hier. Und hier sind wir in Dresden, nicht in Neukölln. Und die Verhältnisse wollen wir gerade hier in Dresden nicht. Punkt."
    Ein bisschen rüde, dieser Pegida-Anhänger aus Dresden – der ebenfalls seinen Namen nicht nennen möchte. Auf keinen Fall will der Mann nach Neukölln, dort würden nämlich keine deutschen Gesetze gelten. 200 Kilometer weiter nördlich werden die Köpfe geschüttelt. Torben Lehning, Redakteur beim Online-Magazin "neuköllner.net":
    "Ja, da ist dann wieder direkt der Punkt Parallelgesellschaft. Und da muss man doch mal fragen, wo ist denn da die Parallelgesellschaft. Sind wir die Parallelgesellschaft oder sind es die Dresdner? Denn gerade wenn man Neukölln abspricht, Recht und Ordnung durchzusetzen auf der anderen Seite sich permanent auf Sachen beruft, die nicht mit dem deutschen Recht vereinbar sind. Nämlich Menschenfeindlichkeit und Religionsfeindlichkeit, dann sollte man mal überlegen, wer da überhaupt die Parallelgesellschaft ist."
    Feindbilder überwinden
    Also: Neukölln, die heile Welt und Dresden die Parallelgesellschaft? Torben Lehning und Sabrina Markutzyk würden sich gerne persönlich mit Pegida-Anhängern unterhalten. Von Mensch zu Mensch eben, nicht immer vermittelt über die Medien. Deshalb haben sie die Aktion "Dresden welcome" gestartet.
    "Lieber Pegidist, liebe Pegidistin, wir bieten Ihnen jetzt das einmalige Angebot, ihr eigenes Feindbild von einer ganz anderen Seite kennenzulernen. Überwinden Sie Ihre Ängste, machen Sie sich frei, seien Sie wild – fahren Sie nach Neukölln" – heißt es auf der Webseite von "neukoellner.net".
    Bislang hat sich niemand gemeldet. Aber der Deutschlandfunk hilft gerne weiter..
    "Wenn ich Ihnen jetzt vorschlagen würde, wir fahren mal zusammen nach Neukölln, wäre das eine gute Idee?" - "Bitte, nehmen Sie mich mit. Ja gern."
    Linktipp:
    Mehr zum Thema finden Sie auf unserem Pegida-Portal.